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Die Zahl der Heuschrecken in Ostafrika könnte sich in den kommenden Monaten durch Regenfälle erheblich erhöhen. Mehr als 13 Millionen Menschen sind bereits von Hunger bedroht.

© XinHua/ dpa

Heuschreckenschwärme in Ostafrika: "Dieser Ausbruch wird uns noch lange beschäftigen"

Seit Monaten ziehen Heuschreckenschwärme durch Ostafrika und fressen die Felder leer. Ein Gespräch über die Not der Menschen und die Zunahme wetterbedingter Krisen.

Herr Rigamonti, Ostafrika leidet derzeit unter der wohl schwersten Heuschreckenplage seit 25 Jahren. Bereits jetzt sind rund 13 Millionen Menschen von Hunger bedroht. Vor allem Kenia, Äthiopien, Somalia und Uganda sind betroffen. Welche Erfahrungen machen Ihre Mitarbeiter in den betroffenen Ländern?
Unsere Mitarbeiter in diesen Ländern berichten von dichten Schwärmen, teils aus Millionen Insekten. Landstriche, die von ihnen heimgesucht werden, bleiben leer und kahlgefressen zurück. Bauern in hauptsächlich agrarwirtschaftlich geprägten Regionen, wie im Norden Kenias und im östlichen Äthiopien, verlieren derzeit ihre Lebensgrundlage. Das gefährdet die Ernährungssicherheit der Menschen in weiten Landstrichen. Was den aktuellen Ausbruch in Ostafrika so ernst macht: Er folgt auf die gravierenden Zustände der Vormonate, kommt also zu bestehenden Problemen noch hinzu. Bis in den Herbst 2019 hinein erlebten wir Dürren, dann heftige Überschwemmungen. Die Region ist auch nicht frei von Konflikten.

Manche Experten nehmen an, dass sich die Zahl der Heuschrecken sogar noch um das 500-fache erhöhen könnte. Welche Entwicklung erwarten Sie in den kommenden Monaten?
Es ist zu befürchten, dass sich die Lage dramatisch verschlimmert. Die Regenzeit steht der Region noch bevor, damit das eigentliche Wachstum der landschaftlichen Biomasse und späterer Ernten. Die Heuschrecken würden all das Gute zerstören, was die Regenzeit der Region gibt, und sich rasant vermehren. Wenn jetzt nicht rasch und konsequent gehandelt wird, sehen wir Heuschreckenschwärme bis Juni und darüber hinaus – mit all ihrer zerstörerischen Wirkung. Dieser Ausbruch wird uns noch lange beschäftigen.

Die Krise hatte sich lange angebahnt. Seit Monaten überziehen Heuschreckenschwärme Landstriche in Ostafrika. Was macht den Umgang mit ihnen so schwer?
Ein Beispiel: In Äthiopien waren Anfang Februar 10.000 bis 20.000 Hektar Land betroffen. Die betroffenen Landmassen sind derart groß, dass dem Problem nicht ohne internationale Unterstützung beizukommen ist, auch der technischen Kapazitäten wegen. Mit Dürren können diese Staaten erheblich besser umgehen – weil sie eher erwartet wird. Uganda etwa hatte das letzte Mal in den 1970er-Jahren mit einem derartigen Ausbruch zu kämpfen. In Kenia hat es eine solche Situation seit 70 Jahren nicht gegeben. Dann fehlt logischerweise auch der Regierung die Erfahrung im Umgang damit.

Francesco Rigamonti ist technischer Leiter und regionaler Koordinator der humanitären Hilfe von Oxfam für Ost- und Zentralafrika.
Francesco Rigamonti ist technischer Leiter und regionaler Koordinator der humanitären Hilfe von Oxfam für Ost- und Zentralafrika.

© Oxfam

Hat die internationale Gemeinschaft zu wenig getan?
Tatsächlich gab es bereits im Sommer 2019 Berichte von Heuschreckenschwärmen. Dazu begünstigten die starken Regenfälle den jetzigen Ausbruch massiv. Was die Situation jedoch komplett verändert hat, war der letzte Zyklon im Dezember, der die Heuschrecken in Massen von der arabischen Halbinsel nach Ostafrika brachte. Man kann von einem „game changer“ sprechen. In dem Umfang war das Problem nicht vorhersehbar.

Ohnehin entwickeln sich die Heuschreckenschwärme nach ausgiebigen Regenfällen in Halbwüstengebieten. Werden wir aufgrund des Klimawandels mit mehr Plagen sehen?
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich die Zahl der Stürme erhöht, die die Region treffen. Dass die Phasen der Trockenheit, gefolgt von starkem Regen, heftiger werden. Der Klimawandel erhöht schlicht die Zahl extremer Wetterereignisse. In den vergangenen vier Jahren konnte man in Ostafrika etwa zwei gewöhnliche Regenzeiten zählen. Ostafrika wird in Zukunft auf mehr extreme Wetterereignisse reagieren müssen. Die Kapazitäten, solche Ereignisse zu bewältigen, die Selbsthilfekapazität, ist aber erheblich geringer als in den reichen Industriestaaten.

In welchem Umfang ist Oxfam an Ort und Stelle aktiv?
Derzeit unterstützen wir vor allem Menschen, die durch die Krise in Kenia, Somalia, Uganda und Äthiopien ihre Existenzgrundlage verloren haben. Wir lassen ihnen per Handy Bargeld zukommen, womit sie Lebensmittel, Wasser und andere lebensnotwendige Dinge kaufen können. Derzeit prüfen wir eine Ausweitung auf weitere Staaten wie Sudan, Südsudan oder Tansania. Die Auswahl der Menschen erfolgt entsprechend ihrer Bedürftigkeit. Das ist uns ganz wichtig. Hierfür arbeiten wir eng mit den Gemeinden an Ort und Stelle, staatliche Behörden und lokalen Organisationen zusammen. Zu einem späteren Zeitpunkt unterstützen wir beispielsweise Bauern, sich ihre Lebensgrundlagen wieder aufzubauen, etwa durch Saatgut.

Die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) schätzt die Kosten für einen Plan zur Bekämpfung der Plage auf 76 Millionen Dollar. Wie könnte damit geholfen werden?
Nach derzeitigem Stand könnte man damit die Heuschreckenschwärme und ihre Folgen bekämpfen – wenn sich die Lage nicht verschlimmert. Doch unserer Kenntnis nach konnten nur 21 Millionen davon bislang eingeholt werden. Oxfam hat derzeit einen Bedarf von 6,7 Millionen US-Dollar, um auf diese Krise zu reagieren. Wir planen, damit 180.000 Menschen zu erreichen.

Was kann unternommen werden, um zukünftige Heuschreckenplagen mit diesem Ausmaß zu verhindern?
Die Menschen und auch die staatlichen Stellen müssen widerstandsfähiger werden, um auf extreme Wetterereignisse und ihre Folgen besser reagieren zu können. Beispielsweise könnten in der Landwirtschaft dürreresistente Futtermittel eingesetzt werden, die weniger Wasser bedürfen. Insgesamt müssen die Staaten aber auch lernen, ihre Ressourcen anders einzusetzen. Der Aufbau sozialer Sicherungssysteme gehört dazu, auch der Einsatz von Mikroversicherungen gegen den Ausfall von Ernten. Doch das alles wird die Notwendigkeit humanitärer Hilfe nicht schmälern. Die Zahl der wetterbedingten Krisen nimmt eher zu als ab.

Francesco Rigamonti ist technischer Leiter und regionaler Koordinator der humanitären Hilfe von Oxfam für Ost- und Zentralafrika.

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