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Nichts los. Auch in der Hauptstadt Wellington gelten strenge Ausgangsbeschränkungen.

© Praveen Menon/REUTERS

Lockdown nach nur einem Corona-Fall: Erste Experten zweifeln an Neuseelands No-Covid-Strategie

Während ein Großteil der Neuseeländer die harte Pandemie-Bekämpfung begrüßt, weisen andere auf die Probleme des Landes hin.

Tag eins der strengen neuseeländischen Ausgangssperre begann mit einem Update von Premierministerin Jacinda Ardern, die sich – in inzwischen bekannter Manier – noch vor der offiziellen Pressekonferenz über Facebook bei ihren Bürgern meldete. „Guten Morgen, ich hoffe, ihr kümmert euch heute alle gut um euch selbst...“

Neuseeland, das auf eine No-Covid- Strategie setzt, hatte bereits nach einem neu entdeckten Corona-Fall im Land, wieder einen sofortigen Lockdown verhängt. Nun habe es neun weitere positive Tests gegeben, teilte Ardern am Mittwoch mit. Dabei handele es sich um die hochansteckende Delta-Variante des Virus, die auch große Teile Australiens, darunter Sydney und Melbourne, in den Lockdown gezwungen hat. Weitere Fälle seien auch in Neuseeland zu befürchten.

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Ardern zufolge seien ein großer Teil der Infizierten jüngere Menschen, die recht aktiv waren. Inzwischen sind ein Casino und eine Kirche in Auckland als mögliche Infektionsherde ausgemacht worden. Unter anderem sei eine Krankenschwester in Auckland betroffen. Für die Klinik sei ein „interner Lockdown“ verhängt worden. Der erste Fall verbrachte viel Zeit in beliebten Urlaubsregionen, in denen sich Reisende aus ganz Neuseeland aufgehalten haben.

Lockdown in Neuseeland bedeutet strenge Restriktionen: Außer den essenziellen Geschäften müssen sämtliche andere Läden, Restaurants, Cafés, Fitnessstudios und Orte, an denen sich Menschen normalerweise zusammenfinden, schließen. Auch die Schulen des Landes haben auf Online-Unterricht umgestellt. Wer am Dienstag nicht zu Hause war, hat 48 Stunden Zeit, um dorthin zurückzukehren.

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Viele Experten applaudieren diesem Ansatz: Laut Michael Plank, Mathematiker und Statistiker an der Universität von Canterbury in Christchurch, ist der strenge Lockdown „definitiv die richtige Entscheidung“. Die Situation in Sydney, wo derzeit täglich mehrere hundert Fälle verzeichnet werden, zeige, wie „schnell halbe Sachen zu einer Katastrophe führen können“. Deswegen sei es besser, am Anfang hart zu reagieren und sich dann zu entspannen. „Bei Delta gibt es keine zweite Chance“, ist seine Meinung.

Auch von australischer Seite kommt Zustimmung: Laut des Epidemiologen Ivo Müller, der am medizinischen Forschungsinstitut Wehi in Melbourne arbeitet, wird die neuseeländische Methode, früh hart zu reagieren, den Ausbruch wieder auslöschen, wie er in einem Videotelefonat erklärt. Dies höre sich „extrem“ an, sei letztlich aber auch wirtschaftlich besser, sagt der Experte.

Binnen 48 Stunden muss jeder zu Hause sein

Weltweit wird auf die neuseeländische Methode geschaut, und auch im Land selbst findet sie Zustimmung: So sammeln sich unter dem Facebook-Post der Regierungschefin Tausende Kommentare, die die Vorgehensweise der Politikerin unterstützen. „Das wird verhindern, dass wir so enden wie Sydney“, schreibt Diana Edwards beispielsweise. Andere bedanken sich für Arderns Engagement und ihre klare Kommunikation. Die Neuseeländerin Mhairi Fraser kommentiert mit den Worten: „Krebspatientin aus Waimate – vielen Dank für die rasche Reaktion.“

Im Internet kursieren außerdem ermutigende Sprüche wie: „Wir isolieren uns heute, damit keiner fehlt, wenn wir wieder zusammenkommen.“ Selbst der umstrittene deutsche Unternehmer Kim Dotcom, der seit Jahren in Neuseeland lebt, macht via Twitter Stimmung für die neuseeländische No-Covid-Strategie: „Liebe Kiwis, wir sind ein solides Team. Lasst uns das angehen“, schreibt er.

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Doch so rosig sich die neuseeländische Pandemie-Bekämpfung auf den ersten Blick anhört – eine stets ansprechbare, empathische Premierministerin, ein motiviertes, folgsames Volk –, so zeigen sich doch auch erste Risse hinter den „wohlklingenden Slogans“, wie Oliver Hartwich es formuliert.

Hartwich ist Direktor des Thinktanks New Zealand Initiative und lebt seit fast zehn Jahren in der Hauptstadt Wellington. In einer E-Mail zählt der Kommentator gleich eine Reihe von Schwachstellen im Pandemie-Management auf: die unzureichende Kapazität für die Kontaktverfolgung, die überbuchten Quarantäneeinrichtungen, den fehlenden digitalen Impfpass. Dass das Land bisher so erfolgreich durch die Pandemie gekommen ist, lasse sich eher auf eine Portion „Glück“, die Abgeschiedenheit des Landes und die geringe Bevölkerungsdichte zurückführen, sagt Hartwich.

Das Impfprogramm kommt nur schleppend voran

Ein weiteres Problem ist in seinen Augen die Impfkampagne: „Die Impfdosen wurden erst im Februar bestellt, da war Israel schon fast fertig mit dem Impfen.“ Bisher hat nur etwa ein Drittel der knapp fünf Millionen Neuseeländer eine Impfdosis erhalten, rund 20 Prozent sind vollständig geimpft.

„Neuseeland könnte viel gelassener mit den nun auftretenden Fällen umgehen, wenn besser und schneller geimpft worden wäre“, sagt Hartwich. Noch unverständlicher ist in seinen Augen, dass die Regierung die Impfungen im Lockdown sogar kurzzeitig ausgesetzt hat. „Eigentlich ein Skandal“, findet der Neuseeland-Experte. „Es gab schließlich genug Zeit, sich auf genau diesen Fall vorzubereiten.“

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