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Auf der Uferpromenade des Galataport – links ein Kreuzfahrtschiff, rechts der Komplex, im Hintergrund die Altstadt von Istanbul.

© Susanne Güsten

„Galataport“ als Symbol der Gentrifizierung: Ein Luxusprojekt errichtet neue Mauern in Istanbul

Ein neues Prestigeprojekt erhitzt die Gemüter am Bosporus. Die türkische Metropole streitet über den „Galataport“ und die Frage: Wem gehört die Stadt?

„Dir gehört die Stadt, dir gehört das Meer“ – dies versprach jahrelang die Aufschrift auf einem Bauzaun, der Istanbul und seine Bewohner vom Meer abschnitt. Der Zaun riegelte das historische Hafengelände am Zusammenfluss von Goldenem Horn und Bosporus am europäischen Ufer von Istanbul ab. Ein Konsortium türkischer Konzerne und Banken baute dahinter an einem Großprojekt namens „Galataport“, das Kreuzfahrtschiffe nach Istanbul locken soll.

Nach fünfjähriger Bauzeit wurde der Zaun nun abgerissen und der Komplex enthüllt. Die Stadt und das Meer, so zeigt sich, gehören nur jenen Bewohnern und Besuchern, die genug Geld für den neuen Galataport haben. Konsum, Kultur und Kreuzfahrten kommen in dem Komplex zu einem Luxus-Erlebnis zusammen, das weltweit einzigartig sein dürfte.

Einmalig ist vor allem die Lage des Komplexes, der am Zufluss des Goldenen Horns in den Bosporus liegt: Die Aussicht auf die Altstadt-Halbinsel von Istanbul mit ihren Kuppeln, Minaretten und Türmen ist atemberaubend. Hagia Sophia, Blaue Moschee und Topkapi-Palast reihen sich am Goldenen Horn vor dem Betrachter auf.

Fast automatisch zücken Besucher hier die Handy-Kamera, wie in den ersten Tagen zu beobachten war. Selfies mit Altstadt-Silhouette, mit dem Leander-Turm oder mit der Bosporus-Brücke im Hintergrund sind von der Promenade des „Galataport“ zu machen.

Durch Tore und Fenster des modernistischen Komplexes schimmern die zierreichen Fassaden von zwei Sultans-Moscheen, die an das Gelände grenzen. Ein Glockenturm aus dem Jahr 1848 wurde sogar in die Anlage integriert.

Vorwurf der voranschreitenden Gentrifizierung

Der Komplex selbst ist schonungslos modern mit viel Glas, Stahl und Beton gebaut und umfasst auf 400.000 Quadratmetern hunderte Geschäfte und Restaurants, tausende unterirdische Parkplätze, ein Luxushotel und ein Museum für moderne Kunst.

Der Kreuzfahrt-Hafen ist auf originelle Weise integriert: Wenn ein Schiff anlegt, hebt sich die Uferpromenade zu einer senkrechten Mauer, die es von außen abriegelt. Darunter kommt eine Rampe zum Vorschein, auf der die Passagiere hinabsteigen ins unterirdische Terminal, wo Zoll und Passabfertigung untergebracht sind.

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Das hat für einheimische Besucher des Komplexes einen Nachteil, wie sich bei Ankunft der ersten Kreuzfahrten zeigte: Solange ein Schiff im Hafen liegt und die Mauer hochgefahren ist, müssen die Gäste in den Restaurants an der Promenade auf die Aussicht über das Goldene Horn verzichten und blicken stattdessen auf die Mauer.

Wenn ein Schiff anlegt, klappt eine Wand hoch – keine Aussicht mehr auf das Goldene Horn.
Wenn ein Schiff anlegt, klappt eine Wand hoch – keine Aussicht mehr auf das Goldene Horn.

© Susanne Güsten

Das Versprechen, Stadt und Meer würden hier fortan den Bewohnern von Istanbul gehören, empfinden Kritiker des Komplexes nicht nur deswegen als Hohn. Galataport sei in erster Linie für Kreuzfahrtpassagiere konzipiert, die dort ihre Devisen ausgeben sollen, schrieb Chefredakteur Fatih Polat in der Zeitung „Evrensel“. Die Architektur sei deshalb danach ausgerichtet, was diese Besucher sehen oder nicht sehen wollten.

Der Komplex errichte im wahrsten Sinne eine Mauer zwischen den verarmten Einwohnern der Stadt und reichen Kreuzfahrtpassagieren, schrieb Polat. Auch wenn der Galataport nominell der gesamten Öffentlichkeit offenstehe, trage er doch weiter zur Gentrifizierung historischer Stadtviertel und dem Umbau von Istanbul für privatwirtschaftliche Profitinteressen bei.

Kritik an hohen Preisen

Tatsächlich hat das eineinhalb Milliarden Euro teure Projekt für durchschnittliche Einwohner der Millionenstadt wenig zu bieten: keine Grünflächen, keine Spielplätze und kein Ort, wo man sich aufhalten könnte, ohne sehr viel Geld auszugeben.

Die Preise in den Lokalen entlang der Uferpromenade kritisierte selbst die regierungsnahe Zeitung „Hürriyet“ als astronomisch und „die höchsten von ganz Istanbul“. Das kulturelle Angebot des Komplexes zielt mit moderner Kunst und Jazzmusik ebenfalls auf die westliche Oberschicht des Landes und auf westliche Touristen.

Blick aus dem Galataport auf die Nusretiye-Moschee.
Blick aus dem Galataport auf die Nusretiye-Moschee.

© Susanne Güsten

Grundsätzlich sei nichts gegen die Umwandlung historischer Industriegelände in Kulturstätten umzuwandeln, schrieb die Architektin Meryem Tasdemir im Fachblatt „Politeknik“, doch sei die Frage immer: für wen?

Das Museum für moderne Kunst, das demnächst im Komplex eröffnen soll, hält die Architekturkritikerin für ein kulturelles Feigenblatt, dessen Zweck vor allem darin bestanden habe, im Planungsverfahren die Privatisierung des Bosporus-Ufers und des historischen Stadtzentrums zu legitimieren. „Können wir wahrhaftig behaupten, dass dieses Projekt der kreativen Kapazität unserer Stadt dient?“

Während die Istanbuler Oberschicht bereits im Galataport flanieren, einkaufen und essen geht, wird an einigen Abschnitten des Projekts noch gearbeitet. Das hundertjährige Paketpostamt des alten Hafens etwa, eines der prächtigsten historischen Bauten des Viertels, wird restauriert und renoviert – hier sollen 73 Boutiquen von Edelmarken einziehen.

Ein letzter Bauzaun schirmt die Arbeiten vor den neugierigen Blicken der Massen ab, die im angrenzenden Fährhafen von den Schiffen strömen und ihre Fischbrötchen im Stehen essen. Die Aufschrift: „Dir gehört die Geschichte, dir gehört die Zukunft.“

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