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Tausende Hanf-Pflanzen wachsen in 30 Hallen. Die Mitarbeiter der Tweed. Inc. achten darauf, dass sie gedeihen.

© Lars Hagberg/AFP

Cannabisanbau in Kanada: Marihuana statt Schokolade

Im kanadischen Smith Falls wird im großen Stil Cannabis angebaut – auch für den deutschen Markt.

Auf langen Tischen stehen einige Hundert Pflanzentöpfe. Ein tropisches Paradies, hell ausgeleuchtet, alles gedeiht. Fast sieht es aus wie in einer gewöhnlichen Gärtnerei. Wären da nicht einige Besonderheiten. Die Frauen und Männer, die in dem Gewächshaus arbeiten, Blätter abreißen und in Plastiksäcke werfen, tragen Haarnetze und Handschuhe, einige auch Mundschutz. Wer als Besucher nicht nur einen Blick durch die großen Fenster werfen, sondern das Gebäude betreten möchte, muss einen Schutzanzug anziehen. Eine Chipkarte mit Sicherheitscode ist der Türöffner. Sicherheit und Hygiene werden groß geschrieben. Denn hier wächst ein kostbares und sensibles Gut: Cannabis.

Das Gewächshaus gehört Tweed Inc., einem der großen kanadischen Produzenten von medizinischem Marihuana. Hier in Smith Falls, einem 9000 Einwohner zählenden Örtchen vor den Toren der kanadischen Hauptstadt Ottawa, haben Tweed und sein Mutterunternehmen Canopy Growth Corporation ihren Sitz.

Nun steht Kanadas Cannabisindustrie vor einer Zeitenwende: Der Konsum von Cannabis als Freizeitdroge wird legalisiert. Das Parlament hat das Gesetz jetzt verabschiedet. Die Provinzen haben einige Wochen Zeit, in ihrem Bereich den Verkauf zu organisieren. Am 17. Oktober soll die neue Cannabis-Regelung in Kraft treten. Dann können die Kanadier ganz legal kiffen. Bereits seit 2001 kann in Kanada Marihuana aus medizinischen Gründen nach ärztlicher Verschreibung konsumiert werden.

In rund 30 Hallen wachsen in Smith Falls auf rund 17 000 Quadratmetern Fläche Tausende Cannabispflanzen. Bald soll die Anbaufläche dort doppelt so groß sein. Das Holdingunternehmen Canopy mit seinen mehr als ein Dutzend Tochterunternehmen hat bereits rund 100 000 Quadratmeter lizenzierte Anbaufläche. „Mit den bereits begonnenen und geplanten Erweiterungen streben wir an, in einigen Jahren etwa 5,6 Millionen Quadratfuß Anbaufläche zu haben“, sagt Canopy-Sprecher Jordan Sinclair. Das entspricht rund 560 000 Quadratmeter.

Angebaut werden die Gattungen Cannabis Sativa und Cannabis Indica

Schwüle Hitze schlägt dem Besucher im Vegetationsraum entgegen. „Die Pflanzen brauchen für optimales Wachstum hohe Temperaturen und das richtige Maß an Luftfeuchtigkeit“, erläutert Caitlin O’ Hara. Die Mitarbeiter in ihren einheitlichen blauen T-Shirts oder weißen Kitteln sind dieses tropischen Klima gewöhnt. Konzentriert betrachten sie jede einzelne Pflanzen, entfernen, wo nötig, Blätter, damit die Pflanzen kräftige Blüten entwickeln können.

Angebaut werden die beiden Gattungen Cannabis Sativa und Cannabis Indica. Cannabis ist der wissenschaftliche Namen für Hanf, der zu den ältesten Nutzpflanzen gehört. Aus den Fasern der Stängel können Seile gefertigt werden. Cannabis enthält aber auch zwei bedeutende Wirkstoffe, sogenannte Cannabinoide – Cannabidiol und Tetrahydrocannabinol (THC). Sie sind in den Blüten enthalten und somit der wichtige Teil der Pflanze, nicht die für Cannabis charakteristischen gezackten Blätter. Die Wirkstoffe sollen krampf- und angstlösende sowie schmerzlindernde Wirkungen haben und helfen, Übelkeit zu verhindern, die oft mit Krebstherapien einhergeht. Vor allem der Wirkstoff THC hat aber auch psychoaktive, euphorisierende oder benebelndeWirkungen.

Noch sind die meisten Wirkungen nicht in klinischen Tests bewiesen, aber es gibt deutliche Hinweise auf positive Effekte vor allem bei der Schmerz- und Krampflinderung. Befürworter der Marihuana-Liberalisierung verweisen darauf, dass Cannabis anstelle der schnell abhängig machenden Opioide eingesetzt werden könne – ein wichtiges Argument angesichts der Opioidkrise, die in Kanada jährlich zu mehreren Hundert Todesfällen durch Überdosen führt.

Los geht’s. Ab dem 17. Oktober dürfen die Kanadier legal kiffen.
Los geht’s. Ab dem 17. Oktober dürfen die Kanadier legal kiffen.

© Lars Hagberg/AFP

In der Lobby macht Alan Buker Mittagspause. An der Wand hängt das Schild „Hershey Canada Inc.“, ein historisches Relikt. Denn in diesen Gebäuden wurde früher ein anderes Konsumgut produziert. Das Süßwarenunternehmen Hershey stellte hier Schokolade, Schokoriegel und Kekse her. Als „Kanadas Schokolade-Hauptstadt“ bezeichnete sich Smith Falls damals. „Wir hatten auf dem Höhepunkt der Produktion rund 600 Mitarbeiter“, sagt Buker. Der 51-jährige war einer von ihnen, rührte Erdnussbutter zusammen und überzog Rosinen mit Schokoladenguss. Dann gab gab Hershey 2007 die Schließung des Standorts bekannt, ein Schock für die Stadt. Fünf Jahre später kam Bruce Linton. Der CEO und Gründer von Canopy und Tweed suchte eine Produktionsstätte. Er kaufte die leerstehenden Hallen. Heute hat Tweed 350 Angestellte, weitere Arbeitsplätze sollen geschaffen werden.

„Unsere Gemeinde profitiert von dieser Entwicklung“, sagt June Forsyth. Sie arbeitet in dem Bereich, in dem getrocknete Cannabisblüten vakuumverpackt werden. Sie stellt einen Beutel auf eine Palette. Darin der begehrte Stoff – Marihuana, die Blüten der Cannabispflanze. Jeder Beutel enthält 600 bis 1000 Gramm. Bei dem in Kanada gängigen Preis von zehn bis zwölf Can-Dollar pro Gramm hat ein Beutel einen Verkaufswert von 6000 bis 10 000 Dollar. In Deutschland, wo Marihuana nur über Apotheken bezogen werden kann, ist der Grammpreis etwa doppelt so hoch. Canopy beliefert über seine Tochter Spektrum Canabis rund 900 Apotheken mit Marihuana aus Kanada.

Schon Mitte 2016 hatten die Kanadier die Lizenz der deutschen Behörden für den Export von medizinischem Cannabis nach Deutschland erhalten und konnten nach der Freigabe des medizinischen Marihuana-Konsums in Deutschland im März 2017 mit der Lieferung beginnen. In den Regalen im Verpackungsraum in Smith Falls stehen Fläschchen mit Cannabisöl und Gläser mit Kapseln, die geschluckt werden. Sie sind für den Eigenbedarf gedacht. „Sie gehören zu unseren populärsten Produkten. Wer Cannabis nicht rauchen will, der kann es in Kapselform einnehmen“, sagt Caitlin O’ Hara.

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