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Hält wenig vom Aufbrechen alter Strukturen. Isabelle Faust.

© promo

Musik: Solo für Beethoven

Die Berliner Geigerin Isabelle Faust ist auf dem Weg zum Weltstar. Jetzt hat Abbado sie gerufen.

In die Berliner Altbauwohnung von Isabelle Faust dringt durch hohe Fenster viel Licht ein. Auf dem Boden des ehemaligen Malerateliers ist ein japanisches Stillleben arrangiert, eine Wand wird durch ein großformatiges abstraktes Gemälde eingenommen. Auch in der Musik konzentriert sich die Geigerin mit dem markanten Kurzhaarschnitt auf das Essenzielle, zieht die ernsthafte Auseinandersetzung mit der Partitur grellen Effekten vor. „Vom Musizieren in Fernsehshows und Cross-over-Experimenten halte ich wenig“, sagt die gebürtige Baden-Württembergerin, die als kleines Kind den ersten Violinunterricht erhielt. Mit elf gründete sie ein Streichquartett und spielte als Teenager unter Leitung der Musikerlegende Yehudi Menuhin. Später zog die Preisträgerin des Paganini-Wettbewerbs für einige Zeit nach Frankreich. Als erfahrene Solistin tritt die passionierte Kammermusikerin weltweit mit bekannten Dirigenten und ihren Orchestern auf.

Ein besonders enges Vertrauensverhältnis hat Faust zu Claudio Abbado entwickelt. Nachdem sie in Italien seit Jahren mit seinem Orchestra Mozart und dem von ihm mitbegründeten Mahler Chamber Orchestra zusammengearbeitet hat, wird Faust auch in diesem Mai auf der Bühne stehen, wenn der langjährige Chefdirigent der Berliner Philharmoniker für drei Abende zu seinem Ex-Orchester zurückkehrt. Bereits Mitte Februar erscheint beim Label Harmonia Mundi die erste gemeinsame CD mit Violinkonzerten von Ludwig van Beethoven und Alban Berg, die sie mit dem Mozart-Orchester in Bologna eingespielt haben.

„Ich fühle mich sehr geehrt, denn Claudio Abbado hat das Beethoven-Konzert vorher noch nie aufgenommen“, erzählt die Geigerin. Sie zeigt sich beeindruckt davon, wie sich der Dirigent zu allen Stücken stets einen neuen Zugang sucht. „Wir haben vorher jeden kleinen Akzent und jeden Phrasierungsbogen genau unter die Lupe genommen. Später im Konzert ist diese Detailarbeit verinnerlicht. Die Musik strömt aus ihm heraus, und wir begleiten ihn auf diese Reise.“ Sie kenne kaum einen anderen Dirigenten, der so unermüdlich neue Orchester gründe. „Es genügt nicht nur, hervorragende Leute zusammenbringen, um einen idealen Klangkörper zu schaffen. Man muss erreichen, dass alle das gleiche Ziel verfolgen. Claudio Abbado hat eine ganz eigene Art zu dirigieren und mit Blicken zu kommunizieren.“

Wenn Faust unter Abbados Leitung im Mai das Berg-Konzert und zuvor beim Lucerne Festival zu Ostern mit seinem Bologneser Orchester Mozarts Violinkonzert A-Dur KV 219 aufführt, musiziert sie wie immer auf der „Dornröschen“-Stradivari aus dem Jahr 1704. Zu dem Instrument, das 150 Jahre lang verschollen war und schließlich durch Zufall auf einem Dachboden in Deutschland entdeckt wurde, hat sie eine besondere Beziehung. „Ein Streichinstrument hat sehr subtile Facetten, fast wie ein Mensch“, sagt sie. „Als ich die Geige 1996 zuerst in der Hand hatte, klang sie noch ganz verschlafen. Verteilt auf alle Saiten fand ich einige Töne, die mir himmlisch vorkamen. Es hat Jahre gedauert, uns voll aufeinander einzulassen. Inzwischen kennen wir beide uns in- und auswendig.“

Widmet sich Faust mit ihrem Duopartner Alexander Melnikov der historischen Aufführungspraxis, werden „Dornröschen“-Darmsaiten aufgezogen. „Bei der Entwicklung unserer musikalischen Identität haben wir uns gegenseitig viel zu verdanken“, sagt sie über den in Moskau geborenen Pianisten, mit dem sie seit fast einem Jahrzehnt auftritt. Sie glaubt, dass die kammermusikalische Zusammenarbeit ihren Solistenkarrieren geholfen hat: „Die gemeinsame musikalische Auseinandersetzung am Notentext hat uns auch individuell auf neue Wege gebracht.“ Im Januar spielten sie im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie Stücke von Felix Mendelssohn Bartholdy, Béla Bartók und Ferruccio Busoni. Oft wird das Duo auf seine preisgekrönte Einspielung sämtlicher Beethoven-Sonaten angesprochen. Nachdem sie mit dem Programm in Berlin vor zwei Jahren im Radialsystem zu erleben waren, führen sie den Zyklus nun im Februar auch in Tokio auf. „Beethoven nimmt bei uns einen großen Platz ein, die Sonaten gehören zum Kernrepertoire für Klavier und Geige“, erklärt Faust. „Ich bin froh, dass wir diese Werke über die Aufnahme hinaus weiterentwickeln können.“

Bei aller Skepsis gegenüber einer allzu gefälligen Vermarktung klassischer Musik will sich Faust dem direkten Kontakt mit dem Publikum keinesfalls verschließen. Für sie gibt es jedoch klare Grenzen. „Manchmal wird so viel Brimborium betrieben, um die Leute in ein Konzert zu locken. Darüber wird oft das konzentrierte und tiefe Zuhören vergessen.“

Nur selten würden starre, verkrustete Formen aufgebrochen, ohne dass die Musik in den Hintergrund trete, vermutet sie. „In ungewöhnlichen Spielstätten reicht die Akustik für ein intensives Hörerlebnis oftmals nicht aus. Geht es nicht eher darum, dass es schicker ist, ein Konzert in eine Fabrikhalle zu verlegen? Solche Experimente sind aber nur dann förderlich, wenn man sich tatsächlich auf die Essenz der Musik konzentrieren kann.“ Dass in der Schule bereits eine solide Basis gelegt werden muss, hält die Mutter eines Sohnes im Teenageralter für unverzichtbar. Umso unverständlicher sei es, dass an vielen Berliner Schulen Kunst- und Musikunterricht halbjährlich im Wechsel stattfindet. Wer da keine Unterstützung durch die Familie erhalte, habe es in jedem Fall schwerer, einen Zugang zur klassischen Musik – und zur Kunst allgemein – zu finden.

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