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Drei Männer sitzen vor einem geschlossenen Restaurant auf der Piazza Navona in Rom auf einer Bank.

© Alessandra Tarantino/dpa

Corona in Italien: Wie die Mafia die Krise ausnutzt

Immer mehr italienische Geschäftsinhaber stehen kurz vor dem Bankrott. Jetzt leihen sich viele Geld von der Mafia - ohne es zu wissen.

„Ich war verzweifelt, ich befürchtete, meine ,tavola calda’ (Imbiss-Bar) nie mehr aufmachen zu können“, berichtete Geschäftsinhaber Stefano aus dem süditalienischen Foggia letzte Woche gegenüber der „Repubblica“. Von der Bank habe er, trotz der Staatsgarantie für Corona-Kredite, kein zusätzliches Darlehen mehr erhalten. So habe er die Hilfe von „Freunden“ angenommen, die ihm eine „schnelle Lösung“ und 20000 Euro angeboten hätten.

Mit dem Geld habe er die Löhne seiner Angestellten und einige Lieferantenrechnungen bezahlt. „Zwei Wochen später kamen die ,Freunde’ wieder zu mir und wollten sofort die 20000 Euro zurück, plus 20000 Euro Zinsen. Da wurde mir bewusst, was für einen Fehler ich gemacht habe“, berichtet der Bar-Inhaber.

So wie Stefano geht es inzwischen unzähligen Kleinunternehmern, Selbständigen und Familien, die sich wegen dem Lockdown ihres gesamten Einkommens beraubt sahen und denen das Wasser am Hals stand: Die Wucherei ist das einzige Delikt, das in den letzten Monaten in Italien massiv zugenommen hat. Die übrigen Straftaten sind im Durchschnitt um über 60 Prozent zurückgegangen.

Innenministerin Luciana Lamorgese hat deshalb Alarm geschlagen: „Es besteht die Gefahr, dass ganze Wirtschaftszweige in die Abhängigkeit der organisierten Kriminalität geraten.“ Tatsächlich steht hinter den Wucherern meist die Mafia: Sie verfügt über Bargeld im Überfluss. Wenn ein Schuldner den Kredit und die Wucherzinsen nicht begleichen kann, wird ihm in der Regel Gewalt angedroht.

Meist besteht dann der einzige Ausweg für das Opfer darin, den Gläubigern sein Geschäft zu verkaufen – zu einem von den Gangstern festgelegten Spottpreis natürlich. Den Tipp, dass sich ein Geschäftsmann in finanziellen Schwierigkeiten befinde, erhalten die Clans nicht selten von ungetreuen Bankangestellten, Steuerberatern oder Treuhändern.

Bürokratie verhindert die Auszahlungen

Landesweit haben sich die Anfragen bei den Wucher-Beratungsstellen verdoppelt. Doch die Verdoppelung ist lediglich die Spitze eines Eisbergs: Weil sich viele Opfer dafür schämen, sich Geld bei der Mafia geliehen zu haben, ist die Dunkelziffer sehr hoch. Insgesamt wird das jährlich durch Wucherer vergebene Kreditvolumen in Italien auf 30 Milliarden Euro geschätzt.

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Das Innenministerium versucht seit langem, den Wucherern mit speziell ausgebildeten Ermittlern das Handwerk zu legen. Doch paradoxerweise ist es gerade der Staat, der in der gegenwärtigen Krise maßgeblich zum guten Geschäftsgang der Kredit-Halsabschneider beiträgt: Trotz zweier staatlicher Hilfspakete im Gesamtumfang von 80 Milliarden Euro warten immer noch rund 4 Millionen vom Lockdown betroffene Italiener auf die versprochenen Hilfen in Form von Direktzuschüssen oder Kurzarbeitergeld.

Sie haben seit Anfang März noch keinen Cent an staatlicher Unterstützung gesehen. Schuld daran trägt die wahnwitzige italienische Bürokratie, die den Wucherern in die Hände spielt. „Es ist unbestritten, dass die Prozeduren für die staatlichen Hilfen viel zu aufwendig und langsam sind“, betonte in diesen Tagen die nationale Anti- Schutzgeld-Kommissarin Annapaola Porzio. Das sei unhaltbar, denn „für hunderttausende kleine Betriebe geht es in diesen Tagen und Wochen um Leben oder Tod.“

Die organisierte Kriminalität dagegen könne in Echtzeit reagieren und kenne keine gesetzlichen Regeln, an die sie sich halten müsse. „Wenn der Staat glaubwürdig bleiben und massenhafte Konkurse vermeiden will, dann muss er dafür sorgen, dass seine Liquidität ebenso rasch bei denen ankommt, die sie benötigten“, betont Kommissarin Porzio.

Bedingungsloses Grundeinkommen für Mafiosi?

Weniger Bürokratisch scheint es hingegen bei der Vergabe des im März 2019 eingeführten Grundeinkommens zuzugehen. Die italienische Finanzpolizei hat eine besondere Art von Sozialhilfe-Missbrauch aufgedeckt: In Kalabrien bezogen bis vergangene Woche über 101 verurteilte Mafiosi das vor einem Jahr eingeführte Grundeinkommen.

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Unter den angeblichen Bedürftigen befinden sich bekannte Clan-Mitglieder, vom Mitläufer bis zum Paten: alle verurteilte Mafiosi, die ihre Strafe abgesessen hatten und dann, kaum aus dem Gefängnis entlassen, beim Staat die hohle Hand machten. Zum Teil waren bei ihnen bei der Verhaftung Luxusautos, Jachten, Villen und andere Millionenvermögen beschlagnahmt worden.

Das Grundeinkommen kann beantragen, wer weniger als 9360 Euro Jahreseinkommen hat; die Rentenversicherung überweist in diesem Fall einen Höchstbetrag von 500 Euro plus maximal 280 Euro in Form von Mietzuschuss. Derzeit erhalten laut Angaben der Rentenversicherung rund 1,1 Millionen Einzelpersonen und Familien das Grundeinkommen; der durchschnittliche Betrag inklusive Mietzuschuss beläuft sich auf 496 Euro.

Dass zahlreiche Mafiosis in den Genuss des staatlichen Grundeinkommens gekommen sind, wirft natürlich ein ungutes Licht auf die Kontrolltätigkeit der zuständigen Ämter. Nicht zuletzt auch deshalb, weil verurteilte Straftäter grundsätzlich kein Anrecht auf diese Form der staatlichen Hilfe haben: Ein Blick ins Strafregister hätte genügt, um die mafiösen „Bedürftigen“ bei der Behandlung der Gesuche auszusortieren.

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