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Was immer gleich bleibt. Eine hohe Dünung im Südpolarmeer, aufgenommen vom Jean Luc van den Heede, der das Golden Globe Race anführt.

© VDH / ppl

Golden Globe Race: Mit vollen Segeln in die Vergangenheit

Es soll zugehen wie vor 50 Jahren: Erlaubt sind nur Sextant und Kompass. So will das Golden Globe Race dem Meer seine Abenteuerlichkeit zurückgeben.

Er hat Stürme überstanden. Ist im Südpazifik gekentert. Aber nicht ganz. Beinahe wäre sein Mast hinüber gewesen. Er dachte daran, aufzugeben. Hat den Mast aber dann doch noch reparieren können. Am 148. Tag hat er Kap Hoorn umrundet. Am 164. die Copacabana gesehen.

Heute ist der 180. Tag. Er ist immer noch weit von zuhause entfernt.

Sehr viel mehr weiß man derzeit nicht von Jean Luc van den Heede, den 73-jährigen Bretonen, der auf einer Elf-Meter-Yacht um die Welt segelt – ebenso wenig wie von einem der anderen Teilnehmer des Golden Globe Race, die seit dem Sommer unterwegs sind und nur über kurze Text-Nachrichten mit der Außenwelt kommunizieren dürfen. Wie sie sich fühlen in ihrer Einsamkeit, welche Sorgen sie plagen – sie werden es erst später bei ihrer Rückkehr nach Les Sables d'Olonne ausführlich erzählen.

Wenn sie können.

Von den 18 Soloseglern, die am 1. Juli zu diesem Nonstop-Trip um den Erdball aufbrachen, sind nur noch fünf unterwegs.

Reise in den Wahnsinn

Die Idee für dieses Abenteuer hatte Don McIntyre, ein britischer Einhandsegler. Wie wäre es, ein Rennen von vor einem halben Jahrhundert zu wiederholen?, fragte er sich. Unter denselben Bedingungen. Als es noch keine elektronischen Hilfsmittel und Satellitenverbindungen gab. Es so zu machen wie das Häufchen Pioniere, das 1968 aufbrach, um erstmals ohne Zwischenstopp einmal rumzukommen. Die „Sunday Times“ hatte einen Preis ausgelobt.

Der 73-Jährige Jean Luc van den Heede hat sich für seine Nonstop-Umsegelung eine gewöhnliche Fahrtenyacht gekauft, eine Rustler 36.
Der 73-Jährige Jean Luc van den Heede hat sich für seine Nonstop-Umsegelung eine gewöhnliche Fahrtenyacht gekauft, eine Rustler 36.

© Alain Zimeray/Golden Globe Race/PPL

Nur ein Einziger sollte die epische Reise damals vollenden. Der Brite Robin Knox-Johnston benötigte 312 Tage von England nach England. Seine Holzketsch Suhaili war lächerliche zehn Meter lang. Sein Durchhaltevermögen machte ihn zur Legende.

Es war eine verrückte Idee gewesen, gemessen am Ertrag. Bei Knox-Johnstons Ankunft 1969 in Falmouth schlug ihm nur ein Bruchteil der Begeisterung entgegen, die Francis Chichester zwei Jahre zuvor mit seiner Weltumsegelung auszulösen vermocht hatte, und dabei hatte der in Australien Halt gemacht. Knox-Johnston schrieb ein Buch, das sich kaum verkaufte, sein Preisgeld von 5000 Pfund spendete er der Familie eines Kontrahenten, den die Reise in den Wahnsinn und Selbstmord getrieben hatte. So verrückt war die Idee gewesen.

Rendezvous mit Haien

Erst 1989 wurde sie wieder aufgegriffen. Von einem Franzosen, der das Vendée Globe erfand. Seither haben es weniger als hundert Menschen auf Knox-Johnstons Art um die Welt geschafft. Die Nonstop-Tortur ist eine Sache für Profis geworden, die die Strecke auf hochkomplexen, superleichten Carbon-Yachten in der Rekordzeit von zuletzt 72 Tagen bewältigten.

Die Thuriya treibt am 21. September 2018 entmastet im Meer. Der indische Skipper Abhilash Tomy hat sich schwere Rückenverletzungen zugezogen.
Die Thuriya treibt am 21. September 2018 entmastet im Meer. Der indische Skipper Abhilash Tomy hat sich schwere Rückenverletzungen zugezogen.

© ppl

McIntyre hat etwas anderes im Sinn, ein Retro-Rennen, eine Art Manufaktum-Abenteuer für jedermann, das auf die technischen Entwicklungen und explodierenden Ausrüstungsbudgets der vergangenen Jahrzehnte verzichtet. Die Teilnehmer navigieren mit Sextant und Chronometer, ihre Möglichkeit, über Funk mit der Außenwelt Kontakt aufzunehmen, ist auf das Nötigste reduziert, Satellitentelefon und GPS-Gerät werden für den Notfall in einer versiegelten Box an Bord aufbewahrt. Die Yachten müssen mindestens 30 Jahre alt und in Serie gebaut sein. Und als Selbststeueranlage dienen mechanische Windfahnen, wie sie bis heute bei Langfahrtseglern gebräuchlich sind. Einträge ins Logbuch werden per Hand vorgenommen, es wird mit Kerosin gekocht und das Wetter auf die älteste Art analysiert, die es gibt: Durch eigene Beobachtung. In Regenschauern fangen die Segler Trinkwasser auf. Gelegentlich müssen sie über Bord springen, um das Unterwasserschiff vom Muschelbewuchs zu befreien.

Bislang ist dieses Rendezvous mit den Haien noch jedes Mal glimpflich ausgegangen. Andere Probleme dafür nicht so.

Als das Golden Globe Race (GGR) im Sommer in Les Sables d'Olonne losgeht, hat kaum einer von den Teilnehmern eine Vorstellung davon, was ihn erwartet. Außer Jean Luc van den Heede, genannt VDH. Der frühere Mathematiklehrer hat die Erde bereits fünfmal alleine umrundet. Einmal in westlicher Richtung, also gegen die vorherrschenden Winde, sein Rekord von 122 Tagen ist ungebrochen. Sowohl beim Vendée Globe wie auch bei der BOC Challenge ist er in den 90er Jahren entweder Dritter oder Zweiter geworden. Nie Erster. Trotzdem ist ihm ein Platz in den Annalen des Hochseesegelns sicher.

Im Geiste der Vorgänger

Als sich VDH im Jahr 2015 eine Rustler 36 kauft, eine „kleine Schnecke“, wie er das unscheinbare Segelboot nennt, tut er es, um sich im Geiste von Vorgängern wie Knox-Johnston auf den Weg zu machen.

Das liegt durchaus im Trend. Nicht nur, dass etwa die Eiger-Nordwand bereits mit exakt derselben Ausrüstung durchklettert wurde, wie sie die Erstbezwinger 1938 benutzt hatten. Immer öfter richten Extrem-Abenteurer der Gegenwart ihren Ehrgeiz auf Taten der Vergangenheit. Arved Fuchs wiederholte die legendäre Seereise von Ernest Shackleton mit dem gleichen winzigen Beiboot, das diesem 1916 zur Verfügung gestanden hatte. Auch der Franzose Loick Peyron greift, nachdem er beinahe alle wichtigen Hochseeklassiker gewonnen hat, etliche Rekorde hält, ebenfalls auf Boote älteren Typs zurück. Auf die Pen Duick II etwa, ein französisches Nationalheiligtum, mit dem Eric Tabarly als erster Franzose ein Transatlantikrennen gewinnen konnte. Zur Route du Rhum in diesem Herbst trat Peyron dann mit dem Schwesterschiff jenes quietschgelben Trimarans an, mit dem sein Mentor Mike Birch das Rennen 1978 knapp gewonnen hatte.

Nummer 3: Gregor McGuckin muss von seiner halb zerstörten Yacht 1900 Meilen südwestlich von Perth abgeborgen werden-
Nummer 3: Gregor McGuckin muss von seiner halb zerstörten Yacht 1900 Meilen südwestlich von Perth abgeborgen werden-

© ppl

Nötig hätte Peyron das beschwerliche Fortkommen mit dem antiquierten Bootstyp so wenig wie VDH. Wenn jedes Ziel erreicht ist, jeder Gipfel bestiegen, muss man sich den Weg dahin schwerer machen, als er durch moderne Technik geworden ist.

Im Gedenken an frühere Pioniertaten aufzubrechen, stelle eine Verbundenheit her, sagt Jean Luc van den Heede, die er lange vermisst habe. Er sagt, dass er erst jetzt wieder den Zusammenhalt unter den Seglern spüre, den er aus den Anfängen seiner Karriere kennt.

Doch hat dieser Rückschritt einen Preis. Das GGR ist kaum eine Woche alt, da gibt es die ersten Ausfälle. Er habe es nicht länger ausgehalten, „nicht mit der Familie reden zu können“, sagt der Brite Ertan Beskardes. „Darauf war ich nicht vorbereitet.“ Zuvor war sein Funkgerät kaputt gegangen. Er hätte monatelang auf Nachrichten von daheim verzichten müssen. Er begriff, was "Solo" bedeutet, es verleidete ihm den Spaß.

Ein Loch im Rumpf

Einen Monat später, die führenden Segler haben den Südatlantik erreicht, erfasst sie ein erster schwerer Sturm.

Philippe Péché verliert in Führung liegend sein Ruder.

Dann verliert Are Wiig seinen Mast.

Francesco Cappelletti seine Selbststeueranlage.

Igor Zaretskiy stürzt in heftigem Wellengang so schwer, dass er glaubt, sich eine Rippe gebrochen zu haben.

Am 82. Tag wirft es Gregor Mcguckin heftig auf die Seite, er verliert den Mast.

„Gekentert“, lässt auch der 39-jährige Abhilash Tomy wissen, „ernsthafte Rückenverletzung. Komme nicht hoch.“

Der Inder, der mit einem Nachbau der Suhaili unterwegs ist, treibt hilflos im Indischen Ozean. „Kann mich nicht bewegen“, meldet er. Eine Rettungsaktion wird eingeleitet, ein französisches Fischereischutzboot nimmt ihn nach vier Tagen an Bord.

Loick Lepage wird entmastet. Dabei sind die Bedingungen 600 Meilen westlich von Perth nicht mal besonders rau. Durch ein Loch im Rumpf dringen 40 Liter Wasser pro Stunde. Der Wind nimmt zu. Lepage wird gerettet.

Die Britin Susie Goodall, einzige Frau im rennen, wird vor Chile geborgen.
Die Britin Susie Goodall, einzige Frau im rennen, wird vor Chile geborgen.

© AFP

Als einzige Frau nimmt Susie Goodall am GGR teil. Die Britin berichtet von 13 Meter hohen Wellen und Winden in Orkanstärke. Die Wellenkämme hätten sich vertikal aufgerichtet und seien wie eine Wand aus Ziegelsteinen auf sie niedergestürzt. „Keine Ahnung, wie wir da durchgekommen sind. Die Selbststeueranlage gab ihren Geist auf, ich musste selbst sieben Stunden lang am Ruder sitzen und hatte ständig Angst, überrollt zu werden. Unter Deck ist alles durchnässt. Und mir ist kalt.“

Als VDH Kap Hoorn erreicht, sind nur noch sieben Boote hinter ihm. Dann erwischt es auch Susie Goodall. Die 29-Jährige kippt mit ihrer Yacht kopfüber in ein Wellental. Der Mast bricht. Bis zur chilenischen Küste sind es 2000 Meilen. Ein Notrigg kann sie nicht aufstellen. Auch sie muss gerettet werden.

Ein winziger Punkt im Grau des Sturms. Jean Luc van den Heede umrundet Kap Hoorn.
Ein winziger Punkt im Grau des Sturms. Jean Luc van den Heede umrundet Kap Hoorn.

© ppl

So zeigt sich das Wie-in-alten-Zeiten-Segeln von genau der brutalen Seite, die erwartet worden war. Je länger sich Segler mit ihren langsamen Gefährten in der Gefahrenzone des Südpolarmeers aufhalten, desto größer die Wahrscheinlichkeit, einen der starken Stürme abwettern zu müssen. Vier müssen gerettet werden, acht retten sich selbst. Sogar der souverän führende VDH, obwohl dem Schlimmsten entkommen, muss um sein lädiertes Boot bangen. Dessen Rigg ist nach der Kenterung im Südpazifik nur notdürftig stabilisiert, VDH muss mit reduzierter Segelfläche weiterkommen.

Sein Verfolger, der Niederländer Mark Slats, 41, holt deshalb auf. Pro Tag macht Slats durchschnittlich 22 Meilen auf den alten, weißbärtigen Seebär gut, der, wie seine Frau sagt, „das Rennen seines Lebens“ absolviert. Rechnerisch könnte er es knapp als Erster ins Ziel schaffen. Aber was heißt das schon bei Bedingungen, bei denen man mit allem rechnen muss.

Das "Rennen seines Lebens". Fünfmal hat er den Erdball schon allein umrundet: Jean Luc van den Heede, an Bord der Matmut.
Das "Rennen seines Lebens". Fünfmal hat er den Erdball schon allein umrundet: Jean Luc van den Heede, an Bord der Matmut.

© VDH / ppl

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