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Mit diesem Auto fuhr ein alkoholisierter 27-Jähriger in Südtirol sieben Menschen zu Tode.

© -/Carabinieri Bozen/dpa

Der tödliche Unfall in Südtirol: Kann Technik betrunkene Autofahrer stoppen?

Der Unfall in Südtirol zeigt die tödlichen Folgen von Trunkenheit am Steuer. Dabei gibt es bereits Systeme, die Alkoholtest und Wegfahrsperre kombinieren.

Der alkoholbedingte tödliche Autounfall in Südtirol hat viele Menschen schockiert. Zu Wochenbeginn starb in einem Krankenhaus noch ein weiteres Opfer, die Zahl der Toten hat sich damit auf sieben erhöht, zehn weitere Menschen wurden verletzt. Am Sonntag war ein 27-jähriger Autofahrer im Wintersportort Luttach in eine Gruppe junger deutscher Urlauber gerast war. Die Behörden stellten bei dem Fahrer fast zwei Promille Alkohol fest. In Deutschland nimmt zwar die Zahl von Trunkenheitsfahrten insgesamt ab, dennoch stellt sich die Frage, ob und wie in Zukunft sogar ganz verhindert werden kann, dass ein betrunkener Fahrer in sein Fahrzeug steigt.

Können technische Lösungen Promillefahrten stoppen?

Bevor das Fahrzeug gestartet werden kann, wird der Fahrer zum Pusten aufgefordert. Das ist die Idee hinter den sogenannten Interlock-Systemen in neuen Fahrzeugen. „Dabei handelt es sich um in ein Fahrzeug eingebaute Alkoholtestgeräte in Kombination mit einer Wegfahrsperre“, erklärt die Sprecherin des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR).

Die Sperre sorgt dafür, dass der Motor des Fahrzeugs nicht gestartet werden kann. Theoretisch ließe sich die Sperre umgehen, wenn der Fahrer eine andere Person pusten ließe, falls er selbst alkoholisiert ist. Der DVR hält das allerdings für unwahrscheinlich. Häufig werden die Systeme noch mit anderen Auflagen kombiniert, zum Beispiel mit Kameras.

Aufnahmen aus dem Fahrzeugcockpit sollen sicherstellen, dass tatsächlich der Fahrer den Test macht. In der Regel fordern die „Interlock“-Systeme auch während der Fahrt immer wieder zur Kontrolle auf. Der Fahrer hat dann einige Minuten Zeit um anzuhalten und die Kontrolle zu absolvieren.

Wo sind Interlock-Systeme bereits im Einsatz?

In Europa werden solche Geräte bisher ausschließlich präventiv in Fahrzeugen installiert, zum Beispiel in Bussen, Taxis, Dienstfahrzeugen und Behördenflotten, vereinzelt auch in Privat-Pkw, um Familienmitglieder mit Alkoholproblemen zu schützen. In der Industrie finden sie auch in Gabelstaplern Verwendung.

Gesetzlich vorgeschrieben sind diese Wegfahrsperren in Finnland und Frankreich für Busse und Taxis für Schulkinder. In den USA, Kanada, Australien, den Niederlanden, Schweden und Finnland werden Interlock-Systeme als Auflage eingesetzt, nachdem einem Fahrer der Führerschein nach einer Trunkenheitsfahrt entzogen wurde.

Wie beurteilen Experten in Deutschland die neuen Möglichkeiten?

Auf dem Verkehrssicherheitstag in Goslar wurde zum Beispiel darüber diskutiert, ob Personen, denen ihr Führerschein wegen einer Trunkenheitsfahrt entzogen wurde, anschließend für eine bestimmte Zeit ein solches System nutzen sollten. Wer am Steuer mit einem Promillewert zwischen 1,1 und 1,6 erwischt wird, muss seine Fahrerlaubnis für eine gewisse Zeit abgeben.

Grundsätzlich sei es sinnvoll, den Einsatz von Interlocks mit einer psychologischen Begleitung zu kombinieren, heißt es vom Tüv-Verband (VdTüv). So ließe sich ein späterer Rückfall verhindern. Der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC) sieht das ähnlich. Pilotprojekte, wie sie die Bundesregierung im Koalitionsvertrag versprochen hat, wären sinnvoll, meinen die Experten einstimmig.

Autohersteller sind verpflichtet, ab 2022 alle Neuwagen mit einer Schnittstelle für Interlock-Systeme auszustatten. Eine solche könne die Montage eines Alkohol-Interlock-Systems nach Einschätzung des ADAC günstiger machen. Derzeit müssen Privatpersonen, die ihren Wagen damit nachrüsten lassen, mit Kosten in Höhe von mehreren Tausend Euro rechnen.

Warum beeinträchtigt Alkohol die Fähigkeit, ein Fahrzeug zu lenken?

Unter Alkohol wird im allgemeinen Sprachgebrauch die Substanz Ethanol verstanden. Ethanol ist giftig. Auch seine erwünschten und abhängig machenden Wirkungen beruhen wahrscheinlich weitgehend auf diesen Giftwirkungen – und den biologischen Abwehrreaktionen des Körpers darauf. Langfristig toxisch wirkt Ethanol vor allem auf die Leber, das wichtigste Entgiftungsorgan des Körpers, aber auch auf Nervenzellen. So gibt es etwa alkoholbedingte Demenz.

Für die verringerte Fähigkeit, am Straßenverkehr teilzunehmen sind akute toxische Wirkungen an Nervenzellen verantwortlich. Interessanterweise sind die genauen molekularen Prozesse, die zu diesen Giftwirkungen führen, noch nicht im Detail geklärt. Bekannt sind die letztendlich zu beobachtenden und messbaren Folgen, etwa verlangsamte Reaktionszeiten sowohl bei bewussten Bewegungen als auch bei Reflexen.

Im Straßenverkehr mitentscheidend sind auch Einflüsse auf die Augenmuskulatur sowie auf Sinneszellen und Signale weiterleitende Neuronen, die zu verlangsamten Augenbewegungen, verschlechterter Koordination beider Augen und zu verschwommener Sicht führen können. In höheren Regionen der Verarbeitung von Nervensignalen führt Ethanol dazu, dass etwa die Position des eigenen Fahrzeugs oder anderer Verkehrsteilnehmer nicht mehr korrekt wahrgenommen wird, Geschwindigkeiten falsch eingeschätzt werden und die Koordinationsfähigkeit insgesamt nachlässt.

Alkohol beeinträchtigt auch die Konzentration und die Möglichkeiten, kurzfristig sinnvolle Entscheidungen zu fällen. Die Promillezahl im Blut ist aber nur bedingt geeignet, das jeweilige Ausmaß all dieser Einschränkungen vorherzusagen. Wer sonst nie trinkt ist beispielsweise meist deutlich mehr beeinträchtigt als regelmäßige Alkoholkonsumenten. Letztere aber überschätzen genau deshalb ihre Fähigkeiten dann auch tendenziell eher als jemand, der überrascht vom eigenen Schwips ist. Müdigkeit, Grundstimmung und andere parallel zum Alkohol konsumierte Genussstoffe – inklusive auch im Straßenverkehr legaler wie Nikotin und Koffein – können ebenfalls einen Einfluss auf die Fahrtüchtigkeit beziehungsweise Fahruntüchtigkeit haben.

Wie groß ist das Problem in Deutschland?

In Deutschland gab es 2018 nach Angaben des Statistischen Bundesamts knapp 13.500 Unfälle im Straßenverkehr, bei denen Alkohol eine Rolle spielte. In den vergangenen 20 Jahren ist die Zahl der durch Alkohol verursachten Verkehrsunfälle allerdings rapide zurückgegangen. Kamen 1998 noch mehr als 1100 Menschen infolge von Alkohol im Straßenverkehr ums Lebens, waren es 2018 etwa 240.

„Wir gehen davon aus, dass Alkohol am Steuer gesellschaftlich zunehmend geächtet wird“, sagt Julia Fohmann, Sprecherin beim Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) als mögliche Erklärung. „Es wird zum Tabu, nach dem Trinken noch zu fahren.“ Auch strengere gesetzliche Regelungen beim Arbeitsschutz und engmaschigere Kontrollen hätten geholfen, die Zahl der Verkehrstoten in Folge von Trunkenheitsfahrten zu reduzieren, insbesondere unter Berufskraftfahrern.

In Deutschland gilt wie in den meisten Ländern der Europäischen Union eine Promille-Höchstgrenze von 0,5. Doch wer bei einem Unfall andere gefährdet oder durch seinen Fahrstil verletzt hat, muss bereits ab einem Wert von 0,3 Promille mit dem Entzug der Fahrerlaubnis oder einer Geld- oder Freiheitsstrafe rechnen. Fahranfänger dürfen in den ersten beiden Jahren überhaupt keinen Alkohol getrunken haben. Sonst droht ihnen eine weitere Verlängerung der Probezeit, ein Bußgeld von 250 Euro, ein Punkt in Flensburg sowie die Teilnahme an einem Aufbauseminar.

Wie ist die Entwicklung in Berlin?

Die Hauptstadt unterstreicht den bundesweiten Trend: Auch in Berlin hängen seit Jahren immer weniger Unfälle mit Alkohol zusammen. 2018 registrierte die Polizei noch 1333 Verkehrsunfälle, an denen Alkoholisierte beteiligt waren – das waren fünf Prozent weniger als noch im Vorjahr. Zehn Jahre zuvor waren noch 2000 Unfälle durch Betrunkene verursacht worden. Für das Jahr 2019 liegen bislang lediglich die Zahlen von Januar bis Oktober vor: Laut Statistischem Landesamt gab es in diesem Zeitraum 1118 Unfälle unter dem Einfluss von Alkohol. Das ist wiederum ein leichter Anstieg zum Vorjahr.

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Fast 70 Prozent der Verursacher hatten 2018 laut Verkehrsunfallstatistik mehr als 1,1 Promille im Blut. Der Missbrauch von Alkohol ist (nicht nur in Berlin) vor allem Männersache: Sie waren 2018 an 80 Prozent der Unfälle unter Alkoholeinfluss beteiligt. Bei den Unfallursachen liegt Alkoholeinfluss allerdings an letzter Stelle. Fehler beim Abbiegen sind der häufigste Grund, gefolgt vom Nichtbeachten der Vorfahrt, Tempoverstößen und Fehlverhalten von Fußgängern. Zwei Menschen starben 2018 nach Unfällen, bei denen Alkohol im Spiel war, 142 Menschen wurden schwerverletzt und 415 leicht.

Besonders in der Weihnachtszeit verstärkt die Polizei die Kontrollen zu Alkohol am Steuer: Bei 4083 Überprüfungen entdeckten die Beamten im Dezember 2019 45 alkoholisierte Fahrer. Der Höchstwert lag bei stolzen 2,29 Promille. Aufsehen erregte im Januar 2018 der Tod der 21 Jahre alten Fabienne Martini. Ihr Auto war am Berliner Alexanderplatz von einem Polizeiwagen gerammt worden, der mit sehr hoher Geschwindigkeit unterwegs war. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft steht der Polizist im Verdacht, am Steuer alkoholisiert gewesen zu sein.

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