zum Hauptinhalt
Kaum zu fassen. ]Tausende Menschen trauerten um den berühmten indischen Rapper. Sein Todesort ist längst zur Pilgerstätte geworden.

© IMAGO/ZUMA Wire

Indischer Rapper erschossen: Erinnerungen an Tupac Shakur

Der letzte Song von Sidhu Moose Wala heißt „The last ride“ – kurz darauf wird er in seinem eigenen Wagen erschossen. Geht es um Schutzgeld? Eine Spurensuche.

Lediglich ein paar Kilometer möchte Sidhu Moose Wala am Tag, an dem er sterben wird, mit dem eigenen Auto zurücklegen. Der 28-Jährige ist in der nordindischen Stadt Mansa unterwegs, ohne Bodyguards und nicht wie sonst im gepanzerten Fahrzeug. Gerade hat der erfolgreiche Rapper seinen neuen Track „The last ride“ (Die letzte Fahrt) veröffentlicht. Der läuft gut in Indien und im Ausland – so wie überhaupt in der Rapszene Indiens Millionen über Millionen umgesetzt werden. Inhalt des Songs: todbringende Gewalt, Waffen und ein Protagonist, der viel zu früh stirbt. Im Video rappt der Mann mit Turban auf Punjabi. Dabei tauchen immer wieder Andeutungen an den 1996 in seinem Auto erschossenen Musikers Tupac Shakur auf. Unheimliche Parallele: Auch Moose Wala wird auf dieser letzten Fahrt am 29. Mai im eigenen Wagen erschossen.

Wie beim großen Vorbild in den USA gibt es auch in der indischen Musikszene Rivalitäten. Es gibt Konkurrenz, Sendungsbewusstsein, Rechthaberei und die falschen Freunde. Es gibt Gewalt, und wie der Fall Moose Wala zeigt, sehr wahrscheinlich sogar Mord. Zur These vom Mord passt, dass es nach Polizeiangaben schnell einen Bekenner gibt. Der indischstämmige Kriminelle Goldy Brar aus Kanada soll bekannt gemacht haben, Drahtzieher der Tötung zu sein. Involviert soll zudem ein anderer Gangster sein: Lawrence Bishnoi, der wegen eines anderen Vergehens in Delhi einsitzt. Er behauptet nach Medienberichten, die tödlichen Schüsse wurden in seinem Auftrag in Kooperation mit Brar abgefeuert. Dem Land ist Bishnoi spätestens seit 2018 bekannt. Damals bedrohte er den Schauspieler Salman Khan und versuchte mehrfach, ihn umbringen zu lassen. Ohne Erfolg, der Bollywood-Star ist noch immer quicklebendig.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Angeblich verfügt der spezielle Häftling Bishnoi über ein Heer vor Scharfschützen. Zwei mutmaßliche Mitglieder dieses Privatkommandos wurden nun in der westindischen Stadt Pune in Bundesstaat Maharashtra dingfest gemacht. Bishnois Neffe Sachin möchte es jedoch auch gewesen sein, und beansprucht die Tat für sich. Es ist bei so viel Bekenntnis schwierig, einen Überblick zu bekommen. Bei der Tötung von Moose Wala soll es sich angeblich um einen Racheakt handeln, für den Mord an einem Studentenführer im August 2021, so die Gangster. Hinter diesem Mord wiederum soll Moose Wala gestanden haben, behaupten sie. Das Motiv ist unklar. Die Familie des Rappers weist das erzürnt ab und verlangt, die Polizei solle ihre Arbeit tun. Die lässt sich nicht lange bitten und hat sei der Tötung mindestens elf Personen verhaftet.

In der Musikszene des Punjabs fließt viel Geld

In der „Times of India“ ist jedoch auch die Rede von Schutzgeldern, die sofort dann abgepresst werden, wenn ein Musiker einen Hit landet, berühmt wird und bei ihm etwas zu holen ist. Aus Bollywood kennt man das Vorgehen schon so lange, dass auch diese Erklärung den meisten Beobachtern logisch erscheint. Das Zentrum des neuen ausbeuterischen Systems rund um den Punjabi Rap soll das von Le Corbusier errichtete Chandigarh sein, durch eine Sonderregelung Hauptstadt der Provinz Punjab und Haryana zugleich, Universitätsstadt mit großer Musikszene.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Einige ihrer Mitglieder, die von den Medien nicht namentlich genannt werden, bestätigen die Schutzgeldforderungen. Auch sie haben furchteinflößenden Drohungen erhalten und verstehen nicht, weshalb sie nicht mehr Polizeischutz erhalten. Klar ist, dass es in der Musikszene des Punjabs etwas zu holen gibt. Die Deutsche Welle berichtete jüngst, dass dieser Markt allein etwa 84 Millionen Euro groß ist und jedes Jahr um zehn Prozent wächst. Schwer zu sagen, welcher Musiker welchen Anteil daran hat. Aber sicher ist, dass man hier sehr reich werden kann.

Sicher wusste Moose Wala, der mit bürgerlichem Namen Shubhdeep Singh Sidhu hieß, um die Gefahr, die sein Erfolg mit sich brachte. Wie andere vor ihm kokettierte er mit dem Bild des Gangsterrappers. Er ließ sich mit Pistolen fotografieren, mit einem Maschinengewehr filmen. Doch die Bad-boy-Seite bildet nicht die ganze Geschichte ab. In einer Zeit, in der die indischen Bauern wegen Hitzewellen und Ernteausfällen noch mehr leiden als sonst, stellte er sich mit seiner Kunst in den Dienst derer, die sonst höchstens als Stimmvieh bei Wahlen den Politikern etwas wert sind: der einfachen Landbevölkerung.

Moose Wala schaffte es bin in die Politik

Auch seine Familie lebt von der Agrarwirtschaft, auch wenn es ihr besser geht als vielen Bauern. „Seine Musik ermutigte die Zuhörer, stolz auf das Leben als Bauer zu sein und das Leben auf dem Dorfe zu akzeptieren“, erklären die Wissenschaftler Harinder Happy und Shivam Mogha auf der indischen Newsseite „scroll.in“ den Appeal des Musikers. Während der Bauernproteste in 2021 wurden auch seine Songs gespielt. Es macht seit jeher den Rap aus, sich nicht mehr vom Leben und den Mächtigen abspeisen zu lassen. Moose Wala gab der Verzweiflung über Ungerechtigkeit eine Stimme. Angesichts der Lage in den Megastädten des Landes, ist es kein Wunder, dass Moose nicht der erste und einzige ist, der dieses Potenzial für sich entdeckt hat.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Wie viele seine Altersgenossen in Deutschland greift auch der musikalische Nachwuchs in Indien zum Handy und filmt sich beim Rap. Die Videos werden bei youtube hochgeladen, oft geht es in den Songs um die Hoffnungslosigkeit in den Armenvierteln, die Ignoranz der Mächtigen, und der Sehnsucht nach Teilhabe. Einer, der es vom verzweifelten Jungen zum Star geschafft hat, ist Vivan da Silva Fernandes, der aus armen Verhältnissen stammt und nun als Divine auf großen Bühnen steht. Er hat nicht nur Karriere als Musiker gemacht, sondern hilft nun anderen mit seinem Plattenlabel Gully Gang Records. Die Gruppe Bombay Lokal aus dem Vorort Nalasopara oder die Slumgods aus dem Mumbaier Dharavi arbeiten direkt mit Kindern und Jugendlichen zusammen, um ihnen beim Tanzen oder Rappen zu helfen.

Moose Wala ging noch einen anderen Weg. Er ließ sich im Februar von der Congress-Partei, der Partei von Indiens erstem Premier Jawaharlal Nehru und seiner Tochter und Nachfolgerin Indira Gandhi, zur Regionalwahl aufstellen. Obwohl er damit Beachtung gewann, verlor er gegen den Kandidaten der Antikorruptionspartei AAP. Der Partei also, die ihm und hunderten anderen erst Tage vor seinem Tod den Polizeischutz zusammengekürzt haben, angeblich, um einen Personenkult zu verhindern.

Der ist nun in vollem Gange. Zu Mooses Totenfeier am 31. Mai in Mansa, Punjab, kamen tausende von Menschen. Die in Stoffen gehüllte Leiche wurde auf das Feld seiner Familie getragen, traditionsgemäß auf einen Scheiterhaufen gelegt und vor einer bestürzten und wütenden Menge verbrannt. Längst ist der Ort zur Pilgerstätte geworden. Und um zu zeigen, wie sehr sie Moose Wala verehren, haben sich die ersten Fans sein Gesicht als Tätowierung stechen lassen.

Natalie Tenberg

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false