zum Hauptinhalt
Gespritzter: Eine Helferin reinigt vom Hochwasser verschmutzte Weinflaschen.

© picture alliance/dpa/Thomas Frey

Das schwere Schicksal der Winzer im Ahrtal: Wenn Wein zu Wasser wird

Die Überschwemmungen nach dem Starkregen in Westdeutschland haben im Ahrtal die besten Jahrgänge fortgeschwemmt – fast.

Da gibt es nichts schönzureden. „Unser schlimmster Jahrgang“ heißt es auf der Webseite „Flutwein“, die Spenden für die Winzer des Ahrtals einsammelt – so übel hat das Wetter noch nie einem deutschen Weinanbaugebiet mitgespielt wie am 14. Juli dem beschaulichen, engen Ahrtal zwischen Blankenheim und Sinzig. Aktuell sprechen die Versicherer von etwa 250 000 Schadensfällen mit einer Gesamtsumme von sieben Milliarden Euro, von denen ein beträchtlicher Teil auf die Winzer, Gastronomen und Hoteliers entfallen dürfte, die das wirtschaftliche Herz der Region sind.

Die Bilanz sieht bitter aus. Sie bringt die meisten der rund tausend Winzer an den Rand ihrer Existenz, vor allem jene rund 65 Betriebe, die ganz und gar vom Weinbau leben. Die anderen sind Nebenerwerbswinzer, die ihre Trauben an eine der drei großen Genossenschaften liefern – deren Anlagen immerhin sind noch weitgehend intakt. „Die meisten Weingüter haben einen Totalverlust erlitten“, sagt Knut Schubert, der Geschäftsführer des örtlichen Weinbauverbands, der den Schaden allein an gelagertem Wein in Fässern und Flaschen auf 50 Millionen Euro beziffert.

Der einzige Glücksumstand: Die Ahr-Winzer haben keine Todesfälle zu beklagen. Dörthe und Meike Näkel, die gemeinsam das von ihrem Vater Werner berühmt gemachte Gut Meyer-Näkel führen, wurden von der Flut überrascht und weggespült, konnten sich aber mit knapper Not auf einen Baum retten, von wo sie nach Stunden geborgen wurden.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können]

Die besondere Tragik der Ahr: Hier werden auf nur 560 Hektar Rebfläche – 0,5 Prozent von Deutschland insgesamt – traditionell ganz überwiegend Rotweine produziert, die für längere Lagerung ausgelegt sind, Spätburgunder vor allem. So ist nicht nur der nahezu komplette Jahrgang 2020 mit dem Wasser verschwunden, sondern auch große Teile der noch zurückbehaltenen Jahrgänge 2017 bis 2019. Und es gibt hier praktisch keinen Billigwein für Supermärkte, weil die Reben kostenaufwendig in den Steillagen oberhalb des Flusses angebaut werden; das Ahrtal erzielt deshalb die höchsten Durchschnittspreise in Deutschland.

Das allein wäre zu verschmerzen, denn Winzer sind nervenstarke Leute, die wissen, dass sie jedes Jahr nur einen Schuss haben. Hagel, Frost, Fäulnis, extreme Trockenheit und andere Phänomene lassen ihre Arbeit immer wieder zumGlücksspiel werden, auch im Keller können Fehlentscheidungen teure Folgen haben. Gut aufgestellte Betriebe überstehen finanziell durchaus ein Jahr Totalausfall. Doch im Sommer 2021 geht es um die komplette Infrastruktur: Kelleranlagen und Flaschenlager sind verschwunden oder mit einer stinkenden Mischung aus Schlamm, Öl und Wasser bedeckt, Traktoren sind zerstört oder weggespült worden, Kelteranlagen, Entrapper, Abfüllstraßen und andere teure Technik wurde unbenutzbar, Wohnhäuser unterminiert.

„Wir brauchen erst einmal drei, vier Wochen, um überhaupt eine Betriebsstruktur aufbauen zu können“, schrieb der Winzer Marc Adeneuer vor drei bis vier Wochen – von Entwarnung kann aber derzeit immer noch keine Rede sein. Hinzu kommt, dass viele Straßen und Brücken einfach nicht mehr da sind, was die Bewirtschaftung der Weinberge stark erschwert. Die hat die Flutwelle zwar nur in den eher seltenen tiefen Lagen zerstört, aber das Wasser des Sturzregens steckt immer noch bis oben hin in den Rebzeilen und erhöht die Fäulnisgefahr, die wegen des mäßigen Wetters ohnehin hoch ist; der falsche Mehltau ist schon da und wird von Hubschraubern aus großflächig mit Spritzmitteln bekämpft. Aber selbst wenn es trotz aller Logistikprobleme gelingt, die Trauben gesund einzubringen, ist völlig offen, was dann mit ihnen geschehen soll. Die Geräte neu zu kaufen – das ist derzeit keine Option.

Hilfe für die Winzer an der Ahr: Sie erhalten Erlöse aus Sonderaktionen.
Hilfe für die Winzer an der Ahr: Sie erhalten Erlöse aus Sonderaktionen.

© imago images/Hans-Jürgen Serwe

So konzentrieren sich die Hoffnungen auf fremde Hilfe, es gibt nicht nur zahllose Spendeninitiativen, sondern auch Angebote konkreter technischer Hilfe, sogar aus Frankreich – Winzer sind gut vernetzt, längst nicht mehr so eigenbrötlerisch wie ihre Vorväter. Winzer und Landwirte aus angrenzenden, vom Unwetter nicht betroffenen Regionen waren bereits in den ersten Tage mit Traktoren und Pumpen angerückt, um die Helfer zu unterstützen, und sie haben versprochen, auch Erntegerät zur Lese an die Ahr zu bringen.

Die Annahmestellen und Geräte der Genossenschaften sind weitgehend benutzbar, das ist die eine Lösung, die allerdings für bekannte, auf ihr eigenes Profil bedachte Top-Winzer nur ein Kompromiss wäre. Bio-Wein, der allerdings an der Ahr kaum eine Rolle spielt, wäre so überhaupt nicht herzustellen. Viele Winzer hoffen darauf, ihre Trauben zu befreundeten Gütern an die Mosel bringen zu können. Aber in welchem Maße und mit welchen Transportmitteln das überhaupt möglich ist, steht noch dahin. Die Welle der Solidarität hat den Winzern dennoch gutgetan. Zahllose Freiwillige schlugen sich in den ersten Tagen ins Katastrophengebiet durch und packten an, räumten, schrubbten, sammelten Müll, halfen beim Laubschnitt in den Reben.

Wichtig war auch, die chaotisch durcheinanderliegenden und zum Teil kilometerweit verstreuten Flaschen zu sammeln, zu sortieren, zu säubern – und zu prüfen, ob sie eventuell noch genießbar und zu verkaufen wären. Daraus erwuchs eine gute Idee, die über die „Flutwein“- Internetseite schon fast viereinhalb Millionen Euro eingespielt hat: Äußerlich intakte Flaschen werden nach dem Zufallsprinzip eingepackt und an Spender im ganzen Land versendet, und zwar ungereinigt, mit dem Dreck der Flut. Ein großer Erfolg – nur wenige Pakete sind jetzt bis zum 1. September noch zu haben.

Auch Berliner Sommeliers halfen befreundeten Winzern an Ort und Stelle

Dirk Würtz, Gutsverwalter vom Weingut St. Antony in Rheinhessen, bestens vernetzt und bekannt als meinungsstarker Blogger, hatte mit einem anderen Ansatz Erfolg: Er rief die Branche auf, Flaschen von überall her zu spenden, und verkaufte sie in „Solidaritätspaketen“. Nach 24 Stunden waren schon 60 000 Flaschen verkauft, Würtz musste die Aktion stoppen, weil sie ihm logistisch über den Kopf zu wachsen drohte. Das Spendenkonto führt der Verband der Prädikatsweingüter (VDP) fort, der selbstverständlich nicht nur eigene Mitglieder versorgt.

Auch in Berlin gab es Solidaritätsaktionen, und viele Sommeliers der Stadt halfen befreundeten Winzern an Ort und Stelle. An der Ahr, so beschreiben es viele Winzer, sind die Menschen immer noch zwischen Hoffnung und Verzweiflung hin und her gerissen. Die Kritik an fehlender Unterstützung durch den Staat nimmt zu, aber die Solidarität scheint ungebrochen.

Hans-Stefan Steinheuer, der bekannteste, mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnete Gastronom der Region, hat in den ersten Wochen viele Helfer aus einer mobilen Küche versorgt. Und er kann nun auch eine gute Nachricht verkünden: Sein Hotel-Restaurant „Alte Post“ in Ahrweiler ist mit dem Auto wieder zu erreichen, und alle seine Restaurants sind wieder in Betrieb. „Brogsitters Sanct Peter“ im selben Ort, ebenso bekannt, ist noch geschlossen. Vermutlich gibt es derzeit auch nicht viele Gäste, die im massiv beschädigten Ort elegant tafeln wollen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false