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Einzelkämpfer. Seit 1988 gibt es den Vendée Globe – und immer bringt das Rennen die Teilnehmer an den Rand der Erschöpfung. Es gab Knochenbrüche, Kenterungen und sogar Segler, die für immer verschollen blieben.

© Jean-Sebastien Evrard/AFP

Extrem-Segelregatta Vendée Globe: Hart am Wind um die Welt

Am Sonntag beginnt die schwerste Regatta der Welt. In Frankreich starten 29 Männer beim Vendée Globe – um allein um die Welt zu segeln.

Es war immer aufreibend, dieses Rennen zu gewinnen. Auch nur ins Ziel zu gelangen ist beinahe zu viel verlangt. Seit der ersten Auflage des Vendée Globe 1989 treibt es jene, die sich allein auf einer 18-Meter-Jacht nonstop um die Welt bewegen, in die völlige Erschöpfung. Es gab Knochenbrüche, Kenterungen und sogar Teilnehmer, die für immer verschollen blieben. Auch diesmal dürfte es für die Elite des Einhandsegelns außergewöhnlich hart werden, vielleicht sogar anstrengender als je zuvor, wenn sie am Sonntag von Les Sables d'Olonne an der französischen Atlantikküste zu ihrer Regatta aufbricht.

Denn erstmals sind bei diesem Rennen Auftriebsflügel erlaubt, wie sie der Segelsport von den Katamaranen des America's Cup kennt. Wenn diese seitlich aus dem Rumpf ragenden, gebogenen Flügel das Schiff auch nicht vollständig aus dem Meer zu heben vermögen, so reduzieren sie doch den Wasserwiderstand erheblich. Mit dem Effekt, dass es nun mit noch mehr Wucht in die Wellen hämmert.

Flügel heben die Schiffe ein Stückchen aus dem Wasser

„Wenn die See unruhig ist“, sagt Armel Le Cleac'h, einer der Favoriten, „können wir uns kaum auf den Beinen halten. Um Verletzungen zu vermeiden, müssen wir einen Helm tragen. Jedes Manöver wird stressiger, weil die Schläge mehr Gewalt haben und wir uns bei jeder Bewegung energisch festhalten müssen.“ Nachdem der 39-jährige Bretone zweimal in Folge Zweiter wurde, treibt ihn noch mehr Ehrgeiz an. Er sei körperlich fitter denn je, sagt Le Cleac'h. Sein Sponsor Banque Populaire hat ihm einen maßgeschneiderten Neubau finanziert. Aber es könnte sein, dass die längst nicht ausgereifte Foil-Technik der eine Schritt zu viel ist, der aus einem Vorteil ein Problem macht.

Für Einrumpfboote stellt der Trend zur Sprungfeder – nichts anderes ist das Flügelschwert – einen Quantensprung dar. „Wenn die Schiffe mit über 30 Knoten auf den Flügeln gleiten“, sagt der Designer Guillaume Verdier, „wird das die Grenzen dessen verschieben, was ein Einzelner leisten kann.“ Er glaube nicht, sagt er, dass ein Mensch das hohe Tempo über viele Stunden aushalten könne, ohne sich zu verausgaben. Unfälle, Verletzungen und Havarien wären die Folge. Die Segler müssen also, um sich zu schonen, auf die Bremse treten. Wer macht das?

Ein Mensch auf einem Boot begegnet vielen Gefahren, Stürme sind da nur die geringsten. Es gibt Schifffahrtswege zu beachten und im Wasser treiben Objekte, die den Rumpf der dünnwandigen Rennyachten aufschlitzen können wie ein Skalpell. Der größte Gegner ist jedoch die Müdigkeit. Schlaf bedeutet blind sein für die Gefahren. Es bedeutet, seinen Geist in einen Zustand unterschwelliger Wachsamkeit sinken zu lassen, während die Muskeln entspannen. Jede Änderung der Wellen- und Schiffsbewegungen lässt den Solosegler hochfahren. Hinausgucken. In Gedanken geht er ohnehin ständig die Wettervorhersagen durch, die ihn mehrmals Täglich zu bestimmten Zeiten erreichen. Mit Glück knapst er sich vier bis fünf Stunden Schlaf von den 24 Stunden ab, die er eigentlich aufmerksam sein müsste, unterteilt in Portionen von 20 Minuten. Und das drei Monate lang.

Für radikale Entwicklungen ist die Szene der Open-60-Jachten von jeher bekannt. So wurde bei diesem Bootstyp früh mit beweglichen Neigekiels und drehbaren Profilmasten experimentiert. Die Rümpfe wurden immer flacher, leichter und breiter, um im Südpolarmeer Spitzengeschwindigkeiten weit über 55 Stundenkilometern zu erreichen. Überkommendes Wasser schießt tonnenweise ins Cockpit, von wo aus der Segler das Boot steuert. Und dann sind da noch der Lärm, die Vibration und das Dröhnen der unverkleideten Carbon-Hülle. Der Stress wird für jeden, der auf sich selbst gestellt ist und sein Gefährt in kurzen Ruhephasen unter Deck einem Autopiloten überlassen muss, auch zur psychischen Belastung. Man braucht in seinem Kopf eine Kammer, in der sorgenvolle Gedanken weggesperrt werden können.

So eine Kammer besaß beim letzten Rennen François Gabart, ein 29-jähriger Youngster, der so unerschrocken durch die weiten, öden Ozeane pflügte, dass er sogar einen Strategen wie Cleac'h in einem Zweikampf zermürbte. Stets haben Neulinge diese Fähigkeit eher besessen als Veteranen, die wussten, was auf sie in den eisigen Stürmen des Südpolarmeers zukommen wird und dass ein einziger im Ozean treibender Gegenstand genügen kann, um aus der sportlichen Wettfahrt einen Überlebenskampf zu machen. Aber es gehört zu den Eigentümlichkeiten des Vendée Globe, dass manche der besten Solosegler es trotzdem mit dieser Herausforderung immer wieder aufnehmen. Obwohl die Teilnehmerliste in diesem Jahr mit 29 Startern ungewöhnlich lang ist, zählen vor allem die Veteranen zum Favoritenkreis. Darunter Jérémy Beyou (Maitre Coq), Sebastian Josse (Edmond de Rothschild) und Cleac'h mit ihrer dritten sowie mit ihrer vierten Teilnahme Jean-Pierre Dick (St. Michel-Virbac), Jean Le Cam (Finistère Mer Vent), Bertrand de Broc (MACSF), Alex Thomson (Hugo Boss) und Vincent Riou (PRB).

Ein neues Spezial-Seegelboot kostet drei bis vier Millionen Euro

Vincent Riou hat das Rennen 2004 sogar schon mal gewonnen, während der Brite Thomson nun schon 15 Jahre seines Lebens darauf verwendet, als erster Nicht-Franzose zu triumphieren. Zuletzt wurde er Dritter.

Nur diese Stars verfügen über genügend große Budgets für die drei bis vier Millionen Euro teuren Neubauten. Aber sie hatten sich auch zu entscheiden zwischen Foils oder konventionellen Methoden. Niemand weiß, ob die Flügelschwerter mehr Ressourcen verbrauchen, als sie an Speed wieder reinholen. Schätzungen gehen von einem Geschwindigkeitszuwachs von bis zu zehn Prozent aus.

Vincent Riou verzichtet bewusst auf die Flügel-Komponente. Er spekuliert auf die Anfälligkeit des Systems bei dem 30 000-Meilen-Trip und setzt auf ein extrem leichtes Boot. Damit gewann er 2015 beinahe jedes Rennen, das die Vendée-Globe-Aspiranten zur Vorbereitung nutzten. Nur das letzte nicht mehr. Jérémy Beyou war auf dem Weg von New York nach Les Sables d'Olonne schneller. Seine Jacht war trotz ihres älteren Baujahrs mit Foils nachgerüstet worden.

Wie sehr das Sponsorengeld in diesen unsicheren Zeiten an großen Namen klebt, verdeutlicht der Umstand, dass unter denen, die zum ersten Mal am Vendée Globe teilnehmen, sich nur zwei mit Konstruktionen der jüngsten Generation befinden. Alle anderen Einsteiger sind auf Boote älteren Typs angewiesen, darunter solche, die 1998 gebaut wurden und chancenlos sind. Aber sie werden auch von Skippern gesteuert, denen es genügt, heil über den Kurs zu gelangen.

So sticht aus der Flotte nur ein vielversprechender neuer Name hervor: Morgan Lagravière, 29 Jahre alt. Seine Safran ist nagelneu und gezeichnet von dem derzeit tonangebenden Designbüro VPLP-Verdier. Der junge Skipper gehörte dem olympischen Segelteam Frankreichs an, wurde mehrfach Weltmeister und triumphierte auch in der Figaro-Serie, einer Tour de France auf dem Wasser. Ihm ist dieselbe gottlose Selbstkasteiung zuzutrauen, die bislang sämtliche Sieger dieses „Everests der Meere“ ausgezeichnet hat.

Der Erste, der das Vendée Globe vor 26 Jahren gewann, sagte jetzt rückblickend, dass ihn die technischen Entwicklungen seither nicht verwundert hätten. Rekorde seien dazu da, um gebrochen zu werden. Verstörender, sagte Titouan Lamazou, der heute als Künstler arbeitet, sei der Wandel in der Kommunikation und die Tatsache, dass Segler, die sich soweit von jeder Zivilisation entfernten, trotzdem live im Fernsehen zu sehen seien. „Wir verfügten Ende der achtziger Jahre nur über ein Funkgerät und es war einfach, auf Anfragen nicht zu antworten, da das Gerät selten funktionierte. Ich pflegte ohnehin zu schweigen und war glücklich damit. (…) Die Tatsache, dass so wenig Information von da draußen zu erhalten war, ließ die Fantasie der Menschen an Land durchdrehen.“

Trotzdem hätte sich keiner vorstellen können, was Loick Peyron 1989 in seinem Boot veranstaltete. Er hatte ein Keyboard dabei, auf dem er vergnügliche Popsongs spielte. Er sang und tanzte. Und für ein Videotagebuch hielt er witzige Reden an ein imaginäres Publikum. Wie nebenbei rettete er zudem seinen Freund Philippe Poupon, als dessen Ketsch mitten im Nirgendwo kenterte und kurioserweise auf der Seite liegen blieb. Es gehört bis heute zu den Husarenstücken dieser Regatta, wie Peyron nur unter Segeln, denn den Motor anzuwerfen, hätte die Disqualifikation zur Folge gehabt, das havarierte Schiff in Schlepptau nahm.

Zwar fragt man sich heute nicht mehr wie damals, ob die Solosegler überhaupt wiederkehren werden. Aus Erfahrung weiß man, dass etwa die Hälfte aufgeben wird. Die Veranstalter rechnen für heute mit 400 000 Schaulustigen, die auf der Mole und entlang der Küste stehen, um die Segler wie letzte Helden auf ihre epische Reise zu verabschieden. Bislang wurde die magische Marke von 80 Tagen für die Weltumrundung nur zweimal unterboten. Gabarts Rekord liegt bei 78 Tagen. Falls die Flügeltechnik durchhält, könnte diese Zeit abermals pulverisiert werden.

(Korrektur: In einer früheren Version dieses Textes wurde behauptet, dass in der Open 60-Klasse als erstes mit beweglichen Neigekiels und drehbaren Profilmasten experimentiert worden sei. Das ist nicht ganz richtig. Der erste Neigekiel wurde 1991 vom späteren, zweimaligen Vendée-Globe-Sieger Michel Desjoyeaux auf seiner 6,50 Meter langen Mini-TRansat-Yacht verwendet. Kurz darauf ließ auch Isabelle Autissier einen Neigekiel in ihren Open 60 einbauen. 1994 havarierte sie mit dem Boot bei der BOC Challenge.)

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