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Dirk Nemitz ist führendes Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Angewandte Biostase.

© privat

Kryonik-Tagung in Dresden: Dieser Mann will auferstehen

Am Wochenende kamen in Dresden Fans der Kryonik zusammen. Ihr Interesse gilt dem medizinischen Fortschritt – genauer: dem Leben nach dem Tod. Interview mit einem Hoffnungsvollen.

Von Maris Hubschmid

Herr Nemitz, am Samstag und Sonntag haben Sie mit knapp 50 anderen über ein Leben nach dem Tod diskutiert. Religiös sind Sie nicht. Worum ging es?

Für mich ist die Kryonik experimentelle Medizin, welche einzig auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht. Es geht schlichtweg darum, den Körper möglichst perfekt in einem Zustand zu konservieren, der heute als „tot“ gilt. Die Definition, wann eine Person als „tot“ gilt, musste aufgrund von medizinischen Fortschritten in der Vergangenheit schon häufiger geändert werden. Es geht also weniger um ein „Leben nach dem Tod“, als vielmehr um eine Konservierung des Körpers, bis die Todesursache geheilt werden kann.

Sie sind 36. Seit wann beschäftigen Sie sich mit der Kryonik?

Ich habe Forstwissenschaften studiert und war 2007 im Rahmen des Studiums in den USA. Dort traf ich auf jemanden, der mir von der Kryokonservierung erzählte. Mein erster Gedanke war: Der spinnt ja total. Aber ich konnte die Theorie nicht widerlegen, es gab keinen wissenschaftlichen Grund, warum es nicht funktionieren sollte. Vielmehr war die Situation ähnlich wie die der Brüder Wright mit dem ersten Fluggerät: es hatte noch nie zuvor jemand erfolgreich gemacht. Zurück in Deutschland habe ich dann weiter recherchiert. 2008 habe ich meinen eigenen Vertrag beim Cryonics Institute in Detroit unterschrieben.

Was macht Sie zuversichtlich, dass es klappen kann?

Der biologische Verfall des Körpers nach der Feststellung des Todes benötigt Zeit und Energie. Bei der Temperatur von flüssigem Stickstoff, minus 196 Grad Celsius, kommen diese Verfallsprozesse quasi vollständig zum Erliegen. Eigentlich laufen heute schon viele „Kryoniker“ herum, schließlich gehört das Einfrieren von menschlichen Ei- und Samenzellen inzwischen bereits zu den medizinischen Routinemaßnahmen.

Wo liegen derzeit die Schwierigkeiten? 

Technisch ist es derzeit noch sehr schwierig, Organismen zu kryokonservieren, welche größer als ein paar Zellen sind. Der größte Organismus, welcher sich auf minus 196 Grad Celsius herunterkühlen lässt und vollständig erholt, ist meines Wissens der Fadenwurm C. Elegans, circa einen Millimeter lang. Zudem entscheiden sich sehr wenige Menschen für die Kryonik. Das mag großteils emotional und gruppenpsychologisch begründet sein, die meisten Menschen fangen ungern etwas an, was nicht von Freunden und Familie unterstützt wird. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die Kapazitäten zur Entwicklung der Kryonik derzeit von einigen wenigen Menschen bereitgestellt werden.

In einem Bestattungsinstitut nahe Ulm übt eine Gruppe den Austausch von Blut durch Frostschutzmittel an einer Schweinelunge.
In einem Bestattungsinstitut nahe Ulm übt eine Gruppe den Austausch von Blut durch Frostschutzmittel an einer Schweinelunge.

© privat

Wann, meinen Sie, könnte die Wissenschaft soweit sein?

Von maximal 25 bis mindestens 500 Jahren habe ich schon alle möglichen Prognosen gehört. Ich finde es zum jetzigen Zeitpunkt unseriös, genaue Zahlen zu nennen, weil die Gleichung von etlichen unbekannten Größen abhängt – etwa der Anzahl der Forschungseinrichtungen, die sich mit verwandten Themen beschäftigen.

Denken Sie manchmal darüber nach, wie das Leben in der Zukunft aussehen könnte?

Eigentlich nicht, weil ich solche Spekulationen für wenig zielführend halte. Der berühmte Science-Fiction Autor Robert Heinlein ist in den 1960er Jahren fest davon ausgegangen, dass im Jahr 2000 jeder Mensch ein fliegendes Auto hätte. Gleichzeitig hat zu dieser Zeit niemand das Internet vorhergesehen – Fanpost wird in einem seiner Romane zum Beispiel in großen Säcken von einem fliegenden Postauto geliefert.

Hat sich Ihr Alltag verändert, seit Sie die künftige Konservierung Ihres Leichnams geregelt haben?

Nachdem ich von der Kryonik erfahren habe, war mir schnell klar, dass ich es bereuen würde, an irgendwelchen Krankheiten jung zu sterben, ohne diese Chance genutzt zu haben. So besteht zumindest noch Hoffnung, dass ich mein Leben eines Tages fortsetzen kannst. Das beruhigt mich in gewisser Weise. Wenn man alt ist, betrachtet man den Tod womöglich anders. Vielleicht werde ich den Vertrag im Alter auch kündigen, weil sich das Weltgeschehen nicht gut entwickelt. Im Moment kann ich mir das aber nicht vorstellen – es ist da ähnlich wie mit der Notsituation im Flugzeug: Nur, wer selbst noch lebt, kann auch aktiv daran mitarbeiten, die Situation zum Besseren zu wenden.

"Meine Freundin ist skeptisch"

Der 36-Jährige will sich nach seinem Tod einfrieren lassen.
Der 36-Jährige will sich nach seinem Tod einfrieren lassen.

© privat

Was sagt Ihre Freundin zu all dem?

Sie selbst hat keinen Vertrag. Sie ist skeptisch bezüglich der gesellschaftlichen Fragen, weniger, was die technologische Möglichkeit angeht. Aber sie versucht auch nicht, mir das auszureden.

Was passiert konkret, wenn Sie sterben?

Wir haben eine Telefonkette, über die andere Kryoniker informiert werden. Nach Ausstellung des Totenscheins würde schnellstmöglich gekühlt, dann würde in einem Bestattungsinstitut das Blut durch ein spezielles Frostschutzmittel ausgetauscht, um insbesondere das Gehirn vor größeren Schäden zu bewahren. Der Transport in die USA würde auf Trockeneis erfolgen, beim Cryonics Institute würde der Körper dann weiter runter gekühlt und in flüssigem Stickstoff eingelagert. Die Strukturen in Deutschland befinden sich noch im Aufbau, manche Abläufe sind noch nicht vollständig erprobt.

Für das Einfrieren berechnet Ihnen das Institut 28.000 Dollar.

Ich habe eine Risikolebensversicherung abgeschlossen. Das Institut ist als Empfänger eingetragen. Die Versicherung kostet mich elf Euro im Monat. Das ist natürlich eine Wette mit vielen unbekannten Faktoren - aber das ist mir die Chance auf jeden Fall wert.

Seit knapp einem Jahr sind sie Vorsitzender der „Sektion zur Optimierung der Kryokonservierung“ bei der Deutschen Gesellschaft für Angewandte Biostase (DGAB). Was ist das Ziel der Organisation?

Zunächst geht es darum, logistische Probleme in den Griff zu kriegen. Für allein lebende Kryoniker sollen Alarmsysteme getestet werden. Es werden auch Gespräche mit weiteren Bestattungsunternehmen geführt, um ein engeres Netzwerk in Deutschland aufzubauen. All das benötigt Zeit und Ressourcen, welche derzeit komplett ehrenamtlich erbracht werden.

Weltweit haben geschätzt 2000 Menschen einen Vertrag mit einem Konservierungs-Institut. Wie viele sind es in Deutschland?

Unsere Gesellschaft hat 70 Mitglieder, davon haben etwa 20 einen eigenen Vertrag. Ich denke, Menschen, die damit liebäugeln, gibt es weit mehr. International erfährt die Theorie zunehmend Beachtung: In den USA gibt es die meisten Anhänger, aber auch in Russland gibt es seit einigen Jahren ein Institut und in Australien entsteht gerade eine neue Einrichtung. Unterstützende Organisationen wie die DGAB gibt es inzwischen in vielen europäischen Ländern.

Um welche Aspekte ging es beim Symposium in Dresden?

Vor allem darum, Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen zum Austausch zusammen zu bringen. Das kritische Hinterfragen gehört zur wissenschaftlichen Tradition in der Kryonik dazu. Viele Vorträge beschäftigten sich mit Details der Kryokonservierung, zum Beispiel der Verbesserung des Frostschutzmittels. Es gab aber auch Beiträge zur lebensverlängernden Medizin und zur möglichen Rolle der Nanotechnologie. Über Organisationsführung haben wir auch gesprochen, die ist in unserem Stadium ja entscheidend.

Mit Dirk Nemitz sprach Maris Hubschmid. Lesen Sie hier die Reportage "Der Wunsch nach ewigem Leben: Ein Professor lässt sich einfrieren" über einen der ersten Kryonik-Anhänger in Deutschland, Klaus Hermann Sames.

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