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Nach alter Sitte. Als Bildung noch vollkommen analog ablief, mit Büchern und Tafeln – wie hier 1996 bei Matt Damon im Film „Good Will Hunting“ –, da hätte wohl niemand erwartet, dass ihre Ästhetik 25 Jahre später zum Pophänomen und Modetrend wird.

© imago stock and people

Dark-Academia-Trend: Wie die Genz Z auf Tiktok Uni spielt

Im Netz wird die Bildung als Retro-Lifestyle gefeiert. Doch die Nostalgie kommt nicht überall gut an.

Es gibt Bücher, die man versteht, auch ohne den Inhalt zu kennen: Sie sind Accessoires. Sie ragen auffällig unauffällig aus Jackentaschen oder Jutebeuteln, immer griffbereit scheinbar – und trotzdem nie ausgelesen. Am besten geeignet sind die aus dem Reclam Verlag oder noch besser von „stw“, der Wissenschaftsreihe von Suhrkamp. Man kennt und verortet sie eher im Analogen: In Café-Häusern, Hörsaalgängen oder Gemäldegalerien.

Also da, wo Menschen mit Hornbrillen oft rumhängen. Neuerdings gibt es sie aber auch im digitalen Hausflur – immer mehr Bücher tauchen in den Feeds der sozialen Netzwerke auf, auf Instagram oder bei Tiktok, in kurzen Clips oder auf sorgsam arrangierten Fotos.

Während Unterricht und Vorlesungen – wenn überhaupt – online abgehalten wurden, hat sich eine digitale Subkultur formiert, die den Style der Bildungsbeflissenen feiert und sich so inszeniert, als würde sie dem akademischen Milieu des vergangenen Jahrhunderts entstammen. Ihre Anhänger:innen sind im College-Alter, präsentieren sich mit Klassikern des Existenzialismus, untermalen ihre Videos mit Vivaldi oder Beethoven.

Sie mixen verschiedene Epochen Kulturgeschichte in einen Trend, der „Dark Academia“ heißt und auf Tiktok bislang fast eine Milliarde Mal aufgerufen wurde.

Auf Instagram wurden unter den Hashtags #darkacademia und #darkacademiaaestehics mehr als eine Million Beiträge hochgeladen. Beliebte Motive sind gotische Gebäude, Bücherregale aus Akazienholz, in denen staubige Schriften mit Ledereinband stehen und lange Korridore, die an Harry Potters mystisches Hogwarts erinnern.

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Die Aufnahmen sind mit körnigen Filtern überzogen, die Atmosphäre wirkt, als gebe es kein elektrisches Licht, nur Kerzenschein. Der dazugehörige Kleidungsstil sieht aus, wie man sich die intellektuelle Upperclass im 19. Jahrhundert vorstellt. Der Fokus liegt auf Klassikern: wertigen Jacken, teuren Uhren, edlen Lederschuhen – alles in Braun, Schwarz oder Dunkelgrün. Prätentiös aufzutreten, scheint anzukommen.

Parallel zu diesem Trend erleben Serien wie „Wiedersehen mit Brideshead“, Filme wie der „Der talentierte Mr. Ripley“ und Donna Tartts Roman „Die geheime Geschichte“ gerade ein Comeback. Die Erzählungen kreisen um eine junge Boheme, die sich elitär gibt und etablierte Bildungseinrichtungen besucht. Die Dark-Academia-Community lehnt den üblichen poppigen Tiktok- Look ab. Ihre Inhalte strahlen Schwermut aus.

Als wollten sie bloß nicht mit den flippigen Tänzen und nachgeahmten Popsongs in Verbindung gebracht werden, die sonst über das Netzwerk geteilt werden. Stattdessen zeigen sie sich bedächtig, blicken nachdenklich in die Kamera. Dazu werden Zitate geteilt: „Wohl bin ich ein Wald und eine Nacht dunkler Bäume: doch wer sich vor meinem Dunkel nicht scheut, der findet auch Rosenhänge unter meine Zypressen“, zitiert eine Userin Friedrich Nietzsche. 820 anderen gefällt das.

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Während die Älteren in den vergangenen Monaten ihre Bücherregale neu ausstatteten und sie in der Wohnung verrückten, um in Homeoffice-Videokonferenzen ganz beiläufig die Sicht auf ihr kulturelles Kapital freizugeben, kreierten die Dark-Academias aus Farben und Filtern, Anziehsachen und Literatur eine Ästhetik, die ein Lebensgefühl ausdrücken soll, das im Lockdown sonst fehlt – das man mit Anfang 20 aber unbedingt braucht: Es geht darum, sich abenteuerlich zu fühlen, aufregende Orte zu besuchen, besondere Momente zu erleben, dicke Bücher zu wälzen – und so die Welt ein bisschen besser zu begreifen. Oder wenigstens herauszufinden, wer um einen herum wie ist und wem man gerne ähneln will.

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Die Nostalgie kommt nicht überall gut an

Die Dark-Academias glorifizieren und zelebrieren das Analoge – im Digitalen: In Youtube-Tutorials wird Papier mit schwarzem Tee so befleckt, dass es alt und porös aussieht und für einen Liebesbrief aus dem vorvergangenen Jahrhundert gehalten werden könnte. Umschläge werden im Kerzenschein mit Siegelwachs versehen und mit geschwungenen, schwarzen Lettern beschriftet.

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Die Nostalgie kommt nicht überall gut an. In Internetforen und Kommentarspalten beschweren sich User:innen über den Mangel an Diversität in der Bewegung. Der Vorwurf: Die binären Mittelklasse- Teenager würden im Netz eine eurozentristische Sicht auf Kunst, Literatur und Architektur vermitteln. Ihre Verherrlichung der elitären Upperclass sei problematisch, sagt auch die Soziologin Sarah Burton.

Im britischen Guardian machte sie bereits im Februar darauf aufmerksam: „Ich denke, das Beunruhigende ist, dass Dark Academia sich um Symbole des Weißseins, des wirtschaftlichen und kulturellen Privilegs, des Konservatismus und des Nationalismus dreht.“ Solange das nicht reflektiert werde, fördere die Ästhetik die Wiederholung des Status quo.

Der Trend hat sich mittlerweile weiterentwickelt

Bei der Community ist die Kritik teilweise angekommen, der Trend entwickelt sich weiter. Mittlerweile gibt es „Queer Academia“, deren Anhänger:innen die gleichen Outfits wie die Dark- Academias tragen, sich damit aber auf Pride-Paraden zeigen und Bücher empfehlen, die die Geschichte der queeren Community rekonstruieren.

Ein anderer Stil heißt „Progressive Academia“: Hier werden neuere Unigebäude abgebildet, einfache Bauweisen und tageslichtdurchflutete Hörsaalgänge werden begeistert gefeiert.

Es könnte das Auftauchen aus dem langen Lockdown einleiten: Dark-Academias, die sich wieder aus ihrer dunklen Studi-Welt schälen und sich in die analoge Version des 21. Jahrhunderts stürzen. Also ins echte Leben. Draußen warten wieder Sonnenschein, elektrisches Licht, unterschiedliche Menschen und einzigartige Momente. Da warten Orte, an denen man spürt, dass man da ist. An denen man feuchte Hände hat, Herzklopfen, Lachanfälle – und echte Erleuchtungen.

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