zum Hauptinhalt
Zar Nikolaus II. im Jahr 1914 mit einem Teil seiner Familie.

© picture-alliance/ dpa / bildfunk

Mord an der Zarenfamilie vor 100 Jahren: Auf den Spuren der Romanows

Am 17. Juli 1918 wurden Russlands Zar Nikolaus II. und seine Familie in Jekaterinburg ermordet. Am Ort des Verbrechens spüren viele diesem Martyrium auch heute noch nach.

In erhabenem Weiß und mit goldenen Kuppeln steht auf einem Hügel in Jekaterinburg die Kirche Auf dem Blute. 67 Meter hoch und 2003 fertiggestellt. Sie erhebt sich an dem Ort in der Uralmetropole, an dem sich vor 100 Jahren ein Verbrechen ereignete, das die russische Gesellschaft noch immer beschäftigt. Am 17. Juli 1918, kurz nach Mitternacht, wurden der gefangene Zar Nikolaus und seine Familie von ihrem Wachkommando geweckt und zur Erschießung beordert. Im Keller des damaligen Ipatjew-Hauses wurden die Romanows, unter ihnen fünf Kinder, regelrecht abgeschlachtet.

In den Kirchen hängt der Zar als Ikone

Danach suchten die Mörder nach einer geheimen Stelle, um sich der Leichen zu entledigen. Die Wahl fiel auf ein Kohlebergwerk, genannt Ganina Jama, 20 Kilometer außerhalb von Jekaterinburg. Hier ist Nikolaj Romanow heutzutage allgegenwärtig: In der Cafeteria blickt er in blauer Uniform von einem Bild, im Klostershop kann man sein Antlitz als goldener Anhänger erstehen oder Zarenwasser kaufen – 0,5 Liter für 50 Rubel. In den Kirchen hängt er hundertfach als Ikone.

Das Kloster Ganina Jama nahe Jekaterinburg verehrt den letzten Zaren als Heiligen, zu dem ihn die orthodoxe Kirche im Jahr 2000 erklärt hat. Sieben Kapellen aus Holz sind hier in den Wald gebaut, ausgestattet mit modernsten Elektroinstallationen, so dass es warm ist im Winter und kühl im Sommer. Das Herzstück der Anlage bildet eine hügelige, grasbewachsene Lichtung, um die ein überdachter Rundweg führt: der frühere Schacht Nummer sieben, der Ort, an den die Bolschewiki die Leichen Nikolajs und seiner Familie nach der Exekution am 17. Juli 1918 brachten.

Seine letzte Ruhe hat er immer noch nicht gefunden

In dem Kloster, dessen Grundstein im Jahr 2000 gelegt wurde, glauben die Monarchisten, dem Martyrium der Romanows nachspüren zu können. Doch ist die Anlage vielmehr ein Ort, an dem zu spüren ist, dass das Schicksal der Zarenfamilie Russland noch immer umtreibt – und Nikolaj seine letzte Ruhe noch nicht gefunden hat.

Denn tatsächlich lagen die Gebeine der Romanows nur kurz in der Grube, bevor sie an einen anderen Ort transportiert wurden. Das wird in Ganina Jama mit keinem Wort erwähnt. Die Kirche hängt der „Verbrennungsthese“ an, die besagt, dass die Gebeine der Zarenfamilie hier „vernichtet“ wurden, wie es an einer Informationstafel heißt. Sie hält damit an einer frühen Version des Tathergangs fest, wie sie im Bericht des Ermittlers Nikolaj Sokolow niedergeschrieben wurde, die der heutigen Faktenlage nicht stand hält.

Zur Leibesertüchtigung wurde Schnee geschaufelt

Nach seiner Abdankung im März 1917 waren Nikolaj und seine Familie von der provisorischen Regierung unter Hausarrest gestellt worden. Sie saßen in ihrer Residenz in Zarskoje Selo bei St. Petersburg in einem „goldenen Käfig“. Nikolaj las der Familie aus dem „Graf von Monte Christo“ vor, Alix stickte, die Kinder erhielten Französischunterricht, zur Leibesertüchtigung wurde Schnee geschaufelt.

Im August 1917 wurde die Familie samt Bediensteten in das sibirische Städtchen Tobolsk evakuiert. Als sich im November die Bolschewiki an die Macht putschten und der Bürgerkrieg ausbrach, wird die Lage der Familie noch schwieriger. Im April 1918 gelangten die Romanows nach Jekaterinburg im Ural.

Sie saßen im so genannten Ipatjew-Haus fest, von der Öffentlichkeit abgeschottet. „Die Versorgung war erbärmlich, die Behandlung rüder und der Bewegungsspielraum noch enger – sogar Gottesdienste hielt ein dazu eingeladener Geistlicher im Haus ab“, schildert Dalos.

Die Gebeine wurden per Gentest identifiziert

Nach dem Mord verbrannten die Bolschewiki die Kleidung und beförderten die Körper in jenen Schacht, um den herum heute das Kloster steht. Wenig später wurden sie an einenen anderen Ort umgelagert. Am 25. Juli 1918 fiel Jekaterinburg an die Weiße Armee. Im Jahr darauf schrieb der Ermittler Sokolow seinen Bericht von der Verbrennung.

Solange die Sowjetunion existierte, durfte das Geheimnis der Zarenfamilie nicht gelüftet werden, obgleich schon in den späten 1970er-Jahren zwei Männer den eigentlichen Bestattungsort ausfindig machten. Im Jahr 1991 wurden an dieser Stelle menschliche Überreste gefunden, die man in Gentests als Mitglieder der Zarenfamilie identifizierte. Bestattet hat man die Gebeine in der St. Petersburger Peter-und-Paul-Kathedrale – ohne den Zarewitsch Alexej und seine Schwester Maria, deren Überreste erst 2007 im Waldgebiet Porosjonkow Log gefunden und die bis heute nicht beigesetzt wurden.

Russlands erster Präsident Boris Jelzin veranlasste damals die Zeremonie. Auch die Biografie des langjährigen Jekaterinburgers kreuzt die der Zarenfamilie mehrfach. Als Chef des Swerdlowsker Gebiets war er in den späten 1970er-Jahren verantwortlich für den Abriss des Ipatjew-Hauses im Zuge der Neugestaltung des gesamten Stadtviertels. Mittlerweile steht an Stelle des Hauses das riesige orthodoxe Gotteshaus – die Kirche auf dem Blut. Auch hier werden die Mitglieder der Zarenfamilie als Märtyrer verehrt.

Zum Gedenktag werden Tausende erwartet

Die Kirchenführung wirft Jelzin wegen der Schleifung des Todeshauses die Beseitigung historischer Spuren vor. Doch auch sie stemmt sich auf ihre Art gegen die Aufklärung und erkennt die Echtheit der menschlichen Überreste nicht an, denn für sie gibt es keine – die Romanows wurden ja verbrannt. Dieser offiziellen Kirchen-Version folgen auch die tausenden Pilger, die alljährlich ihren Fußmarsch von der Jekaterinburger Kirche Auf dem Blut in das Kloster Ganina Jama antreten. Zum hundertjährigen Gedenktag an diesem Dienstag werden besonders viele Teilnehmer erwartet.

Ein einfaches Schild, daneben der Bahndamm und eine Gasleitung

Den Ort im Wald, an dem die Gebeine der Zarenfamilie lange lagen, lassen sie dabei aus. Heute steht dort ein einfaches Schild mit der Bezeichnung „Gedenkstätte der Romanows“, daneben verläuft ein Bahndamm und eine Gasleitung. Ohne den orthodoxen Pomp von Ganina Jama erinnern mehrere Holzkreuze und Grabsteine an die Stelle, wo die Gebeine im Waldboden gefunden wurden. Dort die Eheleute, drei ihrer Kinder und die Bediensteten und ein paar Meter weiter im Wald der Zarewitsch und Maria. „Hier hat man die Mitglieder der Zarenfamilie und ihre Vertrauten vor den Menschen versteckt“, steht auf einem Gedenkstein. Ein Satz, der in mancher Hinsicht auch für die Gegenwart zu passen scheint.

Jutta Sommerbauer

Zur Startseite