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Juwelenraub: In der Maske des Gentleman

Eine gut geschminkte Bande hat in London einen Luxusjuwelier ausgenommen – ihre Beute ist enorm.

Von Maris Hubschmid

Der Auftritt ist filmreif. Zwei Männer steigen aus einem schwarzen Taxi im Londoner Nobelviertel Mayfair. Sie tragen edle Anzüge und Krawatten, die Hände haben sie lässig in die Hosentaschen gesteckt. Selbstbewusst schlendern sie auf den Luxusjuwelier Graff zu, in dem Stars wie Paris Hilton, Mike Tyson und Victoria Beckham verkehren. Ein aufmerksamer Portier öffnet den vermeintlich wohlhabenden Gentlemen die Tür. Im Geschäft fällt plötzlich alle Galanterie von ihnen ab: Sie ziehen Schusswaffen, bedrohen die Angestellten und rauben Uhren und Schmuck im Rekordwert von 47 Millionen Euro.

Was an Heist-Movies wie die Ocean’s-Reihe oder „The Italian Job“ erinnert, hat sich vergangene Woche in der britischen Hauptstadt ereignet. Unter kurzer Geiselnahme einer Verkäuferin und Gebrauch diverser Fluchtfahrzeuge entkamen die Täter im Großstadtgewirr.

Am gestrigen Donnerstag drang nun ein brisantes Detail an die Öffentlichkeit: Die Gangster ließen ihre Gesichter zuvor von einem professionellen Maskenbildner verfremden. Das erklärt, weshalb sie sich trotz Videoaufzeichnung so abgebrüht und unvermummt zeigten. Mit speziellem Latex formte der Künstler ihre Proportionen um, veränderte auch die Hautfarben. Er nahm an, die Kunden für ein Musikvideo zu schminken. Als er die Bilder der Überwachungskamera in den Medien sah, dürfte er von diesem Glauben abgefallen sein. Jetzt durchkämmt die Polizei sein Studio nach DNA-Spuren. Viel kann der Visagist über die Männer nicht sagen, außer dass sie wenig gesprächig, vielleicht etwas arrogant gewesen seien und anständig gezahlt hätten.

Trotz getürkter Fahndungsfotos haben Ermittler eigenen Angaben zufolge unterdessen mehrere Wohnungen durchsucht und einen 50-jährigen Mann festgenommen, der mit dem Überfall in Verbindung stehen soll. Er wurde inzwischen gegen Kaution freigelassen. Von den Haupttätern und ihrer Beute fehlt bisher jede Spur.

Chefermittlerin Pam Mace aber gibt sich zuversichtlich. Vor allem Diamantenbesetztes nahmen die Unbekannten mit. Fotos davon kursieren bereits auf der ganzen Welt. Das erschwert natürlich den Absatz. Erst im Juni war es der französischen Polizei gelungen, rund 80 Prozent der Beute aus einem Überfall auf eine Pariser Filiale der Juwelierkette „Harry Winston“ sicherzustellen und die mutmaßlichen Täter zu verhaften, als diese versuchten, ihre Ware an ausländische Hehler zu veräußern.

Experten schätzen, dass die Räuber Ringe, Ketten und Armbänder nur für einen Bruchteil des eigentlichen Wertes anbieten können. Edelsteinfachmann Nicholas Somers sprach in London von etwa zehn Prozent des Ladenpreises. „Wahrscheinlich werden die Schmuckstücke schnell auseinandergenommen, damit man sie nicht erkennen kann“. Geschultes Personal vermag das Erscheinungsbild komplett zu verwandeln. Derartige Umarbeitungen bedeuten große Wertverluste. Dennoch werden sie häufig praktiziert, weil schließlich niemand Hehlerware offen tragen darf und will.

„Es sei denn, da stehen private Sammler als Auftraggeber im Hintergrund“, sagt Sven Sippenauer vom Raubdezernat des Berliner Landeskriminalamts. Liebhaber sind zuweilen bereit, Unsummen für ein Juwel hinzulegen, nur, um es besitzen zu können. Dass die Londoner Gentlemen private Abnehmer an der Hand haben, ist nicht auszuschließen. „Sowas ist reine Spekulation“, betont Sippenauer. Was und wie die Gangster auch an ihrem Coup verdienen werden, ob er sich gelohnt hat oder letztendlich bloß ein nettes Verkleidungsspiel war: Der Kriminaloberkommissar hat die Erfahrung gemacht, dass Gestohlenes selten wieder auftaucht. Es gab allerdings schon Fälle, in denen Uhrenhersteller Diebesgut zur Reparatur zugeschickt bekamen.

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