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Metropole am Meer: Tel Aviv.

© Jack Malipan/imago

Ein Feierabendbier für acht Euro: Die israelische Metropole Tel Aviv ist weltweit am teuersten

Wer in Tel Aviv wohnt, nimmt hohe Lebenshaltungskosten in Kauf. Doch dafür gibt es vielerlei Entschädigungen. Ein Erfahrungsbericht.

Nun ist es also offiziell: Tel Aviv ist die teuerste Stadt auf Erden, sagt das britische Wirtschaftsmagazin „The Economist“. Für den Rest der Welt mag das eine Neuigkeit sein. Viele Bewohner der Stadt fühlen sich lediglich in ihren langjährigen Klagen bestätigt.

Ich beobachte Tel Avivs Höhenlauf an die Spitze der Preispyramide seit geraumer Zeit aus nächster Nähe. Als ich zum ersten Mal vor mehr als zehn Jahren hierher reiste, bekam man für einen Euro fünf Schekel, es waren sorglose Zeiten.

Damals mietete ich ein WG-Zimmer in Tel Aviv, mit Balkon, eigenem Bad und kurzem Fußweg zum Strand. Es kostete 3000 Schekel, damals 600 Euro.

Als ich ein paar Jahre später in die Stadt zurückkehrte, entdeckte ich mein altes WG-Zimmer im Internet: Mein damaliger Mitbewohner hatte es wieder inseriert. Nun verlangte er 4000 Schekel dafür – und das waren inzwischen 1000 Euro. In nur ein paar Jahren waren sowohl die Immobilienpreise in Tel Aviv als auch der Kurs des Schekels, der israelischen Währung, in die Höhe geschossen.

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Seitdem geht es mit beiden nur noch bergauf – und für die Bezieher von Einkommen in ausländischen Währungen bergab. Besonders schmerzhaft schlagen die Mieten zu Buche.

Mein früherer Mitbewohner hat sich mittlerweile in eine Nachbarin verliebt und ist zu ihr gezogen, weshalb er mein altes WG-Zimmer nicht mehr inseriert, aber ohne Zweifel hätte es preislich noch mal kräftig zugelegt. In den besseren Vierteln Tel Avivs ist es schwierig, überhaupt noch WG- Zimmer unter 1000 Euro zu finden.

Kakerlaken in Küchenschränken sind umsonst

Für eine eigene Wohnung, egal, wie klein und renovierungsbedürftig, muss man noch einiges mehr hinlegen, und bei Wohnungen für Paare und Familien wird es völlig irrwitzig: Je nach Lage fallen für eine Dreizimmerwohnung 2000 bis 3000 Euro an, und das bei einer Wohnungsqualität, die aus deutscher Sicht oft gewöhnungsbedürftig ist, um es freundlich zu formulieren.

Derzeit beliebt auf Tagesspiegel Plus:

Gibt es etwas zu reparieren, stellen viele Vermieter sich taub oder verlangen, dass die Mieter sich finanziell beteiligen. Allein die Kakerlaken in den Küchenschränken gibt es umsonst.

Dass Wohnungsbesitzer damit durchkommen, verdanken sie dem Gesetz des Marktes: Es gibt zu wenig Wohnungen und zu viele Menschen, die sie beziehen wollen.

Hier schlägt das Herz der High-Tech-Branche

Tel Aviv ist eine begehrte Stadt, trotz allem; hier schlägt das Herz der High-Tech-Branche, die als einzige in Israel umwerfende Gehälter zahlt. Außerdem lockt die Branche hohe Auslandsinvestitionen ins Land.

Wer in seiner Jugend den Fehler gemacht hat, Politikwissenschaft zu studieren statt Informatik und darüberhinaus auch noch in Euro bezahlt wird, so wie beispielsweise ich, hat das Nachsehen.

Wie bewältigt man den Frust über die hohen Preise? Frustfressen wäre eine naheliegende Idee, aber Achtung: Sufganiyot – fettige israelische Verwandte des Pfannkuchens, die zur Hanukkah-Zeit gegessen werden, also jetzt – kosten pro Stück umgerechnet drei bis vier Euro.

Dann vielleicht doch lieber der Gang ins Fitnessstudio, um sich den Ärger aus dem Leib zu schwitzen? Kein Problem, aber unter Hundert Euro im Monat wird das schwierig. Und bitte das Deodorant (vier bis fünf Euro) und das Duschgel (acht bis zehn Euro) danach nicht vergessen!

Bier kostet acht Euro, Duschgel auch

Auch ein gekühltes Feierabendbier verschafft keine Erleichterung, zumindest nicht dem Portemonnaie: Sieben bis acht Euro kosten 0,3-Liter, ohne Trinkgeld, welches von Tel Aviver Kellnern und Barkeepern mehr oder minder charmant eingefordert wird.

Bus- und Bahnfahren immerhin ist günstig, was aber nur unter der Woche hilft: Am Schabbat nämlich, dem jüdischen Ruhetag, der Freitagabends beginnt und Samstagabends endet, ruhen auch die öffentlichen Verkehrsmittel.

Bietet sich also der Kauf eines Autos an? Nur, wenn das Bankkonto mitspielt: Die Umsatzsteuer nämlich, die die israelische Regierung auf den Fahrzeugpreis draufschlägt, bewegt sich je nach Modell zwischen 80 und 100 Prozent. Auch damit liegt Israel nah an der Weltspitze. Was tun wir dann noch hier, lautet die naheliegende Frage an all die Menschen ohne Programmierergehalt, die unerhörte Mietverträge unterschreiben, Cappuccinos für fünf Euro trinken und selbst für Hundefutter noch doppelt so viel zahlen wie in Deutschland?

Dafür gibt es 20 Grad im Dezember und Strand

Eine gute, berechtigte Frage. Ich werde sie sicher beantworten, irgendwann. Aber jetzt muss ich auf meinen Balkon gehen, um die letzten Sonnenstrahlen zu genießen, im T-Shirt übrigens, denn wir haben Anfang Dezember noch mehr als 20 Grad. Vielleicht gehe ich auch zum Strand, um mir den Sonnenuntergang anzusehen, zu Fuß natürlich, der teuer ernährte Hund darf mit.

Auf dem Weg werde ich mich an der ungebrochenen Lebenslust dieser Stadt erfreuen, den ewig vollen Bars, dem fröhlichen, chaotischen Trubel und dem riesigen Hanukka-Leuchter auf dem Rabin-Platz. Ich werde Gott oder dem Schicksal danken, dass ich hier lebe und nirgendwo anders. Und meine Auftraggeber daheim vielleicht demnächst um eine Gehaltserhöhung bitten.

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