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Die Polizei von Rotherham muss sich mit dem Vorwurf auseinandersetzen, sie habe die asiatische Gemeinschaft in der Stadt nicht über die Täter informiert.

© dpa

Missbrauchsskandal in England: Das Schweigen der Ämter

Aus Angst vor Rassismus-Vorwürfen ignorierten britische Sozialarbeiter jahrelang Missbrauchsfälle. Jetzt beginnt in Großbritannien die große Abrechnung.

Nach dem Skandal eines tausendfachen Kindesmissbrauchs im englischen Rotherham beginnt nun die große Abrechnung. Gleichzeitig wird in ganz Großbritannien in Städten mit einem großen muslimischen Bevölkerungsanteil die Frage laut, ob auch jenseits der Stadt Rotherham die übertriebene Angst vor Rassismus-Vorwürfen die Aufklärung schlimmer Verbrechen verhindert. Über 16 Jahre hinweg wurden schätzungsweise 1400 Jungen und Mädchen von vorwiegend asiatischen Männern systematisch abhängig gemacht und als Sex-Objekte herumgereicht – und die Gesellschaft ließ sie im Stich. Hinter den Taten steckte eine Bande von Männern mit Wurzeln in Pakistan. Sozialarbeiter behaupteten, sie hätten Angst gehabt, als rassistisch zu gelten, wenn sie gegen die nach außen unbescholtenen Familienväter, die zu Tätern wurden, vorgegangen wären.

Der Polizeichef der Region South Yorkshire, Shaun Wright, war als Mitglied im Stadtrat von 2005 bis 2010 für den Kinderschutz zuständig. Aber von einem Rücktritt wollte er auch am Donnerstag nichts wissen.

Abgeordneter mit pakistanischen Wurzeln: Wir haben ein Problem

Wenige sagten es so unverblümt wie der Europaparlamentarier der EU-kritischen Partei Ukip für die Region Yorkshire, Amjad Bashir. „Unsere Gemeinschaft muss akzeptieren, dass wir ein Problem haben“, erklärte Bashir, der selbst pakistanischen Ursprungs ist. Bashir kritisierte allerdings auch die mangelnde Information durch die Polizei. Die Beamten hätten nach den Worten des EU-Abgeordneten jahrelang verhindert, dass die asiatische Gemeinschaft von Rotherham über das Unwesen ihrer pakistanischen Mitbürger ins Bild gesetzt wurde.

Nicht weniger offen äußerte sich der ehemalige Labour-Abgeordnete des Wahlkreises Rotherham, der frühere Europaminister Denis McShane. Niemand habe ihn während seiner 18-jährigen Tätigkeit als Abgeordneter auf das Problem angesprochen, aber ihm sei „die Unterdrückung von Frauen in Teilen der Muslimgemeinschaft bewusst gewesen“, sagte er mit Blick auf die Tatsache, dass die Täter vor allem Mädchen im Visier hatten. Als liberaler Linker habe er die Sache allerdings nicht so hoch hängen wollen, begründete MacShane sein Schweigen.

Polizeiberichte machten den Reporter der "Times" stutzig

Der Missbrauchsskandal war 2011 von der Zeitung „Times“ aufgedeckt worden. Deren Reporter Andrew Norfolk war durch eine Serie ganz ähnlicher Polizeiberichte und Prozesse in Yorkshire stutzig geworden. Die Opfer waren immer zwischen 12 und 15 Jahre alt, der erste Kontakt mit den Tätern kam stets in der Öffentlichkeit – einem Einkaufszentrum, einem Bahnhof – zustande, notierte Norfolk. Die Mädchen ließen sich gefügig machen, weil sie durch die Aufmerksamkeit der etwas älteren jungen Männer geschmeichelt waren. Und fast immer handelte es sich bei den Tätern um Asiaten. Als der Journalist im August 2010 im Radio von einem Prozess in Manchester hörte, bei dem neun Männer verurteilt wurden, wurden keine Namen genannt. „Ich hätte meine Lebensersparnisse gewettet, dass es muslimische Namen waren“, sagte Norfolk.

2011 berichtete die „Times“ zum ersten Mal groß über die asiatischen „Sexbanden“ und die „Verschwörung des Schweigens“ im Establishment. Damit war ein Tabu gebrochen. In britischen Prozess- und Polizeiberichten wird nie Bezug auf Hautfarbe oder ethnische Herkunft genommen. Aber nun ließ sich nicht mehr darüber hinwegsehen, dass es unter den Muslimen auch Menschen gibt, die weiße Mädchen aus Verachtung für westliche „Unmoral“ als „Flittchen“ betrachteten, systematisch ausbeuteten und erniedrigten. In einem Fall in Rochdale wurde ein Mädchen betrunken gemacht und in einer Nacht von 25 Männern vergewaltigt.

Nur die Polizei und Stadträte von Rotherham taten sich weiter mit der Aufklärung schwer. 2012 berichtete die „Times“ gezielt über Rotherham und den Fall des Mädchens Amy. Der Zeitung lagen 200 Dokumente vor, denen zufolge „Polizei und Gemeindebehörden genau wussten, was Hunderten von Mädchen passierte“. Oft lagen auch die Namen der Männer vor, die die Verbrechen verübten. Aber dennoch hätten die Behörden weggesehen, schrieb Andrew Norfolk am Donnerstag in der „Times“. Nachdem der Bericht über den Skandal in der Zeitung erschienen war, ordnete der Gemeinderat eine Untersuchung an. Dabei ging es aber nicht etwa um den Missbrauch, sondern um die Frage, wer die „Times“ informierte. Erst vor einem Jahr wurde in Rotherham der Bericht in Auftrag gegeben, der nun Schlagzeilen machte und das Ausmaß des Skandals offenlegte.

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