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Kinder würden gezwungen, sich an die Regenbogen-Flagge „zu gewöhnen“, heißt es. Aufmärsche wie in Sankt Petersburg 2014 sind allerdings kaum noch möglich.

© ANATOLY MALTSEV/dpa

LGBT-Symbol in der Kritik: Wie Russland gegen den Regenbogen kämpft

Homosexualität ist in Russland verpönt. Nun wettert die konservative Frauenunion gegen Eiscreme – wegen angeblich homosexueller Propaganda.

Von Oliver Bilger

Russland fürchtet sich vor Strahlen. Die Gefahr lauert überall und an völlig unerwarteten Orten: vor der US-Botschaft in Moskau beispielsweise oder in Speiseeis. So sehen das zumindest einige. Die Bedrohung ist rot, orange, gelb, grün, blau und violett – die Farben des Regenbogens, insbesondere in seiner Funktion als Zeichen für Toleranz und Vielfalt sowie für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen (LGBT). Um die ist es in Russland seit langem schlecht bestellt. Gerade wird das wieder einmal deutlich.

So fürchtet sich die Vorsitzende der russischen Frauenunion, Jekaterina Lachowa, vor homosexueller Propaganda. Als Autorin hat Lachowa an der neuen Verfassung mitgearbeitet, die am vergangenen Wochenende in Kraft getreten ist. Darin festigt Russland seine konservativen Werte: Eine Ehe wird ausdrücklich als Bund von Mann und Frau festgeschrieben. Die Ehe für alle ist damit auf Dauer ausgeschlossen.

Vielen traditionell eingestellten Russen gefällt das, Homosexualität ist verpönt. Die Volksabstimmung über die Verfassungsänderung war mit einem Video beworben worden, in dem ein schwules Paar einen Waisenjungen adoptiert. Tenor des mit Vorurteilen beladenen Clips: Um dies zu verhindern, muss man für die neue Verfassung stimmen.

Werte der Verfassung wahren

Lachowa wittert aber weiterhin Ungemach, sie sieht gefährliche Farben. Bei einer Videokonferenz mit Präsident Wladimir Putin forderte sie, Behörden sollten gegen Regenbögen in der Öffentlichkeit vorgehen, etwa in der Werbung. „Wir sollten sicherstellen, dass die Werte, die wir in unserer Verfassung verankert haben, gewahrt bleiben“, sagte die 72-jährige Ex-Abgeordnete. Sie habe „die gleichen negativen Gefühle gegenüber dem Regenbogen wie gegenüber dem Hakenkreuz“.

Regenbögen lösen bei Jekaterina Lachowa „negative Gefühle“ aus.
Regenbögen lösen bei Jekaterina Lachowa „negative Gefühle“ aus.

© Valery Sharifulin/ imago/ITAR-TASS

Auslöser ihrer Beschwerde war eine Eissorte aus russischer Produktion, dessen neonfarbene Süßigkeit den Namen „Regenbogen“ trägt – und damit „homosexuelle Propaganda“ zur Schau stelle. Werbeanzeigen verwendeten „hübsche Regenbogenfarben, was kaum auffällig scheint“, monierte Lachowa.

„So werden schon Kinder gezwungen, sich an diese Flagge zu gewöhnen.“ Sie forderte Putin zum Handeln auf; der Präsident möge der russischen Aufsicht für Massenkommunikation „eine Anweisung geben“.

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Gesetz gegen „Homo-Propaganda“ seit 2013

Soweit wollte Putin vorerst nicht gehen. Falls es Grund zur Annahme gebe, dass Werte propagiert würden, „die für uns nicht traditionell sind“, erwiderte er, sollte es eine Kontrolle durch die Öffentlichkeit geben. „Aber nicht aggressiv“, sagte Putin. Lachowa erklärte später, ihre Aussagen seien falsch verstanden worden.

Russland hat im Jahr 2013 ein Gesetz erlassen, das das Zeigen gleichgeschlechtlicher Liebe oder das Reden darüber in Anwesenheit von Minderjährigen unter Strafe stellt. LGBT-Aktivisten und Menschenrechtler beklagen immer wieder Hass, Hetze sowie zunehmende, mitunter brutale Angriffe auf Homosexuelle, die oft folgenlos blieben. Viele Schwule und Lesben haben in den vergangenen Jahren aus Angst um ihr Leben Zuflucht im Westen gesucht.

Russland sei nicht homophob, sagt Putin

Das Gesetz gegen „Homo-Propaganda“ steht seit Jahren in der Kritik, insbesondere aus dem Ausland. Im vergangenen Jahr beklagte Popstar Elton John die Situation in Russland. Präsident Putin antwortete: Sein Land habe gegenüber LGBT eine „ruhige und unvoreingenommene Haltung“. Russland als homophob zu bezeichnen sei Unrecht. Zum Gesetz erklärte er nun: Die Menschen sollten zuerst erwachsen werden und „dann ihr eigenes Schicksal bestimmen“.

Eine Regenbogen-Flagge an der US-Botschaft in Moskau. Der Kreml kritisierte das als „per Gesetz nicht zulässig“.
Eine Regenbogen-Flagge an der US-Botschaft in Moskau. Der Kreml kritisierte das als „per Gesetz nicht zulässig“.

© Valery Shalifulin/imago images/ITAR-TASS

Aufs Thema gekommen war die Gesprächsrunde um Lachowa und Putin als eine LGBT-Flagge erwähnt wurde, welche die US-Botschaft im Pride-Monat Juni an ihrer Fassade im Moskauer Stadtzentrum gehisst hatte. Der Kreml kritisierte das als „per Gesetz nicht zulässig“.

Die Fahne, mokierte sich Putin, „sagt etwas über die Leute, die dort arbeiten“. Im Internet tauchte ein Video auf, auf dem Passanten vor der Botschaft eine Regenbogen-Flagge mit Füßen treten.

LGBT sollten „liquidiert“ werden

Zwar wächst in Russland eine tolerantere Generation heran, die bereit ist, in einer bunteren Gesellschaft zu leben. Die konservative Mehrheit im Land tut sich jedoch schwer mit allen Abweichungen von sogenannten nicht-traditionellen Werten. Das belegen auch jüngste Umfragen: Jeder Fünfte ist der Ansicht, dass LGBT „liquidiert“ werden sollten.

Der Hersteller des Regenbogen-Eis will seine Ware nicht als Propagandainstrument verstanden wissen und versicherte, gesetzestreu zu sein und für traditionelle familiäre Beziehungen einzustehen. Der Regenbogen sei ein „Symbol der Freude“.

Durch die sozialen Netzwerke rollt seither eine Welle des Spotts: Der Kreml, ätzten Kommentatoren, werde den Regenbogen als Naturphänomen wohl verbieten.

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