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Blick auf die Klagemauer in Jerusalem

© REUTERS/Ammar Awad

Jerusalem: Mit der Seilbahn zur Klagemauer? Stadtplaner sind empört

Eine Seilbahn soll Besucher Jerusalems bis zum Altstadttor nahe der Klagemauer bringen. Kritiker sehen die historische Landschaft in Gefahr.

Israel Kimchi hat die Hoffnung nicht ganz aufgegeben, dass das höchst umstrittene Seilbahnprojekt in Jerusalem noch verhindert werden kann. Er setzt auf den Einfluss von außen. „Die internationale Gemeinschaft müsste einschreiten, Druck auf die Regierung ausüben“, sagt der Stadtplaner. Kimchi wurde in Jerusalem geboren und leitete bereits in den 70er und 80er Jahren die Abteilung für politische Planung der Stadtverwaltung. Ein Jerusalem-Kenner, für den feststeht: Eine Seilbahn hat nahe der Altstadt nichts verloren, sie wäre eine Gefahr für das Unesco-Weltkulturerbe und die historische Landschaft.

Mit dieser Ansicht steht Kimchi nicht allein. Derzeit laufen viele israelische Stadtplaner, Architekten und Organisationen Sturm gegen den Plan von Stadt und Regierung, eine Seilbahn in Jerusalem zu errichten. Diese soll bereits ab 2021 bis zu 3000 Besucher pro Stunde von Westjerusalem über den Zionsberg bis zum Misttor der Altstadt nahe der Klagemauer bringen – in weniger als fünf Minuten für eine Strecke von rund 1,4 Kilometern.

Die Initiatoren des Projekts sind überzeugt, dass die Seilbahn neue Besucher anlockt und obendrein Verkehrs- und Umweltprobleme rund um die Altstadt löst. Das Projekt werde „das Gesicht Jerusalems verändern und Touristen und Besuchern einen leichten und bequemen Zugang zur Klagemauer ermöglichen. Die Seilbahn wird als außergewöhnliche und wichtige Attraktion dienen“, sagt Tourismusminister Yariv Levin. Die Jerusalemer Entwicklungsbehörde, die die Pläne umsetzen soll, sieht Berichten zufolge in der Seilbahn eine komfortable, ruhige und umweltfreundliche Lösung in hügeligem Terrain, wodurch der Busverkehr nahe der Altstadt um 50 Prozent reduziert werden könnte, der von Privatautos um 30 Prozent.

Das Verkehrsproblem wird verlagert

Tatsächlich kann es am Misttor, einem der Zugänge zur Altstadt, schon mal eng werden für Autos und Busse, vor allem in der Ferienzeit, zu Pilgerfesten und an Tagen, an denen an der Klagemauer im Minutentakt religiöse Familienfeste gefeiert werden. Doch dass die Seilbahn diese Verkehrsprobleme lösen würde, stellen Kritiker infrage. „Sie würde das Verkehrsproblem nur an einen anderen Ort verlagern“, sagt etwa Architekt Gavriel Kortesz. Denn Besucher müssten südwestlich von der Altstadt in die Seilbahn steigen. Und zwar bei der „Alten Zugstation“, ein stillgelegter Bahnhof, in dem sich Cafés, Restaurants und Läden befinden. Aber auch dort müssten die Busse und Autos irgendwo parken. Und auch dort sind die Straßen eng und schon jetzt gut befahren, die Parkplätze begrenzt.

Kritiker sehen noch ganz andere Probleme. Die Seilbahn würde über das historische Hinnom-Tal gleiten, ein Ort, der mehrmals in der Bibel erwähnt wird. Von dort ginge es weiter auf den Zionsberg, nahe am Grab Davids, an der Dormitio-Abtei und der Kirche St. Peter in Gallicantu vorbei. In unmittelbarer Nähe zu den Heiligtümern und inmitten einer historischen Landschaft müssten dafür neben vier Stationen 15 Seilbahnstützen errichtet werden. „Die können die Höhe eines achtstöckigen Hauses erreichen“, warnt Gavriel Kortesz und schlägt vor, zunächst Baugespanne zu errichten, um das Ausmaß des Projekts zu verdeutlichen.

Außerdem zweifeln Kortesz und viele andere die Rechtmäßigkeit des Entscheidungsverfahrens an. Denn damit das Vorhaben auf schnellstmöglich genehmigt wird, läuft es nicht wie üblich durch die lokalen, regionalen und nationalen Ausschüsse, in welche Einwände aus der Bevölkerung einfließen können, sondern über den Nationalen Infrastruktur-Ausschuss. Diese Einrichtung, bestehend aus Vertreter von Ministerien, der Umweltschutzbehörde, der Landesbehörde und der Stadt, wurde dazu gegründet, größere Infrastrukturprojekte besonders schnell und ohne lange Diskussionen durchzuboxen.

In diesem Falle aber sei das illegal, sagen Architekten und Stadtplaner. Schließlich sei die Seilbahn in einem Gebiet geplant, das größtenteils von offenen Flächen umgeben ist. Und in solchen Fällen müssten Projekte den langsamen Weg über die lokalen und regionalen Ausschüsse gehen – damit die Öffentlichkeit mehr Möglichkeiten hat, Bedenken zu äußern. Und die Zahl der Gegner wächst. Die Nichtregierungsorganisation Emek Shaveh, die sich dem Schutz historischer Stätten verschrieben hat, rügt das Projekt seit Monaten öffentlich.

Mittlerweile haben 70 Vertreter aus Kultur, Wissenschaft, Archäologie und Architektur eine Petition eingereicht, in der es heißt: „Jerusalem ist nicht Disneyland, und seine landschaftlichen Schätze und seine Erbstätten sind keine verhandelbare Währung.“ Auch die Vereinigung der Architekten und Stadtplaner in Israel lehnt das Projekt in einer Stellungnahme vehement ab. Es würde „Jerusalem den Status als Weltstadt nehmen“ und „seinen Wert als Welterbe mindern“. Sogar Star-Architekt Mosche Safdie, der unter anderem die Holocaustgedenkstätte Yad Vashem entworfen hat, schaltete sich mit einem Brief in die Debatte ein.

Die Vorlage der Architekten sei irreführend, die Seilbahn erscheine darin viel kleiner, als sie in Wirklichkeit sei. „Eine Seilbahnanlage, die an die Mauern der Altstadt grenzt und über ein historisches Tal schwebt, unterhalb des Zionsbergs und den südlichen Hängen des Hinnom-Tals und der Altstadt, wäre ein Präzedenzfall, der zweifellos internationale Ablehnung und Tadel hervorrufen wird“, schreibt Safdie.

Genau darauf hofft Jerusalem-Experte Israel Kimchi. Schon in den kommenden Monaten könnte der Infrastruktur-Ausschuss die Genehmigung für den Bau erteilen. Bis dahin wollen die Gegner aber alles tun, um Aufmerksamkeit auf den Plan zu lenken, den Druck auf die Regierung zu erhöhen – und den Bau doch noch zu verhindern.

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