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In Rom stapelt sich der Müll in den Straßen.

© picture alliance / dpa

Italien: Rom kapituliert vor dem Müll

Die italienische Hauptstadt versinkt im Abfall – weil die Stadtbehörden überfordert sind. Nun sollen die Bürger vor ihren Häusern zupacken.

Immerhin: Die Schulen der Ewigen Stadt haben am Montag nach den Festtagen den Unterricht wieder aufgenommen. Das war bis Sonntag noch in Frage gestellt. Weil auch in den Straßen rund um die meisten der insgesamt 3000 Schulgebäuden der Stadt massenhaft Abfall herumlag, hatte der Präsident der Schulvorsteher, Mario Rusconi, am Freitag damit gedroht, dass einzelne Schulen geschlossen bleiben könnten: „Der Müll wird zunehmend zu einer Gefahr für die Gesundheit der Schüler“, schrieb Rusconi. Denn angelockt vom stinkenden Hausabfall rund um die Schulen hätten sich über die Festtage auch schon Ratten in die Klassenzimmer verirrt.

Die Schulhäuser sind am Wochenende in einem von Bürgermeisterin Raggi eilends verordneten Sondereinsatz der Müllabfuhr von den Abfallbergen – einigermaßen – befreit worden. Doch diese Notfall-Maßnahme ändert wenig daran, dass sich die in Rom seit Jahren schwelende Müllkrise über die Festtage dramatisch zugespitzt hat. Der Grund: Zwei Wochen vor Weihnachten ist eine Abfallsortieranlage im Norden Roms in Flammen aufgegangen. Gleichzeitig wurde über die Festtage mehr Müll als üblich produziert. Das Resultat: In den Wohnquartieren und in der Peripherie überquellen die Abfallcontainer; um diese herum stapeln sich die stinkenden Müllsäcke zum Teil meterhoch.

Und weil die städtische Müllabfuhr mit den täglich anfallenden 5000 Tonnen Hausabfall überfordert ist, sollen nun die Römerinnen und Römer selber Besen und Schaufel zur Hand nehmen. Das „Einbeziehen der Anwohner beim Sauberhalten der Straßen“ ist in einem neuen Reglement vorgesehen, das Raggi an diesem Dienstag dem Stadtparlament vorlegen wird. Wo die Anwohner den Dreck hinbringen sollen, verrät das Reglement freilich nicht. Die Bewohner der Ewigen Stadt, die nach den Neapolitanern landesweit die zweithöchsten Abfallgebühren bezahlen, sollen außerdem ermuntert werden, sich kleine Haus-Kompostieranlagen für den Balkon anzuschaffen.

Politische Bankrotterklärung

Das neue Reglement ist eine politische Bankrotterklärung Raggis. Aber das Problem ist ein grundsätzliches: In der Drei-Millionen-Metropole Rom existiert keine einzige Müllverbrennungsanlage. Bis vor wenigen Jahren wurde fast der gesamte Abfall Roms einfach auf die Deponie Malagrotta am Stadtrand gekarrt. Der linke Vorgänger von Raggi, Ignazio Marino, hatte die seit Jahren laut EU-Regeln illegale Deponie zwar im Jahr 2013 verdienstvollerweise geschlossen – aber er vergaß, eine alternative Entsorgungslösung zu entwickeln. Und auch die heute 40-jährige Raggi von der Protestbewegung Cinque Stelle hat zweieinhalb Jahre nach ihrer Wahl nicht einmal ansatzweise ein Konzept, wie die Müllkrise gelöst werden könnte.

Die einzige rationale Lösung wäre der Bau einiger moderner Müllverbrennungsanlagen. Doch davon will Virginia Raggi nichts wissen: Für sie und ihre Cinque Stelle sind die Öfen wegen der Abgase Teufelswerk. Raggis Rezept lautet: Müllvermeidung, Mülltrennung und Wiederverwertung zu 100 Prozent. Dass der Anteil des getrennt eingesammelten Abfalls in Rom bisher kaum mehr als 50 Prozent ausmacht, blendet die Bürgermeisterin einfach aus. Und so wird seit der Schließung der Malagrotta-Deponie weiterhin mehr oder weniger der gesamte Römer Müll exportiert: zum größten Teil in die Verbrennungsanlagen in Norditalien, aber auch ins Ausland. Das kostet die Stadt jedes Jahr Millionen.

Rom ist mit seinen Müllproblemen nicht allein: In ganz Süditalien herrscht ein dramatischer Mangel an Müllverbrennungsanlagen. Die wenigen Öfen vermögen bei weitem nicht den gesamten produzierten Abfall zu bewältigen. Der Rest verschwindet zum Teil in Deponien, wobei die Mafia insbesondere bei der Beseitigung des Sondermülls kräftig mitmischt, zum Teil wird er ebenfalls teuer exportiert. Aber auch in Norditalien werden seit 2013 keine neuen Verbrennungsanlagen mehr gebaut – und Vizepremier Luigi Di Maio von den Cinque Stelle hat unlängst allen Ernstes verlangt, dass die bestehenden Anlagen eine nach der anderen stillgelegt werden.

„Wir stehen vor einem nationalen Notstand“, betont Filippo Brandolini, Vizepräsident von Utilitalia, dem Dachverband der öffentlichen Entsorgungsbetriebe Italiens. Um diesem Notstand zu begegnen, müssten laut dem Abfall-Experten in Italien mindestens vier Milliarden Euro in neue Anlagen investiert werden. Unter der populistischen Regierung aus Cinque Stelle und rechtsradikaler Lega scheint dies jedoch völlig ausgeschlossen.

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