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Update

Kritische Hochwasserlage: Anschwellende Fluten rollen auf weite Teile Deutschlands zu

Das Wasser in der Elbe und anderen Flüssen steigt weiter an. In der brandenburgischen Stadt Mühlberg wurde Katastrophenalarm ausgerufen, Niedersachsen erwartet ein Rekordhochwasser, in Dresden mussten mehrere hundert Menschen ihre Häuser verlassen. In Bayern und Thüringen beruhigte sich hingegen die Lage.

Im Elbe-Hochwasser ist eine Gefahr gebannt: Die beiden im Wasser treibenden Gastanks aus Tschechien sind gesichert. Sie seien mit Hilfe des Windes von Hubschrauber-Rotoren in Schmilka und bei Bad Schandau ans Ufer getrieben worden, sagte ein Sprecher der Bundespolizeidirektion Pirna am Mittwoch. Die Feuerwehr habe die Tanks dann dort befestigt. Der dritte Tank war zuvor bereits im tschechischen Hrensko gestoppt worden. Die tonnenschweren Behälter enthielten einen Rest Stickstoff. Sie hatten sich am Morgen im Hafen von Decin gelöst.

Mit insgesamt vier Hubschraubern sucht die Bundespolizei im Hochwasser der Elbe bis nach Dresden nun noch nach mehreren Containern aus dem Deciner Hafen. „Sie sind immer noch unterwegs“, sagte die Sprecherin des Landratsamtes Pirna. Wie viele es sind, sei schwer zu sagen. Die Behälter trudelten in der Strömung und gingen zwischendurch unter. Deshalb sei es schwer, sie zu zählen. Zunächst hatte die Behörde von zehn je 14 Meter langen und 18 Tonnen schweren Behältern berichtet.

Am Mittwochvormittag tagte die Katastrophenschutzleitung Brandenburgs länger als geplant, denn die Flüsse im Land steigen weiter an. In Arnsnesta bei Herzberg im Landkreis Elbe-Elster an der Grenze zu Sachsen-Anhalt brach ein Deich der Schwarzen Elster auf 20 Metern Länge, wie das Koordinierungszentrum Krisenmanagement in Potsdam am Mittwoch mitteilte. Menschen sind nach Angaben der örtlichen Behörden bisher aber nicht in Gefahr. Einsatzkräfte der Feuerwehr Herzberg sind ununterbrochen im Einsatz, zusätzlich wurden Hubschrauber zur Unterstützung angefordert, da die Bruchstelle schwer zugänglich ist. Zusätzlich helfen alle Einwohner des kleinen Ortsteils Arnsnesta. Sie füllen bei strahlendem Sonneschein Sandsäcke. Einige laufen zur Elsterbrücke, wo gerade Hubschrauber im Einsatz sind. "Die kommen aber nicht ran", sagt der 50-jährige Jörg Richter: "Die müssen jetzt erst ein paar Bäume fällen."

Der Bürgermeister von Herzberg, Michael Oecknigk (CDU), sagte, man versuche derzeit alles, um einen benachbarten Ortsteil mit zahlreichen Häusern zu schützen. Zugleich kritisierte Oecknigk, dass die Hochwasserschutzanlagen an der Schwarzen Elster nach dem letzten Hochwasser nicht grundlegend bzw. ausreichend erneuert wurden. Der Schutz der Menschen vor der Flut sei im Land Brandenburg wohl nicht so wichtig wie der Großflughafen BER in Schönefeld.

Mitten in Herzberg haben indessen Übertragungswagen des Funk- und Fernsehens Stellung an der erst im vergangenen Herbst fertig gestellten Elsterbrücke bezogen. "Ich finde das ein wenig übertrieben", sagt Bernd Schiller, der in der direkt an der Elster liegenden Mühlstraße ein Küchenstudio betreibt: "So schlimm wie beim letzten Mal wird es wohl nicht werden. Der wichtigste Nebenfluss der Elster, die Röder, sinkt schon wieder." Allerdings liegt sein Geschäft am höchsten Punkt der Mühlstraße. Einige Häuser weiter stehen schon Höfe, Gärte, Swimmingpools und teilweise auch Keller unter Wasser - obwohl die Deiche hier halten. Das sei Grundwasser, was durch den hohen Druck der Flüsse nach oben komme, erklären Anwohner. Viele sind verzweifelt, denn für Grundwasserschäden zahlen ihre Versicherungen nicht.

Auch in der Nähe der Kurstadt Bad Liebenwerda wurde ein Deich überflutet. Für die gesamte Schwarze Elster im Landkreis Elbe-Elster gilt seit Dienstagabend die höchste Hochwasseralarmstufe 4. Brandenburgs Innenminister Dietmar Woidke (SPD) wollte sich am Mittwoch hier persönlich ein Bild von der Lage machen, entschied sich dann aber gleich nach Mühlberg zu fahren. Die größten Sorgen bereitet wohl nämlich die Lage an der Elbe bei Mühlberg, für die inzwischen nicht nur die Hochwasseralarmstufe 4, sondern auch Katastrophenalarm ausgerufen wurde. Der Wasserstand erreichte laut Innenministerium 9,02 Meter (11.00 Uhr). Die Menschen der 4000 Einwohner zählenden Stadt wurden bereits 2002 und 2006 vom Hochwasser heimgesucht, zudem zerstörte 2010 ein Tornado große Teile der Innenstadt. Es wird befürchtet, dass das Wasser höher steigt als bei der Rekordflut vom August 2002, als ein Pegel von 9,98 Metern erreicht wurde. Dieses Mal wird mit einem Pegel von 10,20 Metern gerechnet. Deshalb wurde am Mittwochmittag in Mühlberg mit der Evakuierung von Pflegeeinrichtungen begonnen. Man habe auch die örtlichen Pflegedienste verständigt, sagte der Landrat des Landkreises Elbe-Elster Christian Jaschinski (CDU). Die Grundschule der Stadt ist bereits geschlossen worden. Autofahrer werden seit 14.00 Uhr gebeten, die Stadt großräumig zu umfahren. Andreas Neumann wohnt nur einige hundert Meter vom Deich entfernt. „Angst vor einer Überflutung habe ich nicht“, sagt er. „Der Damm hat im Jahr 2002 gehalten, und seitdem ist er verstärkt worden und wird wieder halten.“

In der nördlich gelegenen Prignitz gilt für die Elbe hingegen noch die Alarmstufe 2. Auf eine harte Bewährungsprobe stellt sich der dortige Krisenstab dennoch ein. Hier wird mit einem starken Anschwellen der Elbe in den nächsten fünf Tagen erwartet. Vorsorglich hat der Landkreis 500 000 Sandsäcke geordert, um die Deiche rund um Wittenberge zu verstärken.

Weitaus dramatischer ist, dass auch an der Spree zwischen der Landesgrenze zu Sachsen bis ins brandenburgische Spremberg inzwischen die Alarmstufe 4 gilt. Experten rechneten damit, dass aus der Talsperre Spremberg mehr als 100 Kubikmeter Wasser pro Sekunde abgelassen werden – normal sind 16 Kubikmeter pro Sekunden. So müssen auch die Einwohner von Cottbus mit Überschwemmungen rechnen. Zigtausende Sandsäcke sollen unter anderem die Kleingartenanlagen an der Spree, aber auch das Stadion der Freundschaft des Zweitligisten Energie Cottbus schützen.

Bei Flussanrainern wachsen indessen die Sorgen, ob und wann sie ihre Häuser verlassen müssen. Umso fataler sind falsche Informationen, die Unruhe auslösen: Ausgerechnet das passierte jetzt Umweltministerin Anita Tack (Linke), die in Brandenburgs Regierung für Hochwasserschutz zuständig. Sie musste sich am Mittwoch für eine Fehlinformation ausgerechnet in der Hauptnachrichtensendung „Brandenburg-Aktuell“ entschuldigen. Tack hatte dort, befragt zur Situation an der bereits fast vollen Spree-Talsperre in Spremberg gesagt: Dort komme weiter reichlich Wasser an, denn die weiter südlich gelegene Talsperre im sächsischen Bautzen sei „defekt“. Außerdem fügte sie hinzu: „Dort läuft das Wasser alles ab.“ Zum Glück war das ein Fehler, diese Wassermengen hätten auch die Talsperre Spremberg zum Überlaufen gebracht. Richtig ist, dass in Bautzen die Talsperre bereits randvoll ist und dort „kontrolliert überläuft“, wie es aus den Sächsischen Behörden heißt. Tack hatte wohl interne Informationen aus Sachsen, dass ohne Ablasse der große Staudamm in Bautzen gefährdet sein könnte. Aus dem Ministerium hieß es: „Es war bedauerliches  Missverständnis.“

Besonders problematisch ist hingegen, dass das Wasser mit Eisenschlamm aus den Braunkohletagebauen angereichert ist. Bislang lagerte sich dieser vor allem in der Talsperre Spremberg ab, nun befürchten viele Menschen vor allem im Spreewald, dass die braune Flut Umwelt und Tourismus schädigt.

Kritisch ist die Lage in Halle, wo nach Angaben des Krisenstabs der Landesregierung von Sachsen-Anhalt etwa 30.000 Menschen zum Verlassen ihrer Häuser aufgefordert wurden. Die Stadt Halle sei „der Schwerpunkt“ des Geschehens, sagte eine Sprecherin des Krisenstabs in Magdeburg. Aber auch in anderen Regionen des Landes sei die Situation ernst. Acht Landkreise und Städte hätten Katastrophenalarm ausgelöst. Das Hochwasser der Saale hatte den Angaben des Krisenstabs zufolge am Morgen einen Damm mitten in Halle überflutet, so dass die Innenstadt und weitere Stadtteile voll Wasser liefen. Wie die Stadtverwaltung mitteilte, war ein 200 Meter langer Abschnitt betroffen. Die Polizei warnte die Menschen demnach über Lautsprecher vor der Gefahr.

Auch Sachsen war schwer getroffen. Im Landkreis Nordsachsen mussten nach Angaben der Kreisverwaltung zwei Ortschaften zwangsevakuiert werden. In Dresden kämpften die Einsatzkräfte weiter gegen die steigende Pegel. Nach den neuesten Prognosen wird für Dresden am Donnerstag mit einem Höchststand der Elbe von maximal 8,70 Metern gerechnet. „Es wird ein langgestreckter Scheitel“, sagt ein Sprecher des Hochwasserzentrums. Die Behörden begannen mit Evakuierungen in weiteren Stadtteile, etwa 1000 Menschen waren laut Stadt bisher von den freiwilligen Maßnahmen betroffen. "Heute sehen wir uns gerüstet“, sagt Kai Schulz, Sprecher der Stadt Dresden. „Die Flutschutzmaßnahmen greifen gut.“ Nach Angaben von Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) wurden seit der großen Flut 2002 rund 130 Millionen Euro in den Hochwasserschutz investiert. Die Dresdner Altstadt ist durch Hochwasserschutzmauern und mobile Schutzwände gesichert - zumindest bis zu einem Pegel von 9,40 Meter. Auch viele Museen sehen sich insgesamt gut vorbereitet auf das Hochwasser. „Es gibt Notfallpläne, technische Verbesserungen, und auch die Behörden arbeiten gut zusammen“, sagt Hartwig Fischer, Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, der Nachrichtenagentur AFP. Am Zwinger, der unter anderem die Gemäldegalerie Alte Meister beherbergt, seien vorsorglich schon mobile Schotten installiert worden. Zudem gibt es Pumpen und Notstromaggregate, mit denen laut Fischer eindringendes Wasser „sofort wieder entfernt oder zumindest kontrolliert werden kann“. Aus einigen gefährdeten Bereichen wurden Kulturgüter in höher liegende Areale geschafft.

Auch in den Hochwassergebieten im Osten Bayerns blieb die Lage teils kritisch. Besonders ernst war es im Landkreis Deggendorf, wo nach Angaben des bayerischen Innenministeriums für Mittwoch der höchste jemals gemessene Donau-Wasserstand erwartet wurde. Mehrere gefährdete Ortschaften mit etwa 6000 Menschen wurden geräumt.

Das an Hochwasser gewöhnte Lauenburg in Schleswig-Holstein evakuiert erstmals die von der Elbeflut bedrohte Unterstadt. Betroffen sind bis zu 150 Häuser nahe am Fluss. Deren Bewohner müssten von Freitag 9 Uhr an ihre Häuser verlassen, kündigte Bürgermeister Andreas Thiede (CDU) am Mittwoch an. Nach offiziellen Vorhersagen soll der Pegelstand der Elbe am Wochenende auf mehr als neun Meter steigen, für Mittwoch nächster Woche wird ein historischer Höchststand von 10,35 Metern erwartet. Nach extremen Regenfällen kämpft ganz Mitteleuropa derzeit mit einer Hochwasserkatastrophe. In Deutschland waren zehntausende Helfer im Einsatz, darunter mehr als 40.000 Feuerwehrleute, 5000 Bundeswehr-Soldaten sowie mehrere tausend Angehörige des Technischen Hilfswerks. Auch etwa 200 französische und niederländische Soldaten halfen laut Bundeswehr bei der Flutbewältigung. Bundes- und Landesregierungen bildeten Krisenstäbe und sicherten Betroffenen umfangreiche finanzielle Soforthilfen zu. Die Bundesregierung stellte 100 Millionen Euro in Aussicht. Die Linkspartei kritisierte dies als unzureichend. „Angesichts der Schäden ist die Ankündigung der Kanzlerin ein Witz, auf alle Fälle zu wenig, um die Schäden zu ersetzen“, erklärte deren Vize-Fraktionschef Dietmar Bartsch am Mittwoch.

Die Bundesregierung will neben der allgemeinen Soforthilfe von 100 Millionen Euro für Unternehmen in den Hochwasser-Regionen aber auch noch ein 10-Punkte-Programm auflegen. Damit soll der Wiederaufbau unterstützt werden. Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) legte in Berlin ein Paket vor, wonach die staatliche Förderbank KfW an Firmen, Privathaushalte sowie Kommunen Kredite von weiteren 100 Millionen Euro vergeben soll. Die Auswirkung des Hochwassers auf das Wachstum könne noch nicht beurteilt werden, sagte Rösler. Die Industrie erwartet keine Rückschläge für das Wachstum. Der Aufschwung könne sich allenfalls verzögern, sagte BDI-Chef Ulrich Grillo. Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU) sagte den Bauern Unterstützung zu.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) kritisierte Mängel beim Hochwasserschutz in einigen Regionen. Während die Vorkehrungen vielerorts verbessert worden seien, seien die Schutzmaßnahmen andernorts „im Planfeststellungsverfahren stecken geblieben“ oder das gesamte Konzept sei nicht umgesetzt worden, sagte er in Berlin. Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) will nach dem Ende der Hochwasser-Bedrohung die möglichen Versäumnisse beim Hochwasserschutz in den betroffenen Gebieten untersuchen lassen. „Sobald sich das Wasser verlaufen hat, muss es eine umfassende und sehr transparente Fehler- und Schwachstellen-Analyse geben“, sagte Altmaier am Mittwoch der Nachrichtenagentur dpa in Berlin. „Wir müssen sehen, welche Maßnahmen, die seit 2002 umgesetzt wurden, in der Praxis gewirkt haben oder auch noch nicht ausreichend umgesetzt
sind.“ Zudem will er auch überflutete Regionen besuchen. Wenn die akute Bedrohung vorbei sei und die Aufräumarbeiten beginnen, werde er auch vor Ort das Gespräch mit den Betroffenen suchen, kündigte Altmaier an.
Die Umweltschutzorganisation WWF warf Kommunen in den Flutgebieten vor, durch Beharren auf höhere Deiche für die Zuspitzung der Situation mitverantwortlich zu sein. Damit werde das Problem nur flussabwärts verlagert, erklärte WWF. Flüssen müsse endlich wieder „mehr Raum“ in Form von Auwäldern und natürliche Überflutungsflächen gegeben werden. (mit dpa und AFP)

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