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Die Sängerin Konstrakta.

© ESC/promo

Der Eurovision Song Contest steht bald wieder vor der Tür: Serbiens Lady Gaga

Konstrakta hat mit ihrer Gesellschaftskritik gute Chancen beim Eurovision Song Contest.

Noch vor gut einem Monat war die Sängerin Ana Djuric, genannt Konstrakta, außerhalb der serbischen Landesgrenzen allenfalls den Liebhabern der alternativen Musikszene bekannt. Nun wird die 43-Jährige nicht nur in den ex-jugoslawischen Staaten als „Serbiens Lady Gaga“ gefeiert: Die Zahl der Youtube-Klicks für ihren Eurovision-Beitrag „In Corpore Sano“ hat mit mehr als 15 Millionen Serbiens Bevölkerung in wenigen Wochen bereits um mehr als das Doppelte übertroffen. Sie gilt als Starterin mit guten Chancen beim Songcontest am 14. Mai in Turin.

Eigentlich hatte sich die frühere Sängerin von Belgrader Indiepop-Bands wie „MistakeMistake“ oder „Zemlja Gruva“ von ihrem Auftritt bei dem serbischen Vorentscheid nur etwas Werbung für ihr neues „Triptih“ (Triptychon)-Video erhofft: Die aus drei Songs bestehende Performance nimmt hintergründig soziale Normen wie das Ideal der ewigen Jugend, das Tabu des Alterns, den Schönheits- und Gesundheitswahn oder die Hatz nach Geld, Macht und Prestige aufs Korn. Als „Lied, das nicht geschrieben wurde, um dem Eurovision-Publikum zu gefallen“ umschreibt die Belgrader Zeitung „Danas“ den Beitrag „In Corpore Sano“. Beim serbischen Vorentscheid im März wurde der Sprechgesang überraschenderweise dennoch sowohl von der Fachjury als auch dem Publikum einstimmig zum klaren Sieger gekürt.

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Kein Balkan-Goldkehlchen mit Liebesschnulzen in knapper Kleidung, sondern eine studierte Architektin und Mutter mit tiefsinnigen, von ihr selbst verfassten Botschaften: Statt mit wiegenden Hüften fragt sich Konstrakta im Sitzen und in weißer Mediziner-Kleidung, was das „Geheimnis hinter dem gesunden Haar von Meghan Markle“ sei.

Ständig in einem Waschzuber ihre Hände waschend philosophiert die Sängerin mit dem Handtuch über der Schulter über den Zusammenhang zwischen dunklen Augenringen und Leberproblemen, Hauptflecken und einer vergrößerten Milz. Gott habe ihr die Gesundheit gegeben, „aber ich habe keine Krankenversicherung“, so Konstrakta, die über kranke, traurige und verzweifelte Seelen in gesunden Körpern singt.

Der hypnotische Refrain „die Künstlerin muss gesund sein, gesund sein, gesund sein“, scheint zu Corona-Zeiten zumindest das Lebensgefühl ihrer Landsleute zu treffen. Doch so richtig vermag sich die Sängerin und Komponistin ihren ebenso plötzlichen wie späten Karriererfolg auch nicht zu erklären. „Bild und Ton“ hätten beim Belgrader Vorentscheid einfach gepasst: „Im Publikum machte es klick und danach ging es von alleine.“

Viele Schichten

Die ausführlichen, in der Presse der Region veröffentlichten Analysen ihrer Texte übertrifft deren Länge mittlerweile bei weitem. Manche Musikkritiker fühlen sich bei ihrer Handwasch-Performance an Balkan-Politiker erinnert, die ihre Hände gerne ständig in Unschuld waschen. Andere wittern in ihrem Song eine harsche Kritik an den Zuständen des Gesundheitssystems, an der „kranken“ Gesellschaft oder an der schlechten sozialen Absicherung freier Künstler. Die Texte ihrer Lieder hätten „viele Schichten“ und „eine Million Unterthemen“, sagt die Sängerin selbst: „Jeder sollte sich selbst auswählen, was er heraushören mag.“

Ihre überraschende Kür zu Serbiens Eurovision-Hoffnungsträgerin hat der Interpretin in den letzten Wochen umjubelte Auslandsauftritte von Israel bis Kroatien beschwert. Heimische Buchmacher schreiben Konstrakta hinter den Favoriten aus der Ukraine und Italien mittlerweile gar wachsende Außenseiter-Chancen zu. Doch für einen Überraschungserfolg bei Europas Gesangswettbewerb wirkt ihr Beitrag einfach zu unorthodox. Siegesambitionen scheint Konstrakta selbst auch keine zu hegen. Sie freut sich vor allem über ihren bisherigen Erfolg: „Das zeigt, dass es die Kapazität zum Hören gibt.“

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