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Täuschend echt: Wer einmal mit dem Mähdrescher seine Felder beackern möchte, muss nicht raus aufs Land: Es genügt ein Computerspiel.

© Promo

Digitaler Bauernhof: Einfach mal drei Stunden mähen

Grubbern statt pflügen – Millionen Menschen machen den Landwirtschafts-Simulator zu einem der meistverkauften Spiele.

Ferdinand pflügt mit seinem Trecker durch die Landschaft. Bordsteine werden überfahren, überhaupt ist die Benutzung der Straßen optional, wenn es querfeldein geht. Für Verkehrsregeln hat er keine Zeit, denn schließlich hat der Nachwuchsbauer, zehn Jahre alt, gar keinen Führerschein. Gefahr für Leib und Leben gibt es dennoch nicht. Ferdinand steuert den Trecker mit Maus und Tastatur zu Hause am Computer. Das Spiel heißt „Der Landwirtschafts-Simulator“, und wird weltweit von Millionen Kindern und Erwachsenen gespielt. Warum?

Ferdinand erklärt das Spielprinzip: „Man hat einen Bauernhof mit drei Feldern und ein Startkapital von 25000 Euro.“ Auf diesen drei Feldern muss gepflügt, gesät und geerntet werden. Neben der Landwirtschaft können Bäume gefällt und verkauft werden, Schafe, Schweine und Kühe können, sobald das nötige Kleingeld für Ställe und Maschinen vorhanden ist, auf dem eigenen Bauernhof Platz finden. Für Landromantik à la „Bauer sucht Frau“ ist aber kein Platz. Die Simulation folgt knallhart den Regeln der Wirtschaft: Nur wer laufende Kosten deckt, alle Landmaschinen tankt und das richtige Futter mischt, fährt die Profite ein, die den Kauf neuer, größerer Maschinen zulassen. Und die sind das eigentliche Highlight der Serie: Über 250 Trecker, Radlader, Viehtransporter, Mähdrescher und Gülle-Anhänger sind im Spiel – originalgetreu nachgebildet. Die richtig coolen Fahrzeuge muss man sich erarbeiten, erklärt Ferdinand. „Man kann sich immer so schön reinsteigern.“ Schweine, Kühe und Schafe lohnen sich am meisten, rechnet er vor, da gibt’s dann „Milch, Fleisch, Wolle, Mist und Gülle“ als Ertrag. „Hühnereier kann man auch verkaufen, aber“ – raunt Ferdinand geschäftsmännisch – „die bringen nicht sehr viel Geld.

„Die Sehnsucht, dicke fette Maschinen zu steuern.“

Seit einigen Jahren stellen Spieleentwickler in Europa verstärkt PC-Spiele in die Einkaufsregale der Elektronikmärkte, bei denen Berufe oder große Maschinen simuliert werden: Eisenbahn-, Bus- und Truck-Simulatoren, auch skurrile wie den Gabelstapler-Simulator, einen Ölplattform- und einen Schrottplatz-Simulator. Mehr als einhundert Simulationsspiele zählt das Archiv der für die Altersfreigaben zuständigen Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) in Berlin in den letzten fünf Jahren in Deutschland. „Billig produzierte Ware von der Stange“ sei das in der Regel, erklärt Christian Schiffer, Chefredakteur des Gameskultur-Magazins WASD. Solche Spiele seien mit ihren oft zum Verwechseln ähnlichen Schachteln auf eine ganz andere Zielgruppe als Ferdinand aus – nämlich Erwachsene: „Viele Leute gehen in den Media Markt, wollen eigentlich nur einen Drucker kaufen und sehen dann diese Spiele.“ Als Mitnehmware sei es daher besonders seriös designt. Er nennt Simulatoren „das Office-Produkt der Spielewelt“.

Was fasziniert Erwachsene daran? Schiffer ist sich sicher: „Die Sehnsucht, dicke fette Maschinen zu steuern.“ Die Spiele kosten meist unter 20 Euro – ein Event-Gutschein für eine Stunde in einem echten Bagger wird für das Fünffache angeboten. Im Gegensatz zu anderen Simulationsspielen habe der Entwickler Giants Software den Landwirtschafts-Simulator mit jeder weiteren Version inzwischen zu einer Ausnahme in der Masse des Mittelmaßes gemacht.

Weltweit ist der Simulator schon millionenfach verkauft

Der Erfolg der Arbeits- und Maschinensimulationen sei aber auch ein kulturelles Phänomen: „Man könnte vielleicht ein bisschen ketzerisch sagen, dass der Deutsche gerne auch dann weiterarbeitet, wenn er eigentlich schon wieder frei hat.“ Wer würde sich sonst nach einem harten Arbeitstag freiwillig an eine Arbeitssimulation setzen? Die aktuelle Version, des „Landwirtschafts-Simulator 19“ erschien im November letzten Jahres und schaffte es locker in die Top 20 der meistverkauften Spiele des Jahres, die der Branchenverband game e.V. ermittelt. Die für den Jahreswechsel gemeldeten 200000 Exemplare dürften inzwischen überholt sein. Vom Vorgänger setzte der Entwickler in Deutschland mehr als eine halbe Million Exemplare ab. Weltweit ist der Simulator schon millionenfach verkauft.

Solche Absatzzahlen schaffen in Deutschland eigentlich nur internationale Großfirmen wie Ubisoft und Electronic Arts, deren Spiele-Serien „Fifa“ oder „Assassins Creed“ von Studios rund um die Welt programmiert und mit zweistelligen Millionenbeträgen beworben werden. Und der Landwirtschafts-Simulator, der vor einigen Jahren noch mit 15 Mitarbeitern im schweizerischen Zürich von Entwickler Giants Software programmiert wurde. Mittlerweile sei das Studio mit mehreren Standorten in Tschechien, Deutschland und der Schweiz expandiert und ist auf 50 Mitarbeiter angewachsen.

Feierabend-Landwirte gebe es überall, erklärt Martin Rabl, Marketing- und Produktmanager bei Giants Software. Neben Deutschland seien Frankreich, England und Polen wichtige Märkte. In den USA lief es anfangs schleppend. Seit das Spiel für Konsolen veröffentlicht wurde, verkaufe man ähnlich gut wie in Europa. „In Skandinavien läuft’s auch ganz gut, und Südamerika ist im Kommen“, sagt Rabl.

Entspannt die Kühe melken anstatt Adrenalin-Kick

Wie erklärt er sich den universellen Erfolg des Spiels? „So wie manche Rennspiele spielen, weil sie Autos von Audi und Mercedes lieben, haben wir Spieler, die von einem John-Deere-Traktor jede Schraube kennen.“ Auch ist es möglich, dass mehrere Spieler einen gemeinsamen Bauernhof bewirtschaften. Im Gegensatz zu hektischen Spielen und Multiplayer- Schlachten könne man mit dem Landwirtschaftssimulator gemeinsam wunderbar den Feierabend verbringen.

Schon seit einigen Jahren pendelt das Team aus Zürich mit dem Produkt zwischen Gaming- und Landwirtschaftsmessen: Agritechnica, gamescom, Grüne Woche Berlin, Zürich Game Show. Mit der FarmCon hat der Entwickler ein eigenes Event für die Fans aufgestellt. Vor drei Wochen kündigte Giants Software eine E- Sport-Liga an, in der europäische Teams um Turniergelder von insgesamt 250000 Euro antreten sollen – starten soll sie auf der FarmCon beim Landwirtschaftsgerätebauunternehmen Claas in Hasewinkel. Doch wie misst man die dicksten Kartoffeln bei digitalen Landwirten? Der Spielmodus ist noch geheim. Alle Veranstaltungen werden live ins Internet übertragen und von professionellen Kommentatoren begleitet: „Wir wollen, dass es sich wie eine normale Sportübertragung anfühlt.“

Vielleicht schaltet dann auch Ferdinand ein. Neben Geschäftssinn hat der Grundschüler im Spiel auch viel über landwirtschaftliche Verfahren gelernt: „Man denkt ja oft, man muss ein Feld pflügen, dabei muss man es nur grubbern. Beim Grubbern nimmt man nicht die Erde von ganz tief unten, sondern von weiter oben.“ Ob er das Wissen mal als echter Landwirt anwenden will? „Nee, ich glaub’ nicht.“ Aber als Mechaniker oder Ingenieur noch bessere Mähdrescher und Landmaschinen zu entwerfen – das kann er sich vorstellen.

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