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Der Landkreis Heinsberg war stark Corona-Krise betroffen.

© dpa/Jonas Güttler

Erhebung zum Coronavirus: Viele offene Fragen um Heinsberg-Studie

Eine Studie aus dem Kreis Heinsberg soll Klarheit über die Ausbreitung des Coronavirus bringen. An der Übertragbarkeit auf ganz Deutschland gibt es Zweifel.

Für viele Menschen wird es eine Erleichterung gewesen sein, als am Donnerstagmittag Forscher Hoffnung auf eine beginnende Lockerung der strengen Coronavirus-Maßnahmen nährten. „Wir haben gelernt, wie wir uns hygienisch richtig verhalten“, sagte der Bonner Virologe Hendrik Streeck am Donnerstag in Düsseldorf. Es sei möglich, „in eine Phase zwei“ einzutreten, sagte er mit Blick auf die Maßnahmen.

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Medienberichte, die die hoffnungsvollen Nachricht in die Welt brachten, ließen nicht lange auf sich warten. In einer Unterrichtung des Landtages zu den Zwischenergebnissen der Studie sprach sich Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, noch am Donnerstag dafür aus, das öffentliche Leben nach Ostern behutsam in eine „verantwortbare Normalität“ zurückzuführen. „Es wird nichts mehr sein wie vorher“, sagte er. „Aber es wird so viel wie möglich von unseren Freiheiten wieder entstehen – in neuer Rücksichtnahme, neuer Verantwortung und in Distanz.“ Am Freitag teilte die Landesregierung mit, dass sie Streecks Studie mit 65.315 Euro unterstützt.

Rund zehn Tage hatte der Virologe Streeck zuvor zusammen mit weiteren Experten im Auftrag der Landesregierung untersucht, wie sich das Coronavirus im Kreis Heinsberg ausgebreitet hat.

Im Blickpunkt war vor allem die Gemeinde Gangelt, die als Epizentrum der Coronavirus-Pandemie gilt. In dem Ort hatten sich nach einer Karnevalssitzung Mitte Februar Hunderte Bürger mit dem neuartigen Virus infiziert.

An der Pilotstudie, bei der es darum ging, mehr über die Dunkelziffer des Virus und Übertragungswege herauszufinden, nahmen Streeck zufolge mehr als 1000 Bewohner teil. Es wurden Rachenabstriche und Blutentnahmen vorgenommen.

Hintergrund zum Coronavirus:

Bei 15 Prozent der untersuchten Bewohner Gangelts konnte so eine Infektion nachgewiesen werden – und damit zumindest eine temporäre Immunität. „Dieser 15-prozentige Anteil der Bevölkerung vermindert die Geschwindigkeit einer weiteren Ausbreitung von Sars-CoV-2 entsprechend“, heißt es in dem Bericht. Doch eine sogenannte Herdenimmunität wird Experten zufolge erst erreicht, wenn sich etwa 70 Prozent der Bevölkerung infiziert haben.

Eine weitere gute Nachricht der Studie lautet: Die Wahrscheinlichkeit, an der Krankheit zu sterben, liege im Untersuchungsgebiet, bezogen auf die Gesamtzahl der Infizierten, bei 0,37 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland liegt diese aktuell laut den Daten der Johns-Hopkins-Universität bei 1,98 Prozent – also fünf Mal höher.

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet will das öffentliche Leben nach Ostern behutsam in eine „verantwortbare Normalität“ zurückzuführen.
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet will das öffentliche Leben nach Ostern behutsam in eine „verantwortbare Normalität“ zurückzuführen.

© imago images/Ralph Sondermann

Die Forscher der Studie selbst traten schnell auf die Bremse: Auf Deutschland insgesamt ließen sich die Zwischenergebnisse aus der Gemeinde im Landkreis Heinsberg nicht einfach hochrechnen. Dort habe es eine „Sondersituation“ gegeben, betonte der an der Studie beteiligte Wissenschaftler Gunther Hartmann vom Institut für klinische Chemie und Pharmakologie der Bonner Universität.

Der führend an der Untersuchung mitwirkende Virologe Streeck sagte, eine Verallgemeinerung der Daten sei „sehr schwierig“. Die Studie sei zwar repräsentativ. Dies gelte aber nur für Gebiete, in denen es ebenfalls eine starke Infektionsdynamik gebe. In Regionen, in denen es nur sehr wenige oder sogar keine Ansteckungen gebe, seien die Immunitätsquoten ohnehin völlig andere.

Auch der Wissenschaftler Christian Drosten, der derzeit die Bundesregierung im Rahmen der Coronakrise berät, gab sich am Donnerstag zurückhaltend. Zwar sei es zu begrüßen, dass schon jetzt Ergebnisse vorgelegt wurden. Doch: „Die Wissenschaftsgemeinschaft muss das jetzt auch erklärt bekommen“, sagte Drosten am Donnerstagabend im „heute journal“ im ZDF. „Das muss man erst einmal technisch betrachten – ob das Diagnosen sind oder nur Signale aus einem Labortest“, sagte er zu der mit 15 Prozent recht hohen Infektionsrate. „Diese Labortests haben eine hohe Rate von falsch positiven Signalen, rein technisch, aber auch weil es bestimmte Erkältungsviren gibt, die diese Signale erzeugen.“ Man brauche jetzt schnell ein Manuskript der Studie, um diese beurteilen zu können und das Design und die Methodik dahinter zu verstehen, sagte Drosten weiter.

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Wenn die verwendeten Labortests derartige Falschergebnisse produziert haben, könnten die Schlussfolgerungen aus der Studie um das Team von Streeck in Frage stehen. Der Schluss auf die angenommene temporäre Immunität wäre dann wohl unzulässig.

Im Düsseldorfer Landtag hat die Studie bereits zu einer kleinen Anfrage geführt. Die Abgeordnete Sarah Philipp (SPD) hinterfragte vor allem die Zusammenarbeit des Forscherteams mit einer PR-Agentur. So wurde mittlerweile bekannt, dass die Forscher von der Social-Media-Agentur Storymachine unterstützt wurden. Im Kurznachrichtendienst Twitter und auf Facebook dokumentiert die Agentur die Arbeit der Forscher.

Gegründet wurde Storymachine von Kai Diekmann, dem ehemaligen Chefredakteur der „Bild“, Event-Manager Michael Mronz und Philipp Jessen, dem früherer Chefredakteur von „stern.de“. In einem Interview mit dem Mediendienst „Meedia“ sagte Jessen am Donnerstag, die Studie von Hendrik Streeck zu Covid-19 sei „von überragender Wichtigkeit und wissenschaftlicher Bedeutung für den weiteren politischen und gesellschaftlichen Umgang mit dieser Krankheit“.

Streeck sagte „Zeit Online“, er habe keinerlei Interesse daran, die Öffentlichkeit in eine Richtung für oder gegen eine Lockerung der Maßnahmen zu bewegen. Für ihn seien gute Arbeit und valide Ergebnisse wichtig, die zur Entscheidungsfindung beitragen könnten. Dass nicht deutlich wurde, ob sich die Studie auf Heinsberg oder Deutschland beziehe, nahm er als „guten Hinweis“ auf. (mit AFP, dpa)

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