zum Hauptinhalt
Hunderttausende Tiere dürften auf den Straßen der ägyptischen Hauptstadt leben. Offizielle Schätzungen gibt es nicht.

© REUTERS

Kein Tierschutz in Ägypten: Schwere Zeiten für Vierbeiner in Kairo

Ägypten ist noch immer ein Krisenland, die Armut wächst. Das Wohl von Vierbeinern interessiert hier nur sehr wenige. Ein Besuch in Kairo.

Cleopatra hat sich neben ihre sechs toten Welpen gelegt. Die Hundemutter schaut traurig, stupst in dem Internetvideo mit ihrer Schnauze ihre Babys an. Die kleinen weißen Körper aber liegen reglos auf dem Boden. Der Besitzer eines Supermarktes hatte die Tiere mit einem Messer getötet. Später sagte er, die Hunde hätten sein Geschäft ruiniert. Viele Kunden hätten sich Sorgen wegen der Hygiene gemacht. Cleopatra verbrachte ihr ganzes Leben am Eingang des Wohnhauses neben dem Supermarkt im Zentrum von Kairo. Der Pförtner hatte sich um sie gekümmert, wollte auch die Welpen aufpäppeln. Dann waren sie tot.

Solche Geschichten gibt es viele in dem Land am Nil, das von einer politischen Krise in die nächste schlittert und die Armut dramatisch zunimmt. Für Katzen und Hunde ist es einer der gefährlichsten Orte der Welt. Wenn es um das Ranking der tierfeindlichsten Länder geht, hat Ägypten – dort wird gerade ein Parlament gewählt – nach Meinung von Aktivisten einen Spitzenplatz sicher.

Die Aktivistin Kheloud Gomoaa frustriert die Situation

Kheloud Gomoaa ist Tierschützerin. Sie lebt mit einem Dutzend Katzen, zwei Hunden und einer Schildkröte in ihrer Wohnung im Kairoer Stadtteil Garden City. Sie braucht lange, um die von Musiklegenden inspirierten Namen ihrer Haustiere aufzuzählen: Miky, Fredy, Mozart, Beethoven…Ihre neue Mitbewohnerin, Katzendame Pusi, hat sie vor Kurzem adoptiert. „Auf dem Markt habe ich zufällig diesen heulenden Erstklässler getroffen, seine Eltern hatten ihm gesagt, dass er Pusi dort aussetzen soll“, erzählt die 25-jährige Projektmanagerin einer Nichtregierungsorganisation für Frauenrechte. Gomoaa nahm sich der Katze an. Immer wenn die schlaksige junge Frau ihre Wohnung betritt, gibt es einen großen Begrüßungszirkus. Dann springen sie mindestens vier oder fünf Tiere an. Sie liebt sie alle, ihre Mitbewohner. „Deswegen denken so viele, ich sei verrückt.“

Die 25-jährige Kheloud Gomoaa engagiert sich in Ägypten als Tierschützerin.
Die 25-jährige Kheloud Gomoaa engagiert sich in Ägypten als Tierschützerin.

© Mohamed Amjahid

In Ägypten geht es aber um mehr als nur Unverständnis gegenüber einer Tierliebhaberin, die noch dazu Vegetarierin ist. Die Menschen reagierten meistens mit einem „Iss Huhn!“. „Als ob das kein Fleisch sei“, sagt Gomoaa. Das Hauptproblem sieht sie aber nicht in mangelnder Bildung oder sozialer Benachteiligung. Während im Ägypten der Antike Tiere oft als Vertreter der Götter verehrt und millionenfach zu Mumien verarbeitet wurden, sieht die Lage heute ganz anders aus. „Wir haben in Ägypten allgemein wenig Bewusstsein, dass Tiere auch Lebewesen mit Rechten sind.“ Nach islamischem und christlichem Recht darf man zwar keine Tiere quälen. „Im ägyptischen Strafrecht werden Tiere aber wörtlich als Besitztümer definiert“, sagt Gomoaa frustriert.

„In Ägypten gelten noch nicht mal Menschenrechte“

Fragt man Menschen in Kairo zu ihrer Meinung über Tierrechte, ist die Antwort fast immer gleich: „In Ägypten gelten noch nicht mal Menschenrechte.“ Auf Zamalek, der NilInsel, die als Manhattan Kairos gilt, vergiftete der Golfklub auf Forderungen der Mitglieder mehrfach Katzen, die sich auf das Gelände verirrt hatten. „Die übertragen Krankheiten, wir haben Angst um unsere Kinder“, sagt ein Golfspieler dazu.

Tierbesitzer machen sich auch deshalb Sorgen um ihre Vierbeiner. In Zamalek führen philippinische Haushaltshilfen die Hunde ihrer gut verdienenden Arbeitgeber immer an der Leine. Beim Gassi-Gehen droht ihnen auch Gefahr durch andere Tiere – die Straßenkatzen und Straßenhunde sind häufig sehr aggressiv und oft in der Überzahl. Viele Ägypter befürworten oder tolerieren daher, dass mit Gewalt gegen sie vorgegangen wird.

Gomoaa ist nicht nur auf die Tierquäler, sondern auch auf die Tierschützer wütend. Sie seien unpolitisch, hätten Angst vor dem Staat und würden die falschen Prioritäten setzen. Hundemutter Cleopatra lebt jetzt zum Beispiel in den USA. Die ägyptische Tieraktivistin Layla Fayek organisierte die „Flucht“, nachdem ihre Welpen getötet worden waren und dokumentierte alles auf Facebook. „Ich finde das gut, aber es ändert rein gar nichts“, sagt Gomoaa. Die Juristin träumt von einer Verankerung der Tierrechte in der Verfassung und von einem Programm für Tierfarmen außerhalb der Stadt. Um zu verhindern, dass sich die Tiere weiter unkontrolliert vermehren, könne man sie sterilisieren lassen, bevor man sie aus der Stadt schafft, sagt sie. Angesichts der Kosten dürfte dies allerdings ein Wunsch bleiben.

Wie viele Tiere wirklich auf Kairos Straßen leben, ist nicht bekannt

Es gibt keine offiziellen Zahlen, wie viele Tiere auf den Straßen der ägyptischen Hauptstadt leben. Es dürften mehrere hunderttausende sein, die im Moloch Tag für Tag im wahrsten Sinne um ihr Leben kämpfen. Anfang des Jahres machte die öffentliche Tötung eines Hundes in Gizeh weltweit Schlagzeilen. Wütende Anwohner, die sich von dem kräftigen Hund in der Pyramiden-Stadt bedroht fühlten, quälten das Tier minutenlang und töteten es mit Fleischermessern und Eisenstangen. Passanten filmten die Szene und luden sie auf YouTube hoch. Der Hund versuchte sich mit lautem Bellen zu wehren, er verendete dann aber nach einem langen Todeskampf in seiner eigenen Blutlache. Die Täter wurden zwar tatsächlich vor Gericht gestellt und zu drei Monaten Haft verurteilt – im Revisionsverfahren aber freigesprochen.

Berichte wie dieser in den sozialen Netzwerken haben nach Ansicht von Tierschützern zwar dafür gesorgt, dass die Menschen sensibler für das Thema werden. Doch den Tieren droht auch Gefahr durch die Behörden.

An vielen Orten liegen tote Tiere - offenbar vergiftet

„Vor allem in Kairo und Alexandria gibt es immer wieder ganze Straßenzüge, in denen tote Katzen und Hunde liegen“, sagt Gomoaa. Ein Rundgang durch die Kairoer Innenstadt und das Regierungsviertel bestätigt dies: An mehreren Orten finden sich tote Katzen, offenbar vergiftet und meist nur wenige Wochen alt.

Die Behörden in Ägypten reden nicht gerne über ihre „Säuberungsaktionen“, die sie offiziell „im Sinne der Sicherheit und der Gesundheit der Bevölkerung“ durchführen lassen. „Frühmorgens, wenn hunderte Tiere das Gift durch vergiftete Köder zu sich genommen haben, kommen Lastwagen und räumen die Kadaver weg“, berichtet Tierschützerin Gomoaa. Die toten Tiere landen auf den Müllhalden, in denen wiederum die Ärmsten der Armen nach verwertbaren Stoffen suchen. Dann stochern auch die Kinder der Müllsammler in Tierkadavern herum. „Allein dies sollte doch Grund genug sein, dass wir endlich etwas ändern“, sagt Gomoaa.

Zur Startseite