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Panorama: Luigi Colani: Der Designer verlässt schmollend Berlin und sucht auf Usedom eine neue Heimaten

Die Rettung des Ostens soll sich vom Meer aus in einer Wellenbewegung über die Länder ergießen. Bis nach Berlin.

Die Rettung des Ostens soll sich vom Meer aus in einer Wellenbewegung über die Länder ergießen. Bis nach Berlin. Und bis jeder sagen wird, hier sei ein Mann am Werk, den hätten wir in Berlin halten müssen. Doch nun packt der Designer Luigi Colani seine millionenteuren Klamotten, baut seine weltweit verstreuten Zelte ab und zieht in die ostdeutsche Provinz.

Eigentlich war Colani schon immer ein Ultrakonservativer. In Frankreich bewohnt er das Schloss eines napoleonischen Generals, mit Millionen konserviert. Nun zieht es ihn nach Usedom, ins kleine Zinnowitz mit seiner hundert Jahre alten Bäderarchitektur: rechts ein Türmchen, links ein Erker, in der Mitte Loggien und Balkone.

Hier sind die Ecken noch eckig und nicht rund wie bei Colani. Keine Stromlinienform weit und breit. Allenfalls die Konzertmuschel an der Strandpromenade passt zu Colani, dem "Erfinder des Biodesigns". Sein neuer und von nun an zentraler Standort aber, das ehemalige Kulturhaus der Wismutkumpel, ist pure Addition von Ecken und Kanten. Stalinistischer Klassizismus von gigantischer Dimension und so wieder passend zum Extremisten Colani, der sagt: "Ich würde auch in die Reichskanzlei ziehen. Ich bin so stark, dass ich die mit all ihrem Marmor vernaschen würde."

Die Gefahr, sich am ehemaligen Kulturhaus für Deutsch-Sowjetische Freundschaft die Zähne auszubeißen, ist hingegen gering. Von der Decke des seit nunmehr fast zehn Jahren ungenutzten Gebäudes baumeln Fetzen aus Gips. Früher wurden hier die Urlauber des Wismut-Feriendienstes mit Kultur und Käsestullen versorgt. Das "Erste Seebad der Werktätigen" war zu 80 Prozent von der SDAG-Wismut okkupiert, einem der reichsten Betriebe der DDR. Anfang der 50er Jahre entstand der pompöse Kulturpalast mit zentralem Speisesaal und Großküche, mit Café, Bibliothek und einem tausend Besucher fassenden Veranstaltungssaal. Auf der Bühne des Volkes produzierte sich Meister Nadelöhr, aber auch Mielke & Co; Karl Eduard von Schnitzler weihte hier die Jugend der Insel dem Staate. Doch für die Zinnowitzer zählen nur noch die Erinnerungen an Helga Hahnemann und die schönen Familienfeiern.

Colani hat mit dem Identifikationspotenzial dieses Stücks DDR-Geschichte keine Berührungsängste. Im Gegenteil: "Haltet euch fest. Wir werden hier wieder die DDR-Nationalhymne singen", tönt der Wahl-Ossi, die Brasil fest zwischen den Lippen ("Nur Deppen rauchen Havanna"), und plant im ehemaligen Kulturhaus eine "Design-Soap-Opera" revolutionären Ausmaßes, um endlich "das Ying und Yang der beiden deutschen Staaten wiederherzustellen". Mit der "partiellen Wiedererweckung vergangener Zeiten" sucht er strömungsgünstigen Zugang zu den wunden ostdeutschen Herzen. Colani fühlt sich ihnen gewissermaßen verwandt. "Abgezockt von den Armani-Ärschen in den Vorstandsetagen des auf dem Stängel verfaulenden Westens", habe er die Schnauze voll von jenem Teil Deutschlands. Zinnowitz soll Widerstandsnest werden, eine Quelle zur Stärkung des Ostens. "Ministerpräsidenten aller fünf Bundesländer - die ich von nun an die richtigen nenne - kommt, saugt ab, was wir zu bieten haben."

Als erstes will Colani das Ostseebad Zinnowitz bis hin zur Würstchenbude gratis mit Design versorgen. Geld spielt für ihn angeblich keine Rolle. Millionen schmeiße er schließlich im Jahr aus dem Fenster, um die "Großfuzzis in der Industrie" nervös zu machen. "Jetzt werde ich hier, wo Nervosität Tagesthema ist, die schlummernden geistigen Kräfte wecken." Vom Meister aller Klassen zum Kleister der ostdeutschen Massen. Die Wiederbelebung des Kulturhauses und die architektonische Inszenierung zum "größten Design-Futurama der Welt" gilt als Fanal. Von Kugelschreibern über Kühlschränke, Klosetts, Klamotten bis hin zu Karosserien, Flugzeugen und Raumgleitern wird hier Colanis Lebenswerk zu besichtigen sein. 30 bis 50 Millionen Mark wert. So genau habe er das nie berechnet. Ein internationales Kernteam seiner Forschungszentren wird sich dann auf die Weiterentwicklung des Biodesigns, der dritten Kraft zwischen dem "europäischen Zerebral- und dem amerikanischen Money-maker-Design", konzentrieren. An einem "Ort im Nichts" will Colani das dritte Jahrtausend einläuten.

Zwei Menschen brachten den Stein ins Rollen: Birgit Breuel und Peter Preuss. Frau Breuel wollte zur Expo 2000 das gesamte Lebenswerk Colanis nicht geschenkt haben. Der Hamburger Unternehmer Preuss hingegen, Besitzer einiger Hotels in Zinnowitz und zukünftiger Bauherr der geplanten Colani-Projekte, sah in dem berühmten Namen schnell eine große Chance für den kleinen Ort. Ebenso der Bürgermeister, auch er ein Wessi. Nach fünf Minuten hatten sie die Gemeindevertretung überzeugt.

Nun soll Colani gleich noch den Zinnowitzer Seesteg aufmöbeln. Das geplante Gebäude wird, so sagt er, eine Kreuzung aus fliegender Untertasse und der Jahrmillionen alten Urform einer Muschel und damit das schrillste Bauwerk der gesamtdeutschen Küste sein. Aber auch das zukünftig vermutlich am stärksten umstrittene Projekt am Ostseestrand wächst schon in Colanis Gedanken. In der "Wiege der Raumfahrt", in Peenemünde, fand der Spezialist für Hochgeschwindigkeitsaerodynamik sein Lieblingsbaby. Der stromlinienförmige Typus jener V 2, mit der 1942 erstmals die Grenze zwischen Atmosphäre und Weltall durchstoßen wurde. Hitlers Wunderwaffe. Für Colani nur ein Wunderwerk der Höchsttechnologie, die perfekte aerodynamische Form. Moralische Bedenken? "Nein. Die Leute, die hier forschten, waren keine Raketenkonstrukteure, das waren Weltraumpioniere, die von einer Handvoll Nazis ausgebeutet wurden." Colani würde gerne am Image der deutschen Wissenschaftler polieren. "Es ist falsch, dieses Erbe immer nur als Nazi-Errungenschaft zu sehen." Er träumt davon, mit Hilfe der raumfahrtnutzenden Nationen ein Großausstellungsareal der Raketengeschichte zu installieren. Auf jeden Fall will Colani eine Kopie der amerikanischen Mondrakete aufstellen, 150 Meter hoch. Vorher wird er es schon mal mit einem Bronzekopf Wernher von Brauns probieren.

Doch erst einmal greift Colani, auch genannt der "Leonardo des 20. Jahrhunderts", zu Pinsel und Wasserfarbe, um auf ein Werbeplakat für die "Miss-Colani-Wahl" mit ostdeutschen Mädchen am ostdeutschen Strand dralle Deerns zu malen. Biodynamisch, ähnlich seinem Roadster von 1976. Dabei läuft der Meister der gewölbten Linie wieder rund.

Hanne Bahra

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