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Ganze Wohnzimmereinrichtungen, Zelte und sehr viel weiterer Müll musste von Helfern nach dem Sputnik-Springbreak-Festival bei Bitterfeld weggeräumt werden.

© Steffen Schellhorn/imago images

Musikfestivals und die Umwelt: Spaß macht Müll

Am Mittwoch beginnt das Fusion-Festival. Oft lassen Festival-Besucher ganze Zeltstädte und Plastikberge zurück. Die Green Music Initiative will das ändern.

Sonntag ist Abreisetag. Der letzte Song ist gespielt und 70.000 Menschen machen sich auf den Heimweg. Wo eben noch Party war, bleibt zumeist Chaos zurück. Ravioli-Dosen, Bierbüchsen und Einwegbesteck, dazu ganze Zelte auf der einst grünen Wiese. Sommerzeit ist Festivalzeit – zurück von den Tagen im Ausnahmezustand bleiben oft gewaltige Müllberge, und sie werden immer größer, warnen Umweltschützer.

Initiativen und Veranstalter mahnen ein Umdenken an. Nachhaltigkeit wird zum Thema. Es gibt Konzepte zu Müllvermeidung, grünem Strom und anderem. Der große Wurf ist dabei noch keinem Festival gelungen, sagt Jacob Bilabel. Er arbeitet für die Green Music Initiative, eine nationale Plattform, die sich für mehr Umweltschutz in der Musikbranche einsetzt. Die „Fusion“, sagt er, bemühe sich vorbildhaft. Andere könnten sich an dem Festival, das an diesem Mittwoch im mecklenburgischen Lärz beginnt, manches abschauen.

Allgemein hätten Festivals ein Problem, sagt Bilabel: Man fährt raus aus der Großstadt und rauf auf die grüne Wiese, will dort aber auf nichts verzichten. Auszeit vom Alltag, aber bitte mit Anspruch sozusagen. „Die Menschen wollen alles, was sie in der Stadt auch haben: Strom, Wasser, Sanitär.“ Bei Festivals entstünden dadurch temporäre Kleinstädte im Niemandsland. Die Infrastruktur gibt es nicht her. Also setzten Veranstalter und Besucher auf „temporär“ und auf Einweg. Die Folge seien Plastikberge und Diesel- Generatoren, die die Luft verpesten.

In Deutschland gibt es jährlich mehr als 500 größere Festivals. Die Zahl wächst laut Bilabel stetig. „Festivals sind für viele inzwischen Teil des Sommers und der kleine Urlaub für viele.“ Pfand auf Becher seien gutgemeint. Aber wen kümmere das bisschen Geld, wenn man mehr als 100 Euro fürs Ticket gezahlt habe?

Zwei bis dreimal so viel Müll wie vor fünf Jahren

Ganz so einfach ist es nicht, sagt Bilabel. Was zurückbleibt, sei von Festival zu Festival verschieden. Kommerzielle Anbieter seien oft problematischer als zum Beispiel die „Fusion“ mit ihrem Konzept „Ferienkommunismus“. Das liege einerseits am Publikum, das tendenziell links-alternativ ist. Aber auch am Bewusstsein des Veranstalters. Der setzt neben Musik auf Kulturprogramm und Workshops.

Anderswo ist das Problem Plastik größer. Im Schnitt geht die Green Music Initiative davon aus, dass Festivalbesucher heute zwei bis dreimal so viel Müll liegen lassen wie noch vor fünf Jahren. Ravioli-Dosen und Bierbüchsen sind dabei nicht am schlimmsten. „Das große Drama sind die Zelte“, sagt Bilabel. Er verweist auf eine Statistik, nach der jedes dritte Zelt zurückbleibt.

Bei 70.000 Besuchern und im Schnitt zwei Personen wären das mehr als 10.000 Haufen aus Plastik und Aluminium. Bei der „Fusion“ versuchen sie, die Zelte wenigstens nicht wegzuwerfen. Auf Anfrage schreibt der Veranstalter Kulturkosmos aus Berlin: „Zurück gelassene Zelte werden selbstorganisiert für Initiativen und Gruppen gesammelt, die Zelte, Schlafsäcke und Isomatten weitergeben.“

Bilabel macht den Leuten nicht einmal einen Vorwurf. „Wenn Sie im Supermarkt das Festival-Sonderangebot kriegen, für 20 Euro ein Zelt und für fünf noch den Klappstuhl dazu“ – da sei es zum Schluss eben aufwändiger, es wieder mitzunehmen, als im Jahr danach einfach alles neu zu kaufen. An sich sei der Plastikverbrauch auf Festivals nicht wesentlich höher, als im Alltag. Der Unterschied nur: Bei Festivals sieht man die Massen. „Der Müllaufwand ist pro Kopf nicht größer. In Berlin wird er nur eben abgeholt.“

Das Problem ist der Aufwand selbst. Pro Kopf verbrauchen Deutsche laut Plastikatlas des Bund für Umwelt und Naturschutz 38 Kilogramm im Jahr – im EU-Durchschnitt sind es 24. Bilabel sieht hier den Gesetzgeber in der Pflicht. „Das lösen wir nicht, indem wir die Verantwortung privatisieren.“ Das gelte für den Müll ebenso wie für die Anreise. „Wenn Autofahren billiger ist als Bahnfahren, wie will ich jungen Leuten mit wenig Geld einen Vorwurf machen?“ Das Bewusstsein für die Nachhaltigkeit sei zwar gestiegen, sagt er. Stichwort Fridays for Future. Nur Markt und Politik zeigten es nicht.

Pfandsammelstellen, Komposttoiletten und vegetarische Kost

Bilabel hat zumindest ein Umdenken mancher Veranstalter festgestellt. Die „Fusion“ ist da nur ein Beispiel. „Auch das Wacken ist ziemlich grün. Hätten Sie das bei Heavy Metal vermutet?“

In Lärz bei der „Fusion“ gibt es neben Pfandsammelstellen auch Komposttoiletten. Sie sollen mittelfristig Chemietoiletten komplett ersetzen. „Ziel ist es, dass alle Dixis vom Festivalgelände verschwinden. Das spart Wasser und ist ressourcenschonend“, heißt es vom Veranstalter. Essensstände auf dem Gelände böten mit dem Verweis auf Massentierhaltung und Methanausstoß außerdem nur vegetarische und vegane Kost an. Im Ticketpreis ist ein Müllpfand enthalten, den es nur gegen den vollen Müllsack zurückgibt.

Die Veranstalter könnten nur motivieren. Das gilt auch für An- und Abreise, die den größten „Fußabdruck“ hinterlassen. Bei der „Fusion“ stellen sie mit dem „Bassliner“ extra Reisebusse. Laut Veranstalter kommen damit rund ein Drittel der Besucher. Dazu gibt es noch Shuttles von den Bahnstationen in der Umgebung. „Wir sind stolz, dass somit weit mehr als 60 Prozent der FestivalbesucherInnen ohne Pkw anreisen“, heißt es vom Veranstalter. Bei 70.000 Menschen sind das immerhin 42.000.

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