zum Hauptinhalt

Mord an Gianni Versace: Als die große Liebe starb

Sie waren ein Paar, bis Gianni Versace erschossen wurde. Sein Geliebter erinnert sich an den Mord, den Glamour Mailands und die Rache des Mode-Clans.

Zum Grab darf er nicht. Durfte er nie. Das haben die Geschwister verboten. „Sie misstrauten mir immer“, sagt der Mann, der aussieht wie eine schlankere Version von George Clooney. 49 Jahre alt, groß, schmal, grau melierte Haare. Ein Model und Modemann. Antonio D’Amico. Er sitzt in einer Mailänder Bar. Und spricht über zwei Schüsse, die heute vor zehn Jahren auch sein Leben zerstörten.

Am 15. Juli 1997 tötete der homosexuelle Callboy Andrew Phillip Cunanan, 27, der da bereits im Verdacht stand, zuvor vier weitere Personen ermordet zu haben, vor der prachtvollen Villa „Casa Casuarina“ am Ocean Drive in Miami/Florida den italienischen Modemacher Gianni Versace, 50 Jahre alt und seit den 80er Jahren einer der ganz Großen der Branche, durch zwei Schüsse, abgegeben aus nächster Nähe.

Versace und D’Amico sind zu dem Zeitpunkt seit 15 Jahren ein Paar.

Die Beerdigung kurz darauf findet am Comer See, Italien, statt. Im Garten der Villa Fontanella, wo Versace und D’Amico viel Zeit verbracht haben.

Ein Zeichen der Annäherung zwischen dem Geliebten und der Familie ist das aber nicht. Nach Versaces Tod wurde aus dem Misstrauen, das man ihm, dem Emporkömmling entgegenbrachte, offene Ablehnung. Auf dem Grundstück, das Versace und er jahrelang bewohnten, ist er unerwünscht, eine persona non grata.

Schon in der Trauerrede im Mailänder Dom – Stars wie Elton John und Lady Di waren aus der Sommerfrische herbeigeeilt – wurde allein an den Modeschöpfer, Sohn, Bruder und Onkel Gianni Versace erinnert. Der Partner D’Amico wurde mit keiner Silbe erwähnt. Den Kopf gesenkt, wie ein gerügtes Kind, so sieht man ihn auf den Fotos von der Zeremonie.

Bevor in den USA Andrew Cunanan vom FBI verhaftet werden kann, begeht er Selbstmord. In den Medien wird spekuliert über eine mögliche Beziehung zwischen dem Täter und dem Toten.

Antonio D’Amico hat ein Foto von Versace, das er liebt. Versace lacht darauf. Vergnügt und sorglos. Wie ein „erwachsenes Kind“, sagt D’Amico. Er wird es heute herausholen und anschauen. Er wird vielleicht weinen müssen, seine Stimme wird bei der Vorstellung brüchig und leise. Die Hände zittern. Als wären nicht Jahre, als wären nur Monate, Wochen vergangen seit dem Mord.

Denkt er an die Zeit zurück, als er Gianni Versace kennenlernte, an das Mailand von 1982, dann denkt er an einen Winterabend in der berühmten Scala, an Schwarz, kräftiges Gelb und glitzerndes Grün. Das waren die Farben der Kostüme, der eingeschnittenen Strumpfhosen, unter denen nackte Haut aufblitzte, Kostüme die „wie ein Blitzschlag der Moderne“ aussahen, wie D’Amico sagt. Versace hatte sie entworfen, erstmals für das Opernhaus, ein Ereignis war das in Mailand. Antonio D’Amico, damals 23 Jahre alt, erschien als Begleitung eines begüterten Freundes erst bei der Premiere, dann beim Gala-Dinner. Der 13 Jahre ältere Modemacher Versace reichte ihm die Hand, sah in seine Augen, einen Moment zu lang, dann begrüßte er die anderen Gäste. Später kehrte er noch mal zu Antonio zurück und lud ihn an seinen Tisch ein. So hat es angefangen.

Passiert sei damals nichts, erinnert sich D’Amico. Auch in den folgenden vier Wochen nicht. Er war als Model für eine Japan-Tournee italienischer Designer gebucht. Für die Schau habe er „einen Haufen Geld“ bekommen, sagt er. Damals auch eine Art Kompensation für die Arbeit in einer schlecht beleumundeten Branche. Denn 1982 galt die simple Formel „Model = schwul“ – und das war im erzkatholischen Italien eine vernichtende Gleichung.

Zur gleichen Zeit platzte die Mode- und Glamourwelt aus allen Nähten. Die 80er Jahre, das war „Milano da bere“ (etwa: Mailand in einem Schluck). Wie alle Mailänder zitiert D’Amico den Werbespruch von Campari, der die Atmosphäre der Stadt einfing. Das Geld floss, Bars, Clubs und Restaurants schossen aus dem Boden, „die Zeitungen verglichen uns mit New York“, sagt D’Amico. Er schwärmt davon, wie man nach der Arbeit in die Bar „Primadonna“ ging, einen Aperitiv trank und vielleicht auf den jungen Mick Hucknall von der Band Simply Red oder Eric Clapton traf. Wie die Frauen die Haare hoch sprayten, „als seien sie Löwinnen“.

Zurück aus Japan hörte D’Amico den Anrufbeantworter ab. Fünf Nachrichten von Gianni Versace, zunehmend genervt klangen sie, weil der junge Mann so gar kein Interesse an dem Star-Designer zu haben schien. Er, der mit Giorgio Armani in den frühen 80er Jahren den Ruhm der Modestadt in die Welt, vor allem nach Hollywood hinaus trug, sprach Nachrichten auf das Band eines unbekannten Schönlings. Natürlich rief D’Amico zurück, „ich war doch geschmeichelt, dass ein Mann wie Gianni mich hofierte“. Er wurde eingeladen zu einem Abendessen in Versaces Haus an der Via Mozart, die Männer trafen sich zwei Mal die Woche, nach drei Monaten fast täglich, in der Modefirma redeten die Angestellten spöttisch vom „amichetto del turno“ – dem Jungen der Saison, nach einem Jahr bat Versace den jungen D’Amico bei ihm einzuziehen und bot ihm eine Stelle an. Antonio D’Amico stieg vom ständigen Begleiter zum Chef einer neuen Linie auf.

Er wurde verantwortlich für die sportive Richtung, entwarf Kleidung für Tennis oder Golf. Der Patron Gianni kontrollierte die Kollektionen wie ein Herrscher, verlangte nach edleren Stoffen – blitzte damit aber bei Antonio ab, weil die Hemden, Hosen, Jacken zu teuer für den Laden geworden wären. „Ich war der Einzige, der mit ihm streiten durfte“, sagt D’Amico.

Versace hat aus D’Amico einen Jemand gemacht. Nach dessen Tod wurde der Geliebte wieder ein Niemand.

D’Amico erinnert sich an den 15. Juli vor zehn Jahren und als erstes fällt ihm das geöffnete Gittertor ein. Das Gittertor, das den Ocean Drive von der „Casa Casuarina“ trennt, die Uferpromenade von der Villa, ist eigentlich immer geschlossen. Darauf hatte Gianni Versace geachtet. Auch wenn er, wie jeden Morgen, nur kurz zum nahe gelegenen News Café spaziert und Tageszeitungen kauft. Als Antonio an jenem heißen Morgen, es ist gegen acht Uhr, am Frühstückstisch sitzt, mit einem kubanischen Freund plaudert, eine Schale Müsli vor sich, einen Tennisschläger neben sich, denn gleich wollen die beiden eine Partie spielen, hört er einen Knall, dann noch einen. Er schaut aus dem Fenster. Alles was er sieht, ist die geöffnete Pforte. Sofort denkt er: Irgendetwas stimmt nicht.

Antonio D’Amico rennt aus dem Haus, er sieht auf der Treppe „Blut, überall Blut“, er erkennt den Freund auf dem Boden, vielleicht schreit D’Amico, genau weiß er es nicht mehr. Er hat einen Schock. In seinen kurzen Tennishosen zittert er in der glühenden Sonne. Als der Krankenwagen abfährt, kehrt D’Amico ins Haus zurück. Die Sanitäter nehmen ihn nicht mit, weil er nicht zur Familie zählt. Auch wenn er seit 15 Jahren Giannis Lebenspartner ist. Später beantwortet er wie in Trance Fragen auf dem Polizei-Revier, vom Nachmittag bis nach Mitternacht. Nachts liegt er auf dem Bett, blickt stundenlang an die Decke und hofft, dass das alles nicht wahr ist.

Im Testament verfügte Versace, dass Antonio sämtliche Häuser und eine monatliche Apanage von knapp 25 000 Euro erhalten soll. Im selben Testament gingen seine Geschwister leer aus, Gianni vererbte die Firma an Allegra, die kleine Tochter seiner Schwester Donatella. Der letzte Wille schockte die Familie – und entzweite D’Amico und den Versace-Clan endgültig. Als Friedensgeste überschrieb Antonio die Häuser an die Versaces. Die Familie dankte es ihm mit dem Verbot, das Grab zu besuchen.

D’Amico hatte über all die Jahre, aus dem Gefühl heraus, dass er in Versaces Häusern der Gast war, seine eigene Wohnung an der Mailänder Porta Nuova behalten. „Meine Bücher, meine Sammlung antiker Gläser, die blieben dort, ich hätte sie nie in seine Häuser stellen dürfen“, sagt er. Er hat sich an den Besitzverhältnissen nicht gestört, sie waren ihm von Anfang an klar und akzeptabel erschienen. Aber vielleicht trieb den Stil-Diktator Gianni Versace ein schlechtes Gewissen darüber um, das er mit seinem Letzten Willen besänftigen wollte.

Die Sammlung antiker Gläser steht heute in Regalen am Gardasee, die Mailänder Wohnung hat D’Amico verkauft, nach einer missglückten Kurzkarriere als Mode-Designer und einem Selbstmordversuch 2001. „Ich habe nicht gelebt, ich habe überlebt“, sagt er. Er hat Geld, eine Leibrente, auf die er 63 Prozent Erbsteuern zahlen muss, weil er kein Angehöriger ist, nur Lebensgefährte war. Aber die Freunde sind ihm geblieben: Elton John hat ihn zu seiner Hochzeit nach Windsor eingeladen. Hingefahren ist Antonio D’Amico nicht. Er hat einen Keramik-Armleuchter mit Engelsfiguren als Geschenk geschickt.

Wie Schätze bewahrt D’Amico stapelweise Fotografien von früher auf, überall im Haus erinnern sie an Gianni Versace, daran hat auch der neue Freund in D’Amicos Leben nichts geändert. Von der Mode will er aber nichts mehr wissen, hat inzwischen ein Restaurant eröffnet, will im Herbst eine Fernsehsendung produzieren, in der er die gemeinsamen Freunde zu Hause besucht. Mailand erträgt er nur noch als Pflichtübung.

„Ich habe mein Gleichgewicht wieder gefunden“, sagt er und macht sich auf den Heimweg. Eilig und erleichtert, denn er schafft es jetzt wahrscheinlich noch, vor dem Feierabendverkehr aus dieser Stadt raus zu sein. Und zügig Fahrt aufnehmen zu können.

Zur Startseite