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Hebammenvertreterinnen hatten auf die Fälle aufmerksam gemacht.

© Daniel Karmann/dpa

Update

„Kurzer Zeitraum auffällig“: Klinik meldet mehrere Handfehlbildungen bei Babys

Binnen drei Monaten sind in einer Klinik in NRW drei Kinder mit deformierten Händen geboren worden. Gibt es noch viel mehr Fälle?

In einem Krankenhaus in Nordrhein-Westfalen hat es eine ungewöhnliche Häufung von Neugeborenen mit Handfehlbildung gegeben. Im Sankt Marien-Hospital Buer in Gelsenkirchen waren zwischen Juni und Anfang September drei betroffene Kinder auf die Welt gekommen, wie die Klinik in einer Stellungnahme auf ihrer Homepage mitteilte.

Handteller und Finger waren nur rudimentär ausgebildet

„Das mehrfache Auftreten jetzt mag auch eine zufällige Häufung sein. Wir finden jedoch den kurzen Zeitraum, in dem wir jetzt diese drei Fälle sehen, auffällig.“ Fehlbildungen dieser Art habe man in der Klinik viele Jahre nicht gesehen, hieß es. Hebammenvertreterinnen hatten auf die Fälle aufmerksam gemacht, mehrere Medien berichteten.

Im nahe gelegenen Essener Elisabeth-Krankenhaus, mit mehr als 2500 Geburten pro Jahr eine der größten Geburtskliniken in Nordrhein-Westfalen, gibt es nach Angaben einer Sprecherin keine Häufung von Handfehlbildungen. „Etwa ein Mal im Jahr haben wir ein Kind mit einer Handfehlbildung. Wir können damit nicht von einer Häufung solcher Fälle sprechen“, sagte sie auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur.

Statistisch würden etwa ein bis zwei Prozent aller Neugeborenen mit einer Fehlbildung unterschiedlicher Ausprägung geboren, wie die Gelsenkirchener Mediziner erläuterten. Extremitätenfehlbildungen könnten während der Schwangerschaft unter anderem durch Infektionen auftreten, seien insgesamt aber selten.

Der entscheidende Entwicklungszeitraum liege sehr früh in der Schwangerschaft, zwischen dem 24. und 36. Entwicklungstag nach der Befruchtung der Eizelle, wie das Sankt Marien-Hospitals Buer schreibt. „Eine ebenfalls mögliche Ursache ist das Abschnüren von Extremitäten durch Amnionbänder oder Nabelschnurumschlingungen während der Schwangerschaft im Mutterleib, was zu einer verminderten Weiterentwicklung der betroffenen Extremität führt.“

Alle Familien wohnen demnach im Umfeld der Klinik

Bei zwei der betroffenen Kinder war den Angaben zufolge die linke Hand deformiert: Handteller und Finger waren nur rudimentär ausgebildet. Bei einem Kind war die rechte Hand betroffen - auch hier waren bei normalem Unterarm Handteller und Finger nur rudimentär angelegt. Weitere Fehlbildungen wurden bei den zwischen Juni und Anfang September geborenen Kindern nicht diagnostiziert.

Ethnische, kulturelle oder soziale Gemeinsamkeiten der Herkunftsfamilien waren nach Angaben der Klinik nicht erkennbar. Alle Familien wohnen demnach im örtlichen Umfeld des Krankenhauses. „Eine vertiefte Ursachenforschung können wir erst bei Einwilligung der Eltern betreiben“, sagte Wolfgang Heinberg, Sprecher des Krankenhausverbundes St. Augustinus, zu der das Marien-Hospital Buer gehört.

Kontakt mit Fachleuten der Berliner Charité aufgenommen

Die Eltern der Kinder seien eingeladen worden, mit der Klinik Kontakt aufzunehmen. „Wir haben ihnen Begleitung und Unterstützung zugesagt. Da werden wir auch die Frage nach Untersuchungen besprechen.“

Die Gelsenkirchener Klinik will die Fälle jetzt in regionalen Qualitätszirkeln der Kinder- und Jugendärzte thematisieren. Auch habe man Kontakt mit Fachleuten der Berliner Charité aufgenommen. Von dort hieß es am Freitag: „Der derzeitige Informationsstand erlaubt weder der Charité noch insbesondere der Embryonaltoxikologie eine inhaltliche Stellungnahme zu diesem Thema.“ Auch der Deutsche Hebammenverband lehnte am Freitag eine Stellungnahme ab.

Mehrere weitere betroffene Eltern sollen sich gemeldet haben

Wie die „Bild“ berichtete, soll es noch mehr Fälle geben. Das Blatt sprach mit der Kölner Hebamme Sonja Ligget-Igelmund (45), die die Gelsenkirchener Fälle als Erste über den „Kölner Express“ öffentlich gemacht hatte. Sie sagte: „Ich habe es in Hebammen-Gruppen im Internet vor etwa einer Woche mitbekommen. In Frankreich gab es auch diese Fälle, mindestens 25. Allein heute haben sich 20 Familien bei mir gemeldet, deren Kinder auch betroffen sind.“ Die Hebamme sagte weiter: „Keiner weiß, warum die Fehlbildung zustande kam. Eine Mutter, die sich viel mit Umweltgiften beschäftigt, vermutet die Ursache in allem, was auf Deutschlands Feldern gespritzt wird.“

In den 50er und 60er Jahren waren bis zu 12.000 Babys weltweit mit schweren Fehlbildungen zur Welt gekommen. Deren Mütter hatten während der Schwangerschaft ein Schlafmittel mit dem Wirkstoff Thalidomid – bekannt unter den Markennamen Contergan und Softenon – eingenommen. Erst Ende 1961 wurde der Zusammenhang zwischen Contergan und den Fehlbildungen erkannt und das Medikament vom Hersteller, der Grünenthal GmbH in Stolberg, vom Markt genommen.

Anfang 2016 gab der Bundesverband Contergangeschädigter auf seiner Internetseite an, dass in Deutschland noch etwa 2.400 Contergan-Geschädigte leben. In Frankreich wurde in der Folge dieses Skandals ein Register erstellt, in dem Geburtsdefekte erfasst werden. In Deutschland gibt es keine zentrale Meldestelle. (dpa, AFP, Tsp)

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