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Die Rettung des Höhlenforschers: Alle für einen

Am zwölften Tag seines Martyriums wurde der Höhlenforscher Johann Westhauser geborgen. Die Helfer selbst sprechen von einem neuen Kapitel alpiner Rettungsgeschichte. Was macht die Aktion so einzigartig?

Die dramatische Rettungsaktion für Johann Westhauser hat ein glückliches Ende genommen: Der am Pfingstsonntag verunglückte Höhlenforscher wurde am Donnerstag um 11.44 Uhr aus der Riesending-Schachthöhle in den Berchtesgadener Alpen befreit.

In welchem Zustand war Westhauser?

Die Ärzte erwarteten den 52-Jährigen bereits am Höhlenausgang am Untersberg, in 1800 Meter Höhe. Eine mobile notfallmedizinische Station war bereits vorbereitet, um ihn schnellstmöglich zu untersuchen und seinen Transport mit einem Hubschrauber ins Krankenhaus entsprechend reibungslos zu ermöglichen. „Inzwischen ist er wohlbehalten in der Klinik eingetroffen“, versicherte Norbert Heiland, Vorsitzender der Bergwacht Bayern, wenige Stunden später vor der Presse. Es gehe ihm den Umständen entsprechend gut. Damit sei ein wesentliches Ziel erreicht und die angemessene Versorgung gesichert. „Allerdings wird er nach wie vor als Intensivpatient beobachtet“, sagte ein Sprecher der Bergwacht dem Tagesspiegel. „Traumata können nach so einem Steinschlag immer auftreten.“ Nun können Ärzte mit Röntgenbildern und Computertomografie untersuchen, was genau mit seinem Kopf geschah.

Bis zuletzt betreuten eine italienische Ärztin, ein österreichischer Arzt und ein Rettungssanitäter den Verletzten, der fast zwölf Tage kein Tageslicht mehr sehen konnte. Seine Körpertemperatur musste reguliert werden, da er tagelang bei etwa vier Grad Celsius ausharren musste. Die Operation gelte jedoch erst als abgeschlossen, „wenn wir die letzten Bergretter zurück ins Tal gebracht haben“, sagte Heiland.

Wie verlief die Rettungsaktion?

Seit Westhausers Unfall am Pfingstsonntag, einem Steinschlag in 1000 Metern Tiefe, bis zur Rettung vergingen gut 274 Stunden unter schwersten Bedingungen. Die letzte Etappe der Rettung war wesentlich komplizierter als erwartet. Die Retter hatten erwartet, den schwer verletzten Westhauser bereits in der Nacht auf Donnerstag ans Licht bringen zu können. Sie hatten in der Nacht dann allerdings eine längere Pause einlegen müssen und waren erst gegen 5.30 Uhr am Donnerstag wieder aufgebrochen. Das schwierigste Stück war der letzte Abschnitt vor dem Ausgang. In diesem extrem langen und senkrechten Schacht mussten die Rettungskräfte Westhauser auf seiner sperrigen Trage mehr als 180 Meter senkrecht nach oben hieven. Das funktionierte mithilfe eines Flaschenzuges: Mehrere Retter ließen sich herab, um ein Gegengewicht zum stabil eingepackten Forscher zu bilden. Frei schwebend zogen sie ihn auf diese Weise hoch. Eine Seilwinde mit Motor wäre zu gefährlich gewesen. Der Patient hätte so nicht ausreichend vor Erschütterungen geschützt werden können.

Am vergangenen Freitag hatte die aufwendige Bergung des Verletzten begonnen. Im Vorfeld waren für die schrittweise Evakuierung des Verletzten Zwischenlager, Biwaks, errichtet worden, in denen die Rettungskräfte und Westhauser pausieren konnten.

Wer waren die Retter?

„In den vergangenen zwölf Tagen ist hier ein Kapitel alpiner Rettungsgeschichte geschrieben worden“, sagte Bergwacht-Chef Heiland. Bewährt habe sich vor allem die internationale Zusammenarbeit: Insgesamt 202 Höhlenretter aus Italien, Deutschland, Österreich, Kroatien und der Schweiz seien im Einsatz gewesen, insgesamt 728 Rettungskräfte im Umfeld der Retter, so Heiland. „Bergretter aus Südtirol halfen bei der Übersetzung zwischen Italienisch und Deutsch“, sagte Heiland. Alles Weitere habe ganz gut auf Englisch funktioniert.

Die Rettungskräfte waren in einer Kaserne der Bundeswehr untergebracht. In Zusammenarbeit mit dem Bayrischen Roten Kreuz und den Maltesern verpflegten und unterstützen die Streitkräfte die Retter bei ihrem Einsatz.

Im Vorfeld der Rettungsaktion war vor allem die Frage wichtig, wer sich für solch einen außergewöhnlichen Einsatz eignet. Nur wenige Mediziner erfüllen die Voraussetzungen, unter diesen Bedingungen zu arbeiten. „Die besten Höhlenretter Europas waren hier versammelt“, sagte Reindl. Deutsche Retter übernahmen die erste Versorgung und betteten den Verletzten sicher, trocken und warm. Italiener brachten ihm medizinisches Material und Medikamente und die Schweizer die Trage, mit der sie den 52-Jährigen ans Tageslicht hievten. Österreicher bauten den ersten Abschnitt von Biwak 5 zu Biwak 4 für den Transport aus. Das geschah unter extremen Bedingungen: Tagelange Dunkelheit und Kälte machte ihre Mission schwierig. Viele von ihnen waren ehrenamtlich im Einsatz. „Wir freuen uns auf unsere Familien, die uns hoffentlich noch wiedererkennen“, sagte Reindl sichtlich müde von den vergangenen Tagen.

Ohne Mitgefühl und Selbstlosigkeit der

Helfer wäre die Rettung nicht möglich

gewesen. Woher rührt dieses Verhalten?

Um andere zu retten, setzen Menschen ihr Leben aufs Spiel. Der tagelange Einsatz für den Höhlenforscher ist dafür ein eindrucksvolles Beispiel. Psychologen nehmen an, dass diese Selbstlosigkeit ihre Wurzeln durchaus in unserem biologischen Erbe hat. Der „Homo sapiens“ ist auch ein „Homo empathicus“, der schlaue auch ein mitfühlender Mensch. Altruismus und Mitgefühl galten jedoch über die meiste Zeit der menschlichen Entwicklung den Mitgliedern der eigenen Gruppe, mit der der Homo sapiens und seine Vorgänger die afrikanische Savanne und später Europa und Asien durchstreiften. Empathie hat also auch seine egoistische Seite. Eine Gruppe, die zusammenhält und füreinander da ist, hat in einer gefährlichen Umwelt größere Überlebenschancen – und wird ihre Gene weiterverbreiten. Und da die Menschen in einer Urmenschensippe alle untereinander verwandt waren, förderte die Selbstlosigkeit auch die Verbreitung der eigenen Gene des altruistischen Individuums.

Trotzdem ist es alles andere als selbstverständlich, dass sich dieses selbstlose Verhalten in unserer modernen Gesellschaft nicht nur bewahrt, sondern sogar ausgedehnt hat. Und das, obwohl es keinen greifbaren (oder genetischen) Vorteil für ein Individuum gibt, selbstlos zu sein. Der australische Philosoph Peter Singer spricht von einem „expanding circle“. Danach hat der Mensch sein moralisches Verhalten allmählich ausgedehnt, von der eigenen Sippe auf immer größere „Kreise“, immer umfassendere soziale Gruppen. Er ist dabei, seinen Gruppenegoismus zu überwinden.

Was passiert nun mit der Höhle?

Johann Westhauser, der am Institut für Angewandte Physik des Karlsruher Instituts für Technologie arbeitet, hatte einst die tiefste Höhle Deutschlands mitentdeckt. Die Schachthöhle ist noch weitestgehend unerforscht. Deshalb forderte der Bayrische Innenminister Joachim Hermann (CSU) noch am Donnerstag, den Zugang zu dieser Höhle zu sperren und das Betreten nur noch zu Forschungszwecken zu erlauben. „Wir wollen Risikotourismus infolge der intensiven Berichterstattung vermeiden“, sagte Hermann. Zur Sperrung der Höhle bedarf es allerdings einer Gesetzesänderung. mit dpa

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