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Südkoreanische Soldaten in Schutzanzügen desinfizieren in einem Vorort von Seoul.

© Heo Ran/REUTERS

Lage auf der koreanischen Halbinsel: Perfekte Petrischale für das Coronavirus

Eine Sekte ist mitverantwortlich dafür, dass sich das Coronavirus in Südkorea stark ausbreitet. Die Lage in Nordkorea ist unklar - und könnte dramatisch werden.

Die Südkoreanerin Stella Kang erinnert sich an einen engen Raum mit sehr vielen Menschen. „Man benötigt seinen Fingerabdruck, um hineinzukommen“, erzählt die ehemalige Anhängerin der „Shinchonji-Kirche von Jesus“ der Webseite bloomberg.com. Auf diese Weise seien auch die Besuche in der Kirche kontrolliert worden. Als sie der Sekte, die auf Deutsch „Neuer Himmel, neue Erde“ heißt, vor einigen Jahren in der südkoreanischen Stadt Daegu angehörte, trafen sich die Mitglieder vier- bis fünfmal pro Woche. „Man kniet während der gesamten Messe stundenlang nebeneinander“, beschreibt Stella Kang. Das „Wall Street Journal“ nennt diese Bedingungen eine „perfekte Petrischale für das Coronavirus“.

In Daegu stehen inzwischen rund 2300 Infizierte mit der Shinchonji-Sekte in Verbindung, das berichtete die südkoreanische Nachrichtenagentur Yonhap am Dienstag. Die infizierten Sektenanhänger aus Daegu sind zu einem großen Teil (56,1 Prozent) dafür mitverantwortlich, dass Südkorea das Land ist, das nach China am schwersten von der Ausbreitung des Coronavirus betroffen ist. Am Dienstag waren fast 5200 Menschen in Südkorea infiziert (China 80 000), 28 von ihnen sind an dem Virus gestorben (China 2835). Von den 600 neuen Fällen, die am Montag hinzukamen, stammen 520 aus Daegu. Mitglieder der dortigen Shinchonji-Gemeinde hatten im Januar die chinesische Stadt Wuhan besucht, wo die Viruskrise ihren Anfang genommen hatte. Eine 61 Jahre alte infizierte Frau hatte anschließend mit Krankheitssymptomen zwei Messen der Sekte besucht, bei denen insgesamt rund 1000 Menschen zugegen gewesen sein sollen.

Viele Südkoreaner sind wütend über die geheimnisvolle Sekte, die in ihrem Land rund 200 000 Anhänger hat. Doch Stella Kang macht nicht die Anhänger, sondern ihren Glauben für die Ausbreitung verantwortlich. „Sie glauben, dass das Ende der Welt nahe ist und unsere physische Existenz nicht wichtig ist“, sagt das ehemalige Sektenmitglied Kang, „wenn man also richtig krank wird, muss man zur Kirche gehen, weil man dort das Wort des Lebens erhält.“

Auch in Nordkorea scheint sich der Mundschutz durchzusetzen, nur Diktator Kim Jong Un hat das offenbar nicht nötig.
Auch in Nordkorea scheint sich der Mundschutz durchzusetzen, nur Diktator Kim Jong Un hat das offenbar nicht nötig.

© KCNA via REUTERS

Die Stadtverwaltung von Seoul hat die Staatsanwaltschaft aufgefordert, gegen die Anführer der Sekte strafrechtliche Ermittlungen aufzunehmen, unter anderem wegen Mordverdachts. „Wenn sie früh aktiv Maßnahmen ergriffen hätten, hätten wir den explosiven Anstieg von Covid-19-Fällen in Daegu und der Provinz Nord Gyeongbuk sowie den Tod mehrerer Menschen verhindern können“, schreibt Seouls Bürgermeister Park Won Soon auf seiner Facebook-Seite. Sektengründer Lee Man Hee, der nach eigenen Angaben ein unsterblicher, von Jesus Christus gesandter Prophet ist, entschuldigte sich mit einer tiefen Verbeugung bei der Bevölkerung.

Neben der Sekte dürfte auch das transparentere politische System (im Gegensatz zu China) und das fortgeschrittene Gesundheitssystem Südkoreas ein Grund für die statistisch hohe Zahl an Infizierten sein. Das System ähnelt dem deutschen, 97 Prozent der Bevölkerung sind gesetzlich krankenversichert, sie müssen nicht, wie Unversicherte in den USA, die Kosten für den Test und seine Folgen selber übernehmen. In Südkorea sind nach Angaben des Zentrums für Krankheitskontrolle und Prävention schon 121 039 Fälle getestet worden. In den USA waren es nur 472 bis zum 1. März. Seitdem veröffentlicht die Gesundheitsbehörde (CDC) die Zahl nicht mehr. Für Deutschland konnte das Robert-Koch-Institut am Dienstag auf Tagesspiegel-Anfrage keine Zahl vorlegen. Auch keine Schätzung, weil die „Rückmeldungen der Laboratorien auf unsere Abfrage“ noch nicht erfolgt seien.

Am Montag entschuldigte sich Sektenführer Lee Man Hee für die vielen Coronavirus-Fälle in der „Shinchonji-Kirche von Jesus“.
Am Montag entschuldigte sich Sektenführer Lee Man Hee für die vielen Coronavirus-Fälle in der „Shinchonji-Kirche von Jesus“.

© AFP

Vollkommen undurchsichtig ist die Lage im Norden der koreanischen Halbinsel. Das nordkoreanische Regime hat noch keinen Fall gemeldet und nennt seine Anti-Coronavirus-Kampagne eine Angelegenheit der „nationalen Existenz“. Seit einigen Wochen sind die nördlichen Grenzen nach China geschlossen, ausländische Touristen dürfen nicht mehr ins Land, Schulen sind geschlossen. Nach dem jüngsten Raketentest verbreitete die staatliche Nachrichtenagentur KCNA ein Foto, auf dem alle Soldaten außer Diktator Kim Jong Un einen schwarzen Mundschutz tragen. „Ich bin zu hundert Prozent sicher, dass es in Nordkorea bereits infizierte Patienten gibt“, sagt Nam Sung-wook gegenüber AP. Der Nordkoreaexperte von der südkoreanischen Korea-Universität besitzt gute Kontakte zu südkoreanischen Geheimdienstkreisen. Wenn der verarmte Norden ähnlich stark von der Viruskrise betroffen wäre wie der Süden, würde das wegen des chronischen Mangels an medizinischen Vorräten dramatisch, erklärt Nam Sung-wook: „Nordkorea wäre hilflos.“

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