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Münchens ehemaliger Bürgermeister Christian Ude zapft beim Anstich im Schillerbräu das erste Fass an.

© Felix Hörhager/dpa

Fassanstich durch Alt-Oberbürgermeister Ude: München feiert Nicht-Wiesn

Das Oktoberfest fällt wegen Corona aus. In mehreren Wirtshäusern hieß es heute um 12 Uhr trotzdem „Ozapft is“. Und auf der Theresienwiese?

Sie ist schon recht hässlich, wie sie sich da ziemlich leer vor einem erstreckt. Betonierte Straßen durchziehen die Fläche, der Boden besteht ansonsten aus grauem Schotter und niedrigem Gestrüpp. Krähen fliegen krächzend umher.

Die Wirtsbudenstraße, wo sonst die riesigen Bierzelte stehen, sieht aus wie eine Flughafenstartbahn. Am Rand unterhalb der Bavaria-Statue, der 18,5 Meter hohen Patronin Bayerns, ist eine Corona-Teststation aufgebaut. Mit einer Wiese hat die Münchner Theresienwiese nichts zu tun.

Dort wäre am Samstag normalerweise das Oktoberfest gestartet. Doch das größte Volksfest der Welt ist abgesagt – erstmals seit 1949. Wegen Corona bleibt München in den 16 Tagen der Nicht-Wiesn mit sich allein. „Ich bin sehr enttäuscht“, erklärte Oberbürgermeister Dieter Reiter. Karl Wiedemann, Organisator des traditionellen Trachtenumzugs, sagt: „Mir blutet das Herz.“ Im Internet kursiert ein Foto von einem frischen Grab und einem Holzkreuz mit der Aufschrift „Oktoberfest 2020“.

Die Theresienwiese, mit 42 Hektar so groß wie 59 Fußballfelder, wird auf andere Weise genutzt. Es gibt einen kleinen „Spielstrand“ für Kinder mit Sand, Klettergerüst und Palmen. Spaziergänger, Jogger, Radfahren sind auf dem Areal. Immer freitags wird von der Stadt ein kostenloses Fitnessprogramm angeboten, das „Wiesn Wadl Workout“. Gegner der Corona-Politik demonstrieren auf der größten Freifläche der Stadt, die Polizei bewacht das Areal.

Die Theresienwiese ist leer. Statt Bierzelten und feierwütigen Gästen auf dem Oktoberfest, können Leute hier entspannt spazieren.
Die Theresienwiese ist leer. Statt Bierzelten und feierwütigen Gästen auf dem Oktoberfest, können Leute hier entspannt spazieren.

© Andreas Gebert/Reuters

Das Oktoberfest ist ein Mythos und eine riesige Kommerzmaschine. Gut sechs Millionen Besucher kommen jedes Jahr, davon zwei Millionen aus dem Ausland, der Umsatz liegt bei einer Milliarde Euro. Für die einen ist diese fünfte Jahreszeit zwischen Sommer und Herbst die wichtigste. Man gibt sich der Illusion einer eigenen, abgeschlossenen Feier-Welt hin. Über der Theresienwiese hängt der Geruch von gegrilltem Hendl und Bier, Zuckerwatte und Schweiß.

Es gibt Geschichten von Paaren, die sich auf dem Oktoberfest kennengelernt haben und seit Jahrzehnten zusammen sind. Andere haben sich dort getrennt, häufige Ursachen waren alkoholbedingte Übergriffe, Fremdknutscherei, Seitensprünge. Manche Münchner sehen die Wiesn auch als Zumutung – die Menschen werden in der U-Bahn zusammengepfercht, die Hotelpreise sind astronomisch, die Fußgängerwege immer wieder vollgekotzt.

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Die Stadt und die Wirte bemühen sich nun um Ersatz – eine über ganz München verteilte Form von dezentraler Wiesn. „Sommer in der Stadt“ lautet das Programm für die Betreiber von Fahrgeschäften. An verschiedenen Plätzen sind Karussells, Kettenflieger oder Wildwasserbahnen aufgebaut. Auf dem Olympiagelände etwa stehen ein sehr kleines Kinderkarussell und eine Autoscooter-Anlage, schießen kann man bei „Küblers Westernsalon“.

Unter der Woche war das allerdings eine eher traurige Sache. Nur ein paar Menschen hatten sich dorthin verirrt. Auch das Willenborg-Riesenrad vom Oktoberfest ist aufgebaut zwischen Olympiastadion und Olympiahalle. Obwohl nur eine Kabine besetzt ist, zieht es seine Kreise. An der Kasse sitzt die Verkäuferin Ilona Stey. „Sie sehen ja selbst, was hier los ist“, sagt sie resigniert. Der Vergleich mit dem Oktoberfest schmerzt.

Mehr als 50 Gastronomen feiern die „WirtshausWiesn“

Auch die Gastronomen haben ein Alternativprogramm, die „WirthausWiesn“ – unter Einhaltung der Corona-Vorschriften. Sie preisen Oktoberfest-Schmankerl an: Hendl, Steckerlfisch und Oktoberfestbier, das die sechs auf der Wiesn vertretenen Münchner Brauereien in diesem Jahr trotz allem produziert haben. Wirte in mehr als 50 Gasthäusern wollen so bis zum 4. Oktober etwas Oktoberfeststimmung schaffen.

Zum ursprünglich geplanten Start des abgesagten Oktoberfests hieß es am Samstag um 12 Uhr in mehreren Wirtshäusern „Ozapft is“. Der frühere Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) stach im Schillerbräu im Bahnhofsviertel an – mit zwei Schlägen und noch „einer Handvoll weiterer“, wie er sagte.

Die Polizei bewacht das Gelände, wo eigentlich derzeit das Oktoberfest stattfinden würde.
Die Polizei bewacht das Gelände, wo eigentlich derzeit das Oktoberfest stattfinden würde.

© Andreas Gebert/Reuters

Das Fass fasste nur 20 Liter – der sogenannten „Hirschen“ auf der Wiesn ist mehr als zehnmal so groß und hat mehr als 200 Liter. Dafür sei es „frisch durchgeschüttelt“ gewesen, wie Ude sagte. Es war kurz vor dem Anzapfen aufgestellt worden – bei der echten Wiesn passiert dies tags zuvor, das Fass wird dann nicht mehr bewegt.

Zuletzt hatte Ude als OB 2013 auf dem Oktoberfest angezapft – mit zwei Schlägen. Er war der erste OB in der Wiesn-Geschichte, der das geschafft hatte.

Oberbürgermeister Reiter, der sonst das erste Fass angestochen hätte, feierte am Samstag nicht. Er werde etwas wehmütig an den Anstich denken, habe aber keine Alternativen geplant. Alle, die trotzdem feiern wollten, bat er um Einhaltung der Corona-Regeln.

Auf der Theresienwiese selbst ertönten um 12.00 Uhr vereinzelte „Ozapft is“-Rufe. Dort hatten sich einige Grüppchen - oft in Tracht - versammelt. Zudem gab es eine Demonstration von Umweltschützern. Auf der Wiesn galt ein Alkoholverbot, mit dem die Stadt wilde Ersatzfeiern verhindern wollte. Dies gelang bis zum Mittag auch gut. Der Polizei zufolge, die einem Sprecher zufolge mit 60 Personen zur Kontrolle im Einsatz war, blieb alles ruhig.

Picknick statt Party

Unter anderem picknickte eine Gruppe von Wiesnbedienungen in Tracht mit Cola-Mix und alkoholfreiem Radler unterhalb der Bavaria. Die WirtshausWiesn sahen sie kritisch. „Das ist ein Schmarrn“ sagte Nicolai Schmidt, der normalerweise in einem der Festzelte gearbeitet hätte.

Das Netzwerk Klimaherbst nutzte an Samstag den frei gewordenen Platz auf der Wiesn. Unter dem Motto „Einzug der Klimaheld*innen“ demonstrierte es mit mehr als 100 Menschen. Zum bunten Tross gehörten unter anderem eine elektrische Kutsche, auf der junge Frauen in Tracht tanzten, ein Esel, Bäume in Bollerwagen, als Kühe verkleidete Menschen und Kinder auf Fahrrädern. Veranstalter der Kundgebung war das Netzwerk Klimaherbst, das dazu unter dem Motto „Einzug der Klimaheld*innen“ aufgerufen hatte.

Auf dem Festgelände schrieben die Demonstrierenden - begleitet von Festmusik - ihre Ideen von mehr Tierschutz über Klimagerechtigkeit bis zu einer sozialeren und ökologischeren Zukunft mit Kreide auf den Asphalt. Die Teilnehmer trugen großenteils Mund-Nasen-Schutz und achteten auf Abstände.

Generell schaut die Politik eher skeptisch auf solche Aktivitäten. Es besteht die ziemlich große Angst, dass manche Münchner trotzdem eng und teils enthemmt feiern wollen, dass es „Wilde Wiesn“ gibt. Auf jeden Fall muss die Theresienwiese trocken bleiben: Die Stadt hat dort ein Alkoholverbot von Samstag auf Sonntag verhängt, damit keine Oktoberfest-Fans am Originalschauplatz ihre eigene Wiesn ohne Wiesn veranstalten. (mit dpa)

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