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Chemieunfall in Ungarn: Verseuchter Schlamm erreicht Donau

Nach dem Chemieunfall in Ungarn hat der verseuchte Schlamm die Donau erreicht. Welche Folgen hat das?

Eine Million Kubikmeter Rotschlamm sind am Montag aus dem Rückhaltebecken des ungarischen Aluminiumwerkes MAL ausgelaufen. Im Fluss Marcal, in den die rote Brühe zuerst gespült worden war, verendeten dem Katastrophenschutz zufolge bereits alle Fische. Die ätzende Masse ist gefährlich für Mensch, Tier und Natur, wie gefährlich genau, ist noch unklar. Der überhöhte ph-Wert wird sich nach Einschätzung der Umweltorganisation WWF wegen des hohen Wasservolumens in Europas zweitlängstem Fluss zwar voraussichtlich verdünnen. In der Donau ist aber bereits ein solch erhöhter Wert festgestellt worden.

Was genau ist Rotschlamm?

Rotschlamm entsteht, wenn Aluminium aus Bauxit gewonnen wird. Das Metall wird bei hohen Temperaturen mit Natronlauge aus dem Erz herausgelöst. Der Rotschlamm besteht in erster Linie aus Natronlauge, Eisen- und Titanoxiden. Die rostrote Farbe hat der Schlamm durch Eisenhydroxid. Die Natronlauge wird wiederverwendet, nachdem der Rotschlamm sich abgesetzt hat. Möglicherweise kann Rotschlamm, der auf großen Deponien gelagert wird, im Straßenbau oder als Baustoff verwertet werden.

Wie gefährlich ist der Schlamm?

Bedrohlich ist vor allem die Natronlauge, eine wässrige Lösung von Natriumhydroxid (NaOH). „Natronlauge weicht die Haut auf und dringt ins Gewebe ein, das macht sie gefährlicher als Säure“, sagt Martin Göttlicher, Toxikologe am Helmholtz-Zentrum München und der TU München. „Wenn jemand großflächig mit Natronlauge in Kontakt gekommen ist, kommt das einer schweren Verbrennung gleich.“ Obwohl Natronlauge ätzend ist, ist sie nach den Maßstäben der Toxikologie kein echtes Gift. Wird sie mit Salzsäure neutralisiert, entstehen harmloses Kochsalz und Wasser. Auch starke Verdünnung mit Wasser „entschärft“ die Natronlauge, in einem Flusssystem würden sich ihre Spuren vermutlich relativ bald verlieren. Zu dem möglichen Risiko durch Schwermetalle oder leichte Radioaktivität könne er noch keine Einschätzung abgeben, sagt Göttlicher. Spuren von Schwermetallen im Schlamm seien denkbar, allerdings vermutlich nicht in Mengen, die zu akuten Vergiftungen führten. Radioaktive Isotope würden sich in Gestein finden, das könne möglicherweise die Erklärung sein. Um das Gefahrenpotenzial bewerten zu können, seien genaue Messungen wichtig. „Ohne diese Informationen kann man nur spekulieren“, sagte Göttlicher. „Die Schlammwelle ist ein Desaster, aber wenn man die richtigen Maßnahmen ergreift, kann man die Folgen in den nächsten drei bis fünf Jahren in den Griff bekommen und die Region sanieren.“ Dazu müsse der Schlamm und das Grundwasser gegen Verunreinigung geschützt werden.

Der Rotschlamm ist bereits in der Donau angekommen. Welche Folgen hat das?

Die Umweltschutzorganisationen sind vorsichtig, da sie noch nicht wissen, welche Schadstoffe sich tatsächlich in dem Schlamm befinden. Der WWF befürchtet Langzeitfolgen für Mensch und Natur: Böden, Fauna und Flora könnten über Jahre hinweg kontaminiert sein. Bisher hat die ungarische Wasserbehörde an der Stelle, wo die Raab in die Donau fließt, einen erhöhten pH-Wert von neun festgestellt. Üblich sei ein Wert von acht. „Der Rotschlamm wird natürlich massiv verdünnt“, erklärt Steffen Nichtenberger, Sprecher von Greenpeace Österreich. Bei den kleineren Flüssen nahe der Unfallstelle sind die Auswirkungen aber schon zu sehen. „Der Fluss Marcal ist rot und tot“, sagt Nichtenberger.

Die Donau fließt zum Schwarzen Meer. Wie ist die Lage in den Anrainerstaaten?

Die Fernsehbilder des roten Giftschlamms gehen den Bulgaren noch nicht sonderlich nahe. Die Umweltkatastrophe in Ungarn scheint ziemlich weit weg. Die Prognosen sind auch sehr unterschiedlich. Von einem „lediglich theoretischen Risiko“ spricht Umweltministerin Nona Karadschova. Die Gefahr einer Verseuchung der bulgarischen Donau bestehe nicht: „Trotzdem haben wir Vorsichtsmaßnahmen ergriffen und entnehmen den Kontrollstationen ständig Proben, um die Wasserwerke warnen zu können, falls es doch zu einer Verschmutzung kommt“, beschwichtigt sie. Daniel Popov, Umweltexperte vom Sofioter Informations- und Schulungszentrum für Ökologie, bewertet die Situation kritischer. Er fürchtet, die Verschmutzung werde Bulgarien in wenigen Tagen erreichen und langfristig spürbare Folgen haben. „Die Ungarn versuchen, den hohen Säuregehalt zu neutralisieren, das eigentliche Problem sind aber Schwermetalle wie Blei, Arsen, Chrom und Cadmium“, meint Popov. Diese würden auch nicht vom serbischen Wasserkraftwerk Eisernes Tor wenige Kilometer vor dem bulgarischen Donauabschnitt aufgehalten, sondern ihren Weg zum Schwarzen Meer nehmen. Popov wirft den Behörden vor, die Gefahr herunterzuspielen.

Die Umweltbehörden in Serbien und Rumänien kündigten an, die Donau genau auf mögliche Schadstoffbelastungen zu kontrollieren. Die rumänische Wasserbehörde rechnet damit, dass das Gift Rumänien am Samstag erreichen könnte.

Wie viele gefährliche Anlagen gibt es noch in Europa?

Es gibt viele solcher Anlagen in Osteuropa. „Dort ist die Unfallwahrscheinlichkeit höher als anderswo“, erklärt der Chemie-Experte von Greenpeace Österreich, Herwig Schuster. Vor allem in Rumänien gebe es sehr viele gefährdete Bergbauunternehmen, in Ungarn seien es etwa drei Anlagen. Aber auch in Italien, Griechenland und Spanien gebe es Aluminiumproduktionen dieser Art, wie Martin Geiger, Leiter des Bereichs Süßwasser des WWF, erklärt: „Es kann jederzeit wieder passieren.“ Die Erddämme, mit denen der Rotschlamm aufgestaut wird, seien oft instabil und würden bei Regen schnell durchweichen. In Deutschland gibt es nur noch ein Unternehmen, das Aluminium auf diese Weise herstellt, wie Oekom Research erklärt. Die Agentur analysiert Unternehmen. „Gefahren wie in Ungarn gehen von diesem Werk erwartungsgemäß nicht aus“, erklärt Branchenanalystin Kristina Rüter. Die Industrieschlämme werden hier vor der Ablagerung neutralisiert und sind nicht mehr so stark ätzend.

Welche Schuld trifft die Betreiber?

Greenpeace gibt den Betreibern die Schuld. Der Damm für das Rückhaltebecken sei nicht sicher gewesen. „Klar ist, dass der Damm nicht ordnungsgemäß errichtet oder betrieben wurde“, sagt Schuster. „Es gab kein Jahrhunderthochwasser. Bei derartigem Regen hätte der Damm halten müssen.“ Nach Angabe des WWF wurde möglicherweise deutlich mehr als die erlaubte Menge Rotschlamm im Rückhaltebecken gelagert.

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