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1986 stellte Kuratorin Anne Pingeot (in Rot) François Mitterrand (3.v.l.) und Valéry Giscard d'Estaing (l.) das Musée d’Orsay vor.

© AFP

Mitterrands Briefe an seine Geliebte: Die Frau in seinem Schatten

Zwischen 1962 und 1995 schrieb Frankreichs Ex-Präsident François Mitterrand seiner heimlichen Geliebten über 1200 Briefe - an diesem Donnerstag erscheinen sie in Buchform.

Die Franzosen sind es gewohnt, dass Intimitäten oder Pseudo-Intimitäten von Politikern in der Öffentlichkeit ausgebreitet werden. So gibt es seit Jüngstem im Fernsehsender M6 eine Sendung namens „Une ambition intime“ („ein intimer Wunsch“), in der die Kandidaten für die bevorstehende Präsidentschaftswahl über ihr Privatleben Auskunft geben sollen. Die Sendung ist der bisherige Höhepunkt einer Medienentwicklung, in der Politiker dem Publikum in erster Linie als „People“ aus Hochglanzmagazinen präsentiert werden. So war Präsident François Hollande auf dem Motorroller auf dem Weg zu seiner Geliebten Julie Gayet zu sehen, ausführlich breitete dessen Vorgänger Nicolas Sarkozy sein Privatleben aus – mitsamt den Irrungen und Wirrungen der Beziehung zu seiner zweiten Frau Cécilia und der anschließenden glamourösen Verbindung mit Carla Bruni.

An diesem Donnerstag erscheint nun in Frankreich ein Buch, das auf eine Epoche verweist, als das Liebesleben von Frankreichs Präsidenten für die Öffentlichkeit noch tabu war. Anne Pingeot, die langjährige heimliche Geliebte von François Mitterrand, hat die mehr als 1200 Briefe zur Veröffentlichung freigegeben, welche der sozialistische Politiker ihr über drei Jahrzehnten hinweg schrieb. Wobei die Beziehung im engsten Kreis um Mitterrand kein Geheimnis war: Als er 1981 Präsident wurde, quartierte er Anne Pingeot mit der gemeinsamen Tochter Mazarine in einer Dienstwohnung am Seine-Ufer in Paris ein. Sowohl Mitterrands Ehefrau Danielle als auch seine Söhne wussten von dem Doppelleben. Auch einige Journalisten waren eingeweiht, durften aber nichts über die Geliebte schreiben. Von der Existenz von Mitterrands unehelicher Tochter erfuhr Frankreich erst bei dessen Tod.

Liebesschwüre auf höchstem Niveau

Das Buch „Lettres à Anne. 1962 - 1995“ („Briefe an Anne“) gibt Auskunft über eine tief gehende Verbindung zwischen dem in der Öffentlichkeit stehenden Politiker Mitterrand und einer Frau, die im Verborgenen bleiben musste. Banales wie das Wetter spielt in den Briefen Mitterrands an Anne Pingeot ebenso eine Rolle wie Geistiges – die gemeinsame Liebe zur Literatur – und natürlich auch nicht nur rein Geistiges: „Oh Verlangen nach Deinen Armen, nach Deinem Wesen, dem Feuer und den Wellen, dem Schrei, der uns in eine andere Welt versetzt.“ Der Stil Mitterrands hat literarische Qualität. Aus heutiger Sicht entfalten die Briefe eine ganz andere Wucht als etwa eine SMS, wie sie etwa Sarkozy kurz vor seiner Hochzeit mit Carla Bruni an seine Cécilia schrieb: „Wenn Du zurückkommst, sage ich alles ab.“

Dass Anne Pingeot die Briefe ausgerechnet jetzt zur Veröffentlichung freigibt, hat seinen Grund. Am 26. Oktober jährt sich der 100. Geburtstag Mitterrands, der bei Frankreichs Sozialisten immer noch als Ikone gilt. Das war für Pingeot offenbar der richtige Zeitpunkt, um den Franzosen vor Augen zu führen, dass sie die eigentliche Liebe im Leben Mitterrands gewesen ist. Freilich hatte der neben ihr noch weitere Geliebte.

Die Familie hatte nichts gegen eine Veröffentlichung der Briefe

Gegen die Veröffentlichung der Briefe hatten weder Anne Pingeots Tochter Mazarine noch noch deren Halbbrüder etwas einzuwenden. „Dies sind sehr schöne Texte“, urteilte Mitterrands ältester Sohn Jean-Christophe. Wie die 2011 gestorbene Danielle Mitterrand, die offizielle Witwe des einstigen Staatschefs, auf die Briefe reagiert hätte, darüber kann man nur spekulieren. Man mag sich die Kränkung vorstellen, die sie angesichts des Doppellebens ihres Mannes erfuhr: Weihnachten, Wochenenden und romantische Abende verbrachte er mit der Geliebten, während Abendessen mit Freunden in Gegenwart der offiziellen Ehefrau stattfanden.

Einen Eindruck von diesem Doppelspiel vermittelt ein Foto aus dem Jahr 1986. Es entstand bei der Einweihung des Pariser Kunstmuseums „Musée d’Orsay“. Darauf ist die Konservatorin Anne Pingeot zu sehen, die sich zuvor auf Mitterrands Rat hin zur Kunsthistorikerin hatte ausbilden lassen und an diesem Tag die Führung der prominenten Gäste übernahm. Der Frau in Rot gegenüber stehen ein ernst wirkender Präsident und dessen interessiert zuhörender Amtsvorgänger Valéry Giscard d’Estaing, der die Entscheidung zum Umbau des früheren Bahnhofs in ein Museum getroffen hatte. Giscard d’Estaing wusste offenbar – anders als enge Berater Mitterrands – nichts von der Liaison.

Briefe zeigen "Sphinx" Mitterrand in einem menschlicheren Licht

Bis heute gilt Mitterrand als berechnende „Sphinx“, der Freund und Feind über seine politischen Motive im Unklaren ließ. Die Briefe, die er an Anne Pingeot schrieb, zeigen ihn nun in einem anderen Licht. „Du bist das Glück meines Lebens gewesen“, schrieb er in seinem letzten Brief im September 1995. Knapp vier Monate später starb er an den Folgen einer Krebserkrankung. Auch die hatte er jahrelang vor der Öffentlichkeit geheimgehalten.

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