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Für Verschnaufpausen gibt es angesichts des Andrangs für die Kutschen oft keine Zeit.

© imago/Westend61

Kutschfahrten in Istanbul: Schlimme Bedingungen für Pferde

Kutschfahrten auf den Prinzeninseln vor Istanbul haben eine lange Tradition. Doch die Tiere leben unter schlimmen Bedingungen.

Eine Kutschfahrt auf den Prinzeninseln – das gehört zum Sommer in Istanbul wie das Minarett auf die Moschee. Zehntausende Großstädter und Touristen setzen an Wochenenden auf die autofreien Inseln im Marmara-Meer über, um sich in zweispännigen Pferdekutschen im Grünen spazieren fahren zu lassen. Die vermeintliche Idylle hat allerdings eine dunkle Seite: Die Pferde arbeiten auf den Inseln unter beklagenswerten Bedingungen, die von Tierschützern seit Jahren vergeblich angeprangert werden.

Immer wieder gibt es brutale Bilder von kranken und erschöpften Tieren, die im Geschirr zusammenbrechen. Immer wieder versprechen Politiker bis hinauf zu Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, dagegen einzuschreiten. Und immer wieder geschieht – nichts. Im Wahlkampf gelobte der jetzige Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu, die geschundenen Pferde zu retten. Eine städtische Anhörung verlief aber ergebnislos. Tierschutzverbände werfen Imamoglu vor, sein Versprechen aus dem Wahlkampf gebrochen zu haben.

Für Touristen sind die Kutschfahrten die Hauptattraktion

Der Kutschverkehr hat eine lange Tradition auf den Prinzeninseln. Früher dienten sie als Sommerfrische für wohlhabende Bürger von Istanbul. Weil Autos verboten sind, bewegen sich die Bewohner zu Fuß, per Fahrrad oder eben mit Pferdekutschen vom Fährhafen zu ihren eleganten Holzvillen oder zum Einkaufen.

Noch vor 20 Jahren reichten ein paar Kutschen für die 20 000 Einwohner der vier besiedelten Inseln; die einheimischen Kutscher gehörten zur Inselgesellschaft wie die Bäcker und Einzelhändler. Das hat sich geändert, seit die Inseln vom Tourismus entdeckt wurden. Bis zu 100 000 Tagesausflügler stürmen inzwischen an Wochenenden auf die Inseln – sowohl Städter aus Istanbul als auch Touristen aus dem Nahen Osten und Europa. Hauptattraktion sind Rundfahrten mit den Pferdekutschen, für die sich lange Warteschlangen an den Haltestellen vor dem Fährhafen bilden: Sobald eine Fahrt endet, beginnt für das Gespann die nächste.

Viele Pferde gehen an den Haltungsbedingungen ein

Mehr als 1500 Pferde arbeiten heute auf den Prinzeninseln, viele davon ausrangierte Rennpferde. Ihre Arbeitsbedingungen sind hart, denn die Steigungen auf den Inseln sind steil, die asphaltierten Straßen glatt und rutschig. Die Sonne brennt, an den Haltestellen fehlt es an Schatten und Tränken, und für Verschnaufpausen gibt es angesichts des Andrangs oft keine Zeit. Noch schlimmer sind die Haltungsbedingungen, unter denen die Pferde leben, wie die Tierschutzkommission des türkischen Parlaments konstatierte. Keine Pferdeklinik gibt es auf den Inseln und auch keinen Amtstierarzt, der für die Pferde zuständig wäre. Auf Büyükada, der größten Insel, hat die Stadt zwar eine Anlage mit festen Stallungen errichtet, doch bietet die nur Platz für 140 Pferde. Die allermeisten Tiere sind in schlammigen Zeltlagern untergebracht, in denen es am Notwendigsten fehlt, sogar an fließendem Wasser. Mindestens 300 Pferde gehen auf den Inseln jährlich an diesen Haltungsbedingungen ein, sagen Tierschützer. Diese Schätzung komme ihm leider plausibel vor, sagte der Vorsitzende der Parlamentarier-Kommission, der Abgeordnete Mustafa Yel von der Regierungspartei AKP.

Tierschützer prangern Missstände auf den Inseln an

Wegen der unhygienischen Haltung mussten die Prinzeninseln im vergangenen Jahr sogar unter Quarantäne gestellt werden, nachdem die gefürchtete Pferdeseuche Rotz dort ausbrach. Weil keine neuen Pferde auf die Prinzeninseln gebracht werden durften, wuchs die Arbeitslast der vorhandenen Tiere noch weiter. Als die Kutscher versuchten, eine Schiffsladung voller Pferde auf die Inseln überzusetzen, gerieten sie mit Tierschützern aneinander, die den Transport verhindern wollten. Die Polizei trieb sie mit Warnschüssen auseinander.

Die Missstände auf den Inseln sind der Regierung von Stadt und Land seit Jahren bekannt. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan selbst versprach letztes Jahr auf einer Kundgebung in Istanbul, die geschundenen Pferde auf den Prinzeninseln sollten vom Joch befreit werden. Seine Regierung arbeite an entsprechenden Maßnahmen, sagte er, doch geschehen ist bisher nichts.

Die Hoffnungen richteten sich deshalb auf den neuen Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu, der im März gewählt und bei einer Wahlwiederholung im Juni bestätigt wurde. Imamoglu hatte im Wahlkampf ein schriftliches Versprechen unterzeichnet, wonach er die Pferdekutschen durch Elektrowagen ersetzen und die geretteten Pferde artgerecht unterbringen werde.

Zwei Monate nach seiner Amtsübernahme ließ Imamoglu nun tatsächlich eine Anhörung zum „Transportwesen auf den Prinzeninseln“ einberufen, doch die verlief anders, als die Tierschützer es sich vorgestellt hatten. Von Abschaffung der Pferdekutschen sei im Protokoll der Anhörung nicht einmal die Rede, beschwerten sich 25 Natur- und Tierschutzvereine in einer gemeinsamen Erklärung. „Ein Fiasko“, kommentierte auch die Zeitung „Cumhuriyet“: Mit der Veranstaltung habe die Stadt Istanbul die fortgesetzte Ausbeutung der Pferde auf den Prinzeninseln abgesegnet.

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