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Bayerns Ministerpräsident, gedenkt in der Innenstadt den Opfern einer Messerattacke.

© Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Nach der Messerattacke in Würzburg: Söder mahnt bei Gedenkfeier zur Besonnenheit

Ein Messerangriff mitten in der Innenstadt kein klares Motiv. Würzburg bleibt verstört zurück und trauert. Die Polizei rekonstruiert unterdessen das Verbrechen.

In Bayern war am Sonntag Trauerbeflaggung angeordnet. Auch an den beiden Tagen darauf stehen die Fahnen vor öffentlichen Gebäuden und Dienststellen auf Halbmast. Ein Kondolenzbuch liegt im Rathaus von Würzburg aus. Am Barbarossa-Platz vor einer Kaufhaus-Filiale haben Menschen viele brennende Kerzen aufgestellt.

Am Nachmittag findet im Kiliansdom eine Gedenkfeier statt, es kommt viel Prominenz: Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der katholische Bischof Franz Jung, die evangelische Regionalbischöfin Gisela Bornowski, Josef Schuster vom Zentralrat der Juden sowie Vertreter muslimischer Gemeinden. Es sind diese öffentlichen Rituale, mit denen die Gesellschaft versucht, in Gemeinschaft dem etwas entgegenzusetzen, was am frühen Freitagabend in Würzburg geschehen ist.

Söder mahnte in seiner Traueransprache zugleich eindringlich zu „Besonnenheit“ bei der Verarbeitung der Tat. Die Frage von „Gut und Böse“ sei keine Frage von Nationalität oder Religion, sagte er. Die Hintergründe der Tat würden rückhaltlos aufgeklärt und Konsequenzen gezogen.

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„Haltlose Spekulationen“ und „Klischees“ linderten keinen Schmerz und keine Trauer. Wer mit Hass auf Hass reagiere, der „fügt nur neue Verletzungen zu“. Der Ministerpräsident erinnerte auch daran, dass Menschen mit Migrationshintergrund sich dem Täter spontan entgegenstellten.

Schreck, Trauer, Gedenken, viele Fragen. Der Täter war schnell gestoppt und gefasst. Aber viel bleibt unklar.
Schreck, Trauer, Gedenken, viele Fragen. Der Täter war schnell gestoppt und gefasst. Aber viel bleibt unklar.

© dpa

Auch zwei Tage danach herrschen weiter nicht nur Entsetzen, sondern auch Ratlosigkeit: Warum? Warum tötete ein 24 Jahre alter Mann aus Somalia mit einem Messer mitten in der Innenstadt drei Frauen, Zufallsopfer, metzelte sie mit schlimmster Brutalität nieder? Sieben weitere Opfer, darunter ein kleiner Junge, wurden teils schwer verletzt, vor dem Kaufhaus im Bereich einer Sparkassenfiliale. In der Klinik wurde um ihre Leben gerungen.

Nach wenigen Minuten gestoppt

Die Tat konnte innerhalb weniger Minuten gestoppt, der Täter sofort gefasst werden. Um 17.04 Uhr gingen die Notrufe bei den Einsatzkräften ein, so berichtet es der unterfränkische Polizeipräsident Gerhard Kallert tags darauf bei einer Pressekonferenz.

Schon zwei Minuten darauf waren erste Einsatzkräfte am Tatort. Mit einem Oberschenkeldurchschuss wurde der Mann von der Polizei gestoppt und fluchtunfähig gemacht, da hielt er das Messer immer noch in der Hand. „Schulbuchmäßig“ nennt das Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) auf der Pressekonferenz, die in einer Turnhalle stattfindet.

Dort sitzen Herrmann, Vertreter von Polizei und Staatsanwaltschaft und der Oberbürgermeister Christian Schuchardt in langer Reihe an nebeneinander gestellten Tischen. Schuchardt trägt kein CSU-, sondern ein CDU-Parteibuch – aufgrund seiner Herkunft aus Hessen. Die Tat ist bestens dokumentiert, viele Passanten waren als Augenzeugen dabei, viele haben mit dem Handy gefilmt.

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Der 24-Jährige hatte in der Haushaltsabteilung des Kaufhauses nach Messern gefragt. Er griff nach einem und stach als erstes die Verkäuferin nieder – sie starb. Es folgten zwei weitere Frauen, die die Attacken nicht überlebten. Sie hatten die Geburtsjahrgänge 1939, 1976 und 1992, wie der Polizeipräsident berichtet.

Markus Söder (CSU), Bayerns Ministerpräsident, beim Gedenkgottesdienst im Würzburger Kiliansdom.
Markus Söder (CSU), Bayerns Ministerpräsident, beim Gedenkgottesdienst im Würzburger Kiliansdom.

© dpa

Draußen attackierte der Mann weitere Passanten. Herrmann erzählt von Sanitätern, die ihm berichtet haben, wie „fürchterlich“ die Opfer zugerichtet gewesen seien. Insgesamt 800 Polizisten waren im Einsatz. Wichtigste Frage war zunächst: Gibt es Mittäter? Nichts deutete darauf hin, um 18.44 Uhr twitterte die Polizei über die Festnahme und dass nun „keine Gefahr für die Bevölkerung“ mehr bestehe.

Großes Lob gibt es für die Courage vieler Passanten. Auf privaten Filmclips, die es sogar in die TV-Nachrichten schaffen, ist zu sehen, wie Männer den Mann wegdrängen, wie sie mit Stühlen, Besen und anderem auf ihn losgehen. Dieser scheint mit dem Messer in der Hand und barfuß zu tänzeln oder zu schwanken.

Als der Polizeiwagen mit Blaulicht eintrifft, weisen Passanten den Weg in die Gasse. Das Verhalten war genau richtig, das bestätigen Polizei und Staatsanwaltschaft: In einer solchen Situation können Menschen dann viel erreichen , wenn sie sich solidarisieren, wenn viele mitmachen.

"Sein Dschihad"

Warum? Ist es die Bluttat, der Amoklauf, das Attentat eines psychisch Kranken? Oder eines Islamisten? Oder von beidem etwas? Für beides gibt es Hinweise. Herrmann sagt mehrfach, dass „das eine das andere nicht ausschließt“. Der Detektiv des Kaufhauses will gehört haben, dass der Somalier „Allahu Akbar“ gerufen hat: „Gott ist groß“ – eine übliche Parole radikaler Islamisten bei Anschlägen.

Polizeipräsident Kallert sagt, dass er in der Vernehmung meinte, er habe „seinen Dschihad“ verwirklicht – so bezeichnen muslimische Extremisten ihren „Heiligen Krieg“. Im Zimmer des Täters in einer Obdachlosenunterkunft wurde „Schriftmaterial mit Hassbotschaften“ gefunden, berichtet Armin Kühnert, Leiter der Kripo Würzburg. Die beiden Handys des Täters würden noch ausgewertet – das sei schwierig, weil man Dolmetscher für die somalische Sprache brauche.

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Auffällig ist, dass der Mann nur Frauen gegriffen und getötet hat – bis auf den Jungen. Warum? Weil er sie hasst? Weil er sie als schwächer ansieht? Oder war das Zufall? Die Ermittler wagen noch keine Einordnung. Bekannt ist aber, dass der Mann auch psychische Probleme hatte.

Wolfgang Gründler von der zuständigen Generalstaatsanwaltschaft Bamberg spricht von „Verhaltensauffälligkeiten“. So kam es im Januar 2021 zu einem Streit mit Mitbewohnern, bei dem der Täter zu einem Küchenmesser griff und es drohend gegen die Kontrahenten richtete, in 20 Zentimetern Entfernung. Es folgte ein Verfahren wegen Bedrohung und Beleidigung sowie die zeitweilige Einweisung in die Psychiatrie.

Weiter soll er einem Mitbewohner erzählt haben, dass er in Somalia schon als Zwölfjähriger Straftaten begangen habe – welche, das bleibt offen. Erst im Juni zeigte er sich erneut auffällig: Stellte sich vor ein Auto, stieg ein und forderte vom Fahrer, ihn an einen bestimmten Ort zu fahren. Die Psychiatrie ließ ihn gleich wieder gehen – das Verhalten sei nicht gefährlich. Wegen der Messer-Drohung läuft ein Verfahren, ein psychiatrisches Gutachten steht noch aus.

Hin und hergeschickt

Über die Biographie des Mannes weiß man wenig. Nüchtern listet Polizeipräsident Kallert die Fakten: Am 6. Mai 2015 nach Deutschland eingereist, bei der Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in Chemnitz registriert – noch vor den vielen Flüchtlingen, die ab September 2015 eintrafen.

Während des Asylverfahrens wurde er kreuz und quer durch Deutschland geschickt: Von Chemnitz in den Erzgebirgskreis, nach Düsseldorf, 2019 wieder nach Chemnitz und im September 2020 nach Würzburg. Er erhielt „subsidiären Schutz“ – ein Aufenthaltsrecht, solange in seiner Heimat Krieg herrscht und sein Leben dort bedroht ist. Warum er aber zuletzt im Obdachlosenheim in Würzburg-Zellerau strandete, ist unbekannt.

„Würzburg ist eine friedliche Stadt“, sagt am Sonntag Oberbürgermeister Christian Schuchardt, es klingt beschwörend. Man wolle „den Frieden in der Stadt erhalten“. Und er warnt vor „pauschalen Verurteilungen“, denn in Würzburg lebten viele Somalier.

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