zum Hauptinhalt
Mit Mundschutzmasken sitzen Schülerinnen und Schüler der fünften Klasse eines Gymnasiums in Frankfurt am Main im Unterricht.

© Boris Roessler/dpa

Die Angst hinter der Maske: Wieso die Corona-Gefahr Schüler psychisch belastet

Für Kinder bedeutet die Corona-Epidemie eine besondere Belastung. Psychologen warnen vor einer Zunahme psychischer Erkrankungen.

Abstand zu den Freundinnen halten, Angst, die Eltern oder Großeltern anzustecken – oder selbst alleine in Quarantäne zu Hause eingesperrt zu sein: Für Kinder bedeutet die Corona-Epidemie mit immer neuen Nachrichten, Schutzregeln und Unklarheiten eine besondere Belastung.

Schon seit dem ersten Lockdown im Frühjahr ist bekannt, dass die Coronakrise starke Auswirkungen auf die Psyche hat, Ärzte und Psychologen warnen vor einer Zunahme psychischer Erkrankungen. „Es gibt bereits erste Studien, die neben Angsterkrankungen, posttraumatischen oder depressiven Störungen auch eine Zunahme von Ein- und Durchschlafstörungen festgestellt haben“, heißt es dazu beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe.

Ohnehin leide schon jedes vierte Schulkind darunter – einige so schwer, dass sie auch ärztlich behandelt werden müssen. In jeder Schulklasse sind jeweils ein bis zwei Kinder an Depressionen oder Angststörungen erkrankt.

Für die neunjährige Hanna ist die Schule im Laufe dieses Jahres zur Belastung geworden. Im Oktober musste sie eine Woche in Quarantäne, eine ihrer Lehrerinnen wurde positiv getestet. „Sie war kaum noch zu beruhigen“, erzählt ihre Mutter. „Sie hatte panische Angst, dass jetzt jemand aus der Familie sterben muss.“ Das lebhafte Kind weine mehr, werde immer ruhiger: „Ich habe Angst, dass sie psychisch krank werden könnte.“

„Die diffusen Bedrohungsgefühle, die Corona auslöst, sind für alle schwer auszuhalten“, sagt Martin Holtmann, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Universitätsklinik in Hamm. Besonders hart träfe das Heranwachsende, die ohnehin an Depressionen oder Angsterkrankungen litten. Und was die Situation für Schulkinder mit Angsterkrankungen natürlich verschärfe: In Bezug auf das Coronavirus seien ihre Ängste und Sorgen „auch ein Stück berechtigt“.

[Wenn Sie die wichtigsten Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Die Räume sind zu klein

„Wir reißen den ganzen Tag die Fenster auf – aber die Räume sind einfach zu klein“, berichtet eine Lehrerin aus Rheinland-Pfalz. „Maske auf und durch“, das könne sie nicht mehr mittragen. In Darmstadt laufen Schüler Sturm gegen fehlenden Infektionsschutz, auch in Bayern fordern Eltern- und Schülervertreter Verbesserungen, zum Beispiel Luftfilteranlagen.

Es könne in den Wintermonaten nicht erwartet werden, dass sich Schülerinnen und Schüler ausrüsten müssten, als gingen sie auf eine Polarexpedition, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. Auch volle Busse und Züge machen vielen Angst.

[Mehr aus der Hauptstadt. Mehr aus der Region. Mehr zu Politik und Gesellschaft. Und mehr Nützliches für Sie. Das gibt's jetzt mit Tagesspiegel Plus. Jetzt 30 Tage kostenlos testen]

Während in den Schulen um Lüftung gerungen wird, verpflichtend oder freiwillig Masken getragen und immer kleinere Kohorten gebildet werden, fahren Schüler und Berufspendler in vielen Regionen gemeinsam in den Bussen. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen hat vorgeschlagen, den Schulbeginn morgens zu staffeln, um die Auslastung der Busse und Bahnen zu entzerren – Lehrerverbände sehen das skeptisch; es würde die Unterrichtsplanung noch komplizierter machen.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) schlägt vor, dem Rat des Robert-Koch-Instituts (RKI) zu folgen und in kleineren Gruppen zu unterrichten: „Ab dem 5. Schuljahr sollte Wechselunterricht zwischen Präsenz- und Fernlernphasen ab einem Inzidenzwert von 50 angeboten werden. So können die Gruppen verkleinert und Abstände eingehalten werden.“

Zusätzlichen Stress für viele Schülerinnen und Schüler bedeutet, dass aus Angst vor neuen Schulschließungen viele Lehrer auf schnelle Notengebung bedacht sind. Dass der Lernstoff vom Lockdown im Frühjahr noch nachgeholt werden muss, darauf werde keine Rücksicht genommen, kritisieren viele: „Im Grunde wird in der Schule getan, als sei nichts.“

[Behalten Sie den Überblick: Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint das Aktuellste und Wichtigste aus Berlin. Jetzt kostenlos anmelden: checkpoint.tagesspiegel.de]

Aktuell sind in Deutschland 165 Schulen wegen Corona-Infektionen komplett geschlossen, außerdem werden überall viele Klassen und Jahrgänge geschlossen in Quarantäne geschickt.

Auch Jugendpsychiater Martin Holtmann meint, flächendeckende Schulschließungen müssten unbedingt vermieden werden. Beim Lockdown im Frühjahr sei die Zahl der Anrufe in den Notrufambulanzen angestiegen, Konflikte in der Familie und häusliche Gewalt hätten zugenommen.

Depressiven Kinder und Jugendlichen fehle ohne Schule die Tagesstruktur, ihr Krankheitsbild könne sich verstärken. Kindern mit Angsterkrankungen sei dagegen oft schon mit verbesserten Hygienemaßnahmen geholfen.

Petition an den Landrat

Gymnasiasten aus dem Landkreis Verden sind da selbst aktiv geworden: Sie fordern in einer Petition, die Schutzmaßnahmen deutlich an die Empfehlungen des RKI anzupassen – also im Wechselbetrieb unterrichtet zu werden: „Wir haben große Angst, uns in der Schule zu infizieren und so uns und unsere Familien zu gefährden“, schreiben sie.

Im Petitionstext an ihren Landrat weisen sie auch auf Gefahren für die eigene, jüngere Generation hin: Spätfolgen, selbst bei milden Infektionen, seien noch nicht erforscht. In wenigen Tagen haben sie für ihr Anliegen über 1500 Unterschriften gesammelt. „Viele Schülerinnen und Schüler finden die Situation im Unterricht untragbar“, erzählt der 18-jährige Lennart, einer der Initiatoren der Petition.

Richtig inakzeptabel findet seine 17-jährige Mitstreiterin Salla den Umgang mit den Schülern: „Wir werden überhaupt nicht gefragt, ob wir dieses Risiko eingehen wollen, es wird einfach über unsere Köpfe hinweg entschieden.“ Landrat Peter Bohlmann hat ihre „hohe Sensibilität“ begrüßt – und dann an die „hohe Eigenverantwortung aller Beteiligten“ appelliert.

Dass das Risiko für Schülerinnen und Schüler möglicherweise höher ist als von den Kultusministern der Bundesländer angenommen, zeigt eine gerade veröffentlichte Studie des Helmholtz-Zentrums München: In Bayern waren laut einem repräsentativen Massentest sechsmal mehr Kinder mit dem Coronavirus infiziert als von den Gesundheitsämtern gemeldet. Davor, dass sich Infektionen bei Kindern mit milden oder gar keinen Symptomen unbemerkt ausbreiten könnten, warnte die Nationalakademie Leopoldina bereits im August. (mit cwe)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false