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Die U-Bahn.Station Sol im Herzen Madrid ist trotz Pandemie belebt.

© imago images/PA Images

Locker „einen trinken gehen“: So viel fauler Zauber steckt im „Wunder von Madrid“

Die konservative Regierung Madrids hat die Corona-Regeln gelockert, trotzdem sinken die Ansteckungszahlen. Kritiker sagen: alles Trickserei.

Die Biergärten und Restaurants in Madrid sind voll. So voll, dass es in der Altstadt schwierig ist, einen freien Tisch zu erwischen. Die meisten Gäste sitzen ohne Maske am Tisch. „Die Party geht auch während der Pandemie weiter“, titelt die spanische Zeitung „El País“.

Während die meisten europäischen Städte ihre Maßnahmen derzeit verschärfen, fordert Madrids konservativer Bürgermeister, José-Luis Martínez Almeida, die 3,3 Millionen Hauptstadtbewohner sogar ausdrücklich auf, „draußen einen trinken zu gehen“. Ungehört verhallt der eindringliche Appell des spanischen Gesundheitsministers, des Sozialisten Salvador Illa, möglichst zu Hause zu bleiben, um das Ansteckungsrisiko zu verringern. Wie kann das sein?

Offene Fitnessstudios, Kinos und Theater

Noch im Spätsommer hatte die spanische Metropole den unrühmlichen Titel als „Europas Corona-Hauptstadt“ erworben. Nirgendwo auf dem Kontinent waren damals höhere Infektionszahlen registriert worden. Mit der Folge, dass der konservativen Ministerpräsidentin der Hauptstadtregion, Isabel Díaz Ayuso, vorgeworfen wurde, die Metropole nicht für die zweite Coronawelle gerüstet zu haben.

„Wir können nicht die Wirtschaft abwürgen“, erwiderte Ayuso ihren Kritikern. Eisern wehrte sie sich gegen einschneidende Corona-Beschränkungen für Bevölkerung und Gewerbetreibende. Und dies entgegen aller Forderungen der spanischen Regierung und der Epidemiologen, die für ein entschiedeneres Vorgehen bis Weihnachten eintraten.

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Doch Ayuso setzte sich mit ihrem Sonderweg durch: Während auch in den meisten anderen spanischen Regionen auf dem Festland die Freiheiten weiter eingeschränkt werden, lässt Madrids eigenwillige Regionalpräsidentin die Zügel locker: Gasthäuser und Bierschenken dürfen bis Mitternacht aufbleiben. Auch Fitnessstudios, Kinos und Theater sind geöffnet.

Das Erstaunliche ist: Trotzdem gehen die offiziell registrierten Ansteckungen seit Ende September zurück. Sosehr, dass Spaniens konservative Presse schon das „Wunder von Madrid“ bejubelt. Und die auffallend starke Verringerung der Fallzahlen als Beispiel dafür anführt, dass man Corona auch ohne harte Beschränkungen in den Griff bekommen kann. „Unsere Maßnahmen funktionieren“, verkündet Ayuso.

Epidemiologen zweifeln an den Erfolgsmeldungen

Doch namhafte spanische Epidemiologen melden Zweifel an dieser Erfolgsmeldung an: Sie verweisen darauf, dass die offiziellen Infektionszahlen von jenem Tag an sanken, an dem Ayuso eine Strategieänderung anordnete: Denn nachdem Madrids Gesundheitssystem vor dem Kollaps stand, wurden die bis dahin benutzten aufwendigen PCR-Coronatests zunehmend durch weniger zuverlässige Antigen-Schnelltests ersetzt. Zudem werden seitdem Kontaktpersonen von Infizierten nicht mehr automatisch getestet.

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Der Zusammenhang zwischen Strategieänderung und dem Rückgang der registrierten Fälle sei ziemlich eindeutig, sagt ein Sprecher des spanischen Epidemiologen-Verbandes. „Wenn man weniger Tests macht, und wenn man Antigen-Tests statt PCR-Tests macht, entdeckt man weniger Fälle.“ Ist also das „Wunder von Madrid“ nur statistische Trickserei?

Die Krankenhäuser

Einige Daten sprechen in der Tat dafür. So sind zum Beispiel die meisten Intensivstationen der Madrider Krankenhäuser wie schon im September nahezu bis auf den letzten Platz gefüllt. Auch in der Todesopferstatistik spiegelt sich kein „Wunder“: Die Zahl der bestätigten Covid-19-Toten ist seit September nicht gesunken, sondern gestiegen.

Die 14-Tage-Inzidenz liegt momentan in Madrid bei über 300 Fällen pro 100.000 Einwohner. Die offizielle Rate positiver Tests befindet sich bei etwas über sieben Prozent – wobei man von einer hohen Dunkelziffer ausgehen muss. Damit gehört Madrid nach der Definition des EU-Zentrums zur Epidemiebekämpfung immer noch zu den europäischen Hochrisikozonen.

Damit ein Gebiet nicht mehr als „rote Zone“ gilt, müsste die 14-Tage-Inzidenz auf unter 50 Fälle und die Positivrate auf unter vier Prozent sinken. Bis sich Madrid also über ein „Wunder“ freuen kann, dürfte also noch einige Zeit vergehen.

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