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Nicht nur für Profis: eine Herzdruckmassage, hier von einem Rettungssanitäter der Berliner Feuerwehr demonstriert.

© Jörg Carstensen/dpa

Kollaps im Sportunterricht: Lehrer haben Pflicht zu Erster Hilfe

Ein Schüler bricht im Sportunterricht zusammen und erleidet schwere Hirnschäden. Lehrer reagierten, aber nicht ausreichend, entschied der Bundesgerichtshof.

Der Bundesgerichtshof (BGH) betont die Erste-Hilfe-Pflicht für Lehrer im Sportunterricht. Sportlehrern obliege die Amtspflicht, etwa erforderliche und zumutbare Erste-Hilfe-Maßnahmen rechtzeitig und in ordnungsgemäßer Weise durchzuführen. Der BGH hob am Donnerstag in Karlsruhe ein Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt auf und wies es zur Neuverhandlung zurück (Az. III ZR 35/18).

Was war im konkreten Fall passiert? Ein damals 18-Jähriger stand kurz vor dem Abitur und hatte große Pläne. Bis zu jenem Nachmittag im Januar 2013. Fünf Minuten nach Beginn des Aufwärmtrainings im Sportunterricht hörte der junge Mann mit dem Laufen auf. Der Gymnasiast aus Wiesbaden hatte Kopfschmerzen. Er sackte an der Wand zusammen, ist nicht mehr ansprechbar. Die Lehrerin alarmierte den Notarzt.

Bis der kam, verging wertvolle Zeit. Acht Minuten Bewusstlosigkeit ohne jegliche Laienreanimation, heißt es später im Klinikbericht. Der Schüler erleidet schwerste Hirnschäden durch Sauerstoffmangel. Der junge Mann aus Wiesbaden wollte Biochemie studieren. Nun ist er zu 100 Prozent schwerbehindert und muss rund um die Uhr von seiner Familie betreut werden.

„Es ist eine tragische Sache.“ So leitete der Vorsitzende Richter Ulrich Herrmann vor zwei Wochen die mündliche BGH-Verhandlung ein. Auf der einen Seite sitzen ihm Vertreter des hessischen Kultusministeriums gegenüber, auf der anderen Seite der Vater des Jungen.

Sein heute 24-jähriger Sohn hatte das Land Hessen wegen unzureichender Erste-Hilfe-Maßnahmen verklagt. Er forderte mindestens 500.000 Euro Schmerzensgeld, gut 100.000 Euro für die Erstattung materieller Schäden, eine monatliche Mehrbedarfsrente von etwa 3000 Euro sowie die Feststellung, dass Hessen auch für künftige Kosten aufkommen soll. Die Familie klagt, damit so etwas nie mehr in einer Schule passiert, sagt der Vater. Und: „Wir wollen, dass unser Sohn versorgt ist, wenn wir nicht mehr sind.“ Vor dem Landgericht Wiesbaden und dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt blieb die Klage erfolglos. Es sei nicht sicher, ob mögliche Fehler der Lehrer bei der Ersten Hilfe sich kausal auf den Gesundheitszustand des Klägers ausgewirkt hätten.

Dass nicht alles gut lief, wurde bei der BGH-Verhandlung deutlich. Von einer „Verkettung unglücklicher Umstände“ spracht die Anwältin des hessischen Kultusministeriums. „Ein ganz tragischer und unglücklicher Ausnahmefall.“ Grobe Fahrlässigkeit wies sie zurück - und auch, dass acht Minuten nichts passiert sei. Lehrer könnten nicht damit rechnen, dass ein Schüler aus heiterem Himmel plötzlich zusammenbricht.

Ob der Schüler noch atmete, wurde nicht kontrolliert

Die Lehrerin und ein ebenfalls anwesender Kollege waren nicht untätig: Der Junge wurde nach Anweisung der Rettungsleitstelle in die stabile Seitenlage gebracht. Der Puls wurde gefühlt. Doch ob der Schüler noch atmete, wurde nicht kontrolliert. Es gab weder eine Mund-zu-Mund-Beatmung noch eine Herzdruckmassage. Obwohl der Schüler nach Zeugenaussagen schon blau gewesen sei, hätten zwei Lehrer acht Minuten lang „nichts“ zur Wiederbelebung getan, sagte der Anwalt des Jungen vor dem BGH.

Sein Vater, selbst lange Betriebssanitäter, versteht nicht, wie das passieren konnte. „Man kann nichts falsch machen bei einer Wiederbelebung.“ Das sagte auch der Bundesarzt des Deutschen Roten Kreuzes, Peter Sefrin. Aus Furcht werde in vielen Fällen nichts getan, bis der Notarzt kommt. Bis dahin würden Chancen möglicherweise vertan. Dabei, so der Mediziner, sei es das einzig Falsche, nichts zu tun. (dpa)

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