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537 von Kaiser Justinian eingeweiht, war die Hagia Sophia lange die größte Kathedrale der Welt.

© Ozan Kose/AFP

Hagia Sophia wird wieder Moschee: Erdogan und die zweite Eroberung Konstantinopels

Die Türkei wandelt die weltberühmte Hagia Sophia in Istanbul schrittweise wieder in eine Moschee um. Dahinter steckt auch politisches Kalkül von Präsident Erdogan.

„Danke, mein Präsident“, schreiben ergeben die Kolumnisten in den türkischen Regierungszeitungen. Für konservative Muslime, Nationalisten und junge Radikale hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan jetzt einen Traum erfüllt: Die Hagia Sophia in Istanbul wird Schritt für Schritt wieder eine Moschee.

Am Samstag hat erstmals seit 85 Jahren ein Imam vom Inneren des riesigen Gotteshauses zum Morgengebet aufgerufen, live übertragen vom türkischen Staatsfernsehen. Auch der Leiter der mächtigen Religionsbehörde Diyanet befand sich unter den Gläubigen. Die „Nacht der Bestimmung“, eine besonders gesegnete Nacht gegen Ende des Fastenmonats Ramadans, ging gerade vorbei.

Entsprechend groß ist die Erwartung unter den türkischen Muslimen, dass die Uhr nun nicht mehr zurückgedreht wird. Mehr als 900 Jahre lang war die Hagia Sophia die Kathedrale von Byzanz, die Kirche des „zweiten Roms“. Seit der Eroberung Konstantinopels durch die Muslime diente sie 481 Jahre lang als Moschee. Bis Kemal Atatürk kam, der Gründer der türkischen Republik, der Staat und Religion trennte. Aus der Hagia Sophia wurde 1935 ein Museum, für das Besucher aus aller Welt Eintritt zahlten und in dem fortan weder Christen noch Muslime beten sollten. Vor allem nationalistisch gesinnte, gläubige Türken störten sich daran.

Der erste Schritt ist schon getan

Es war schon auffällig, dass Erdogan im vergangenen Mai ausgerechnet den 563. Jahrestag der Eroberung Konstantinopels groß feiern ließ. Zehntausende Anhänger des konservativ-islamischen Staatschefs wurden für ein Videospektakel zu einer künstlichen Stadtmauer geschafft. Auf dieser stand: „Wieder zum Leben erwacht, wieder groß geworden“.

Erdogan, der sich ungefähr in einer Linie mit Kemal Atatürk und dem Konstantinopel-Bezwinger Mehmed II. sieht, lässt gern die osmanische Geschichte in bunten Farben auferstehen. Das soll seiner eigenen, bereits 14 Jahre währenden Herrschaft in der Türkei entsprechend historische Dimensionen geben. Die Wiederbenutzung der Hagia Sophia als Moschee, so lassen Erdogans Gefolgsleute in Partei und Medien verstehen, ist nun so etwas wie die zweite Eroberung Konstantinopels: der Sieg der „neuen Türkei“ Erdogans über die säkulare Republik.

Den ersten Schritt zur Umwandlung der Hagia Sophia hatte die türkische Führung schon zu Beginn des Fastenmonats Ramadan im Juni unternommen, als sie erstmals wieder unter der Kuppel der Kirchenhalle aus dem Koran lesen ließ. Die griechische Regierung hat dagegen lauthals protestiert. Auch gegen den offiziellen Gebetsaufruf vom vergangenen Wochenende wird Athen nun sicher erneut vorgehen. Für die Griechen sind Konstantinopel und die Hagia Sophia immer noch die Fixpunkte ihres mehr als tausendjährigen Reichs von Byzanz.

Kampagnen, Massengebete - und eine weitere Moschee

537 von Kaiser Justinian eingeweiht, war die Hagia Sophia auch fast 1000 Jahre lang die größte Kathedrale der Welt; 1520 nahm ihr Sevilla diesen Rang ab. In Wirklichkeit hatte die Hagia Sophia ihre herausragende Rolle schon verloren, als Mehmeds Truppen 1453 über die Stadtmauern kamen. Die Kathedrale am Eingang zum Bosporus, das wichtigste Gotteshaus der orthodoxen Kirche, war schon verwahrlost, seit sie von den Söldnern des vierten Kreuzzugs im 13. Jahrhundert geplündert worden war.

Der siegreiche Sultan machte die „Heilige Weisheit“ sofort zur Moschee und sprach selbst das erste Gebet. Vier Minarette kamen nach und nach hinzu. Sinan, der größte Architekt der Osmanen, ließ die Kuppel verstärken, die seither alle Erdbeben heil überstanden hat. 56 Meter hoch raubt sie auch heute noch den Besuchern den Atem.

Als Istanbul 2010 europäische Kulturhauptstadt war, ließ die türkische Regierung eines der vier Engel-Mosaiken freilegen, die an den Ecken der Kuppel angebracht, aber später übertüncht worden waren. Kurz danach begannen die rechtsgerichtete Parlamentspartei MHP und ultranationale Gruppen wie der Anatolien-Jugendverein AGA und die Alperen Ocaklari mit ihren Kampagnen: Die Hagia Sophia sollte endlich wieder Moschee werden. Vor dem Touristenmagneten gab es Massengebete, zuletzt im Mai.

Die Rückwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee gilt deshalb auch als politisches Kalkül Erdogans. Er will die MHP kleinbekommen, weil sie sich mit seiner Partei, der konservativ-religiöse AKP, die Wählerschaft teilt. Erdogan lässt derzeit seine eigene Moschee bauen, auf dem Camlica-Hügel auf der asiatischen Seite des Bosporus – noch höher und noch größer als die Hagia Sophia.

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