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Auch in Bulgarien machten in der Vergangenheit Menschen gegen die Immunisierung mobil.

© Hristo Vladev/imago images/NurPhoto

Impfquote niedrig, Sterblichkeit hoch: Europas Impf-Schlusslicht will aufholen

In Bulgarien lassen sich so wenige gegen Corona schützen wie nirgends in der EU. Dabei sterben hier besonders viele. Eine neue Impfkampagne soll helfen.

Von Oliver Bilger

Die Hinweisschilder an Geschäften, Restaurants und Straßenbahnen hängen hier und da weiterhin, doch Masken und Abstand spielen in Bulgarien keine große Rolle mehr. Zum 1. April sind die letzten Corona-Regeln ausgelaufen. Seitdem hat ein Mundschutz im Stadtbild von Sofia Seltenheitswert.

Die Inzidenz im Land liegt knapp unter 50 – der Wert ist vor allem auf fehlende Tests zurückzuführen. Sorge bereiten andere Zahlen.

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Zwischen 1000 und 2000 Impfdosen werden momentan jeden Tag verabreicht, die meisten dienen der Auffrischung. Die Quote der vollständig gegen Covid-19 Geimpften liegt bei nur knapp 30 Prozent. Nirgendwo in der Europäischen Union ist der Wert geringer. In ganz Europa liegt nur noch Bosnien wenige Prozent hinter dem EU-Mitglied am Schwarzen Meer.

Skepsis, Fake News, Unbekümmertheit

Als das Ende der Maßnahmen im März verkündet wurde, und damit der Wegfall der „grünen Zertifikate“, die man etwa für den Restaurantbesuch brauchte, beklagten Ärzte einen beunruhigenden Rückgang an neuen Impfwilligen.

Geimpft wird schon lange, einen Andrang wie im Frühjahr 2021 gibt es jedoch nicht mehr.
Geimpft wird schon lange, einen Andrang wie im Frühjahr 2021 gibt es jedoch nicht mehr.

© imago images/Xinhua

Dabei hatten die Menschen im Land früh Zugang zum Impfstoff, konnten zwischen Vakzinen wählen. Die mangelnde Impfbereitschaft ist für Angel Kuntschew, Bulgariens oberster Gesundheitsinspektor, nur „sehr schwer zu verstehen“.

Die Gründe für die Zurückhaltung sind teils ähnlich wie vielerorts: Skepsis gegenüber dem neuartigen Serum, zirkulierende Falschinformationen, gepaart mit einer gewissen Unbekümmertheit: So schlimm wird es schon nicht werden, sagen sich viele, vor allem in ländlichen Regionen.

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Andere wollen nicht so recht an die Wirkung des Impfstoffes glauben, weil sie die Spitze gratis bekommen – was nichts kostet, das könne nichts taugen, meinen sie. Kritik am Vakzin von AstraZeneca verunsicherten die Menschen zusätzlich. Und jetzt im anbrechenden Frühling haben ohnehin viele das Gefühl, das Virus stelle keine wirkliche Bedrohung mehr dar. Die aufgehobenen Regeln verstärken diesen Eindruck.

Hinzu komme allerdings ein traditionell „extrem niedriges Vertrauen in jegliche staatliche Organisation“, erklärt Kuntschew im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Türkenherrschaft oder Kommunismus – Macht wurde oft als etwas Fremdes wahrgenommen.

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Darunter leidet das Vertrauen bis heute – auch ins Gesundheitssystem. Das ist noch dazu schwach und stieß insbesondere in der Omikron-Welle im Winter schnell an Grenzen. Das soll sich nicht wiederholen.

Kuntschew ist zuständig für die Impfkampagne, die erst Anfang April so richtig gestartet ist: mit Werbespots im Fernsehen, Seminaren für Ärzten und Informationsveranstaltungen in Schulen und Firmen. „Das ist natürlich zu spät“, bedauert Kuntschew.

Drei Wahlen erschweren Pandemiebekämpfung

Dazu beigetragen habe auch die politische Lage im Land: Gleich dreimal waren die Bulgaren 2021 aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. „Ausgerechnet in der Pandemie“, sagt Kuntschew, habe es an Stabilität gefehlt. Wechselnde Verantwortlichkeiten im Gesundheitsministerium hätten den Kampf gegen Covid kaum vorangebracht.

Das Land habe in dieser Zeit eine „richtige Impfkampagne verpasst“, beklagt auch Radka Argirowa, Vorsitzende des Verbands der Virologen. Daran änderten auch die 75 Lewa (circa 32 Euro) nichts, mit denen die Politik Rentner zum Impfen ermutigen wollte.

Auf mindestens 50 Prozent soll die Impfquote bis September steigen. Denn auch in Bulgarien warnen Virologen vor neuen Infektionswellen im Herbst und Winter. „Die Pandemie ist noch nicht vorbei“, sagt Chefvirologin Argirowa.

Sie fürchtet eine kleinere Welle bereits nach dem orthodoxen Osterfest, das am kommenden Wochenende gefeiert wird, wenn viele Menschen mit ihren Angehörigen zusammenkommen. Nach dem Schulbeginn im September erwartet sie dann noch deutlich mehr Ansteckungen. Darüber hinaus müssten die Menschen für die Gefahr durch Long-Covid sensibilisiert werden.

„Großes Ziel für das Virus“

Aufgrund der niedrigen Impfquote sei Bulgarien ein „großes Ziel für das Virus“ warnt Argirowa, derzeit vor allem für den Omikron-Typ BA.2, der bei den Ungeimpften einen „leichten Zugang“ finden könne. Bulgarien könne wie ein „Inkubator“ für das Virus wirken.

Deshalb kämpft die 77-Jährige ganz vorne gegen das Virus, betreut selbst die Workshops, mit deren Hilfe Ärzte im Land mehr Menschen von der Impfung überzeugen sollen.

Virologin Radka Argirowa warnt, das Land könne aufgrund der niedrigen Impfquote zu einem „Inkubator“ werden.
Virologin Radka Argirowa warnt, das Land könne aufgrund der niedrigen Impfquote zu einem „Inkubator“ werden.

© Oliver Bilger

Ob das in Bulgarien gesteckte Impfziel umzusetzen ist? Weder Argirowa noch Kuntschew sind sich da sicher. Nötig sei es aber in jedem Fall. Denn noch eine andere Zahl gibt Anlass zur Sorge. Bulgarien hat eine der höchsten Sterblichkeitsraten bei Covid weltweit.

Sie beträgt nach Angaben der Johns-Hopkins-Universität 526 je 100.000 Einwohner. Nur in Peru ist sie höher. Kuntschew begründet das mit dem insgesamt schlechten Gesundheitszustand der bulgarischen Gesellschaft. Auch anderen Krankheiten erliegen überdurchschnittlich viele Menschen im weltweiten Vergleich.

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Umfragen zeigen, dass 25 bis 30 Prozent der Menschen zögern, viele haben Fragen zur Impfung. Die will man in Bulgarien nun mit der Impfkampagne und intensiver Aufklärung über die Allgemeinmediziner erreichen. Nur zehn bis 15 Prozent im Land lehnen eine Impfung völlig ab.

Etwas Grund für Hoffnung gibt Argirowa eine Entwicklung: Im Laufe des Frühjahrs sei die Zahl der Impfungen um fast zehn Prozentpunkte gestiegen, sagt sie. Das EU-Schlusslicht Bulgarien setzt zur Aufholjagd an – aber es gibt viel zu tun.
Die Recherche wurde unterstützt vom Medienprogramm Südosteuropa der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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