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Mutter und Kind im Hof ihres Moskauer Wohnkomplexes. Weil Familien auf engem Raum zusammensitzen, nimmt die Gewalt zu, warnen Experten.

© Natalia KOLESNIKOVA/AFP

Bischof: Frauen sollten kritische Bemerkungen lassen: Russlands Kirche und ihr merkwürdiges Verhältnis zu häuslicher Gewalt

Eine Moderatorin schockiert mit Aussagen über häusliche Gewalt, die Kirche pflichtet ihr bei. Gerade jetzt, da Corona das Problem weiter verstärkt.

Von Oliver Bilger

Es war eine ungewohnte Rolle, in der sich Moderatorin und Sängerin Regina Todorenko kürzlich ihren Fans in Russland präsentierte. 8,3 Millionen Instagram-Follower kennen sie als freudestrahlend, professionell gestylt und perfekt in Szene gesetzt. Nun stellte sie ein demütiges Video ins Netz: wenig Make-up, den Blick gesenkt, die Worte schwer.

Sie wolle sich für ihre „falsche Formulierung“ entschuldigen, erklärte die 29-Jährige. Zuvor hatte Todorenko in einem Fernsehinterview behauptet, dass Frauen selbst Schuld an häuslicher Gewalt sein könnten. „Irgendwann sollte doch ein kritischer Punkt kommen, um zu fragen: Warum schlägt er dich?“, sagte sie und fragte, ob Frauen eine Mitverantwortung für häusliche Gewalt trügen.

Es folgte ein Sturm der Entrüstung. Die russische Ausgabe der Frauenzeitschrift „Glamour“ erkannte ihr umgehend den Titel „Frau des Jahres“ ab. „Jede Art von Gewalt und Schikane ist inakzeptabel“, begründete die Redaktion. Mehrere Werbepartner kündigten ihre Verträge mit Regina Todorenko, da half auch die 40 Sekunden lange Buße auf Instagram nichts.

Natürlich sei sie gegen jede Form von Gewalt, erklärte sie darin. „Widerlich“ und „unhöflich“ sei ihre Aussage gewesen. Das Ausmaß häuslicher Gewalt habe sie zuvor nicht verstanden. Nun wolle sie sich mit Hilfsorganisationen dafür einsetzen, das das Problem zu bekämpfen.

Regina Todorenko steht in der Kritik nach Aussagen über häusliche Gewalt. Sie selbst entschuldigte sich für ihre „falsche“ Formulierung
Regina Todorenko steht in der Kritik nach Aussagen über häusliche Gewalt. Sie selbst entschuldigte sich für ihre „falsche“ Formulierung

© imago images/E-PRESS PHOTO.com

Dies könnte das Ende einer unrühmlichen Geschichte sein. Wenn nicht ausgerechnet die russisch-orthodoxe Kirche kurz darauf ebenfalls Stellung bezog. Von einer Institution, die Nächstenliebe predigt, hätte man dabei anderes erwartet als die Worte von Bischof Panteleimon.

14.000 Frauen sterben durch häusliche Gewalt

Partnerinnen, so der Geistliche, sollten zur Konfliktvermeidung in einer Beziehung gehorsam sein – zumal jetzt, da im Land ein Corona-Lockdown gilt. „Für den Anfang sollen sie aufhören, kritische Bemerkungen zu machen“, sagte der Leiter der Synodalabteilung für Wohlfahrt. Frauen sollten sich selbst beobachten und „kleine Strafen“ gegen sich verhängen: Sie könnten sich zum Beispiel als Buße zehnmal verneigen, einen Tag lang auf Schokolade oder auf das Internet verzichten. Auch der Bischof ruderte später zurück und erklärte, Bemerkungen, die zu Spannungen führen könnten, sollten natürlich auch Ehemänner vermeiden.

Es war keineswegs das erste Mal, dass Russlands einflussreiche Kirche eine zweifelhafte Haltung zur häuslichen Gewalt einnimmt. Dabei ist die Zahl der Gewaltopfer hoch. Pro Jahr sterben – bei 145 Millionen Einwohnern – etwa 14.000 Frauen durch häusliche Gewalt. Zum Vergleich: In Deutschland mit 83 Millionen Einwohnern kamen 2018 insgesamt 122 Frauen durch die Hand des Partners ums Leben. Nach Angaben des russischen Innenministeriums werden 40 Prozent aller Verbrechen zu Hause verübt, 93 Prozent davon gegen Frauen. Vier von fünf Frauen, die zwischen 2016 und 2018 wegen Mordes verurteilt wurden, gaben Notwehr gegen häusliche Gewalt als Motiv an.

Seit 2017 ist die Gewalt entkriminalisiert

Wer die Polizei ruft, kann oft nur wenig Hilfe erwarten. Seit 2017 gilt ein Gesetz, das Schläge in der Partnerschaft entkriminalisiert. Die erste Prügel wird als Ordnungswidrigkeit geahndet. Erst für Wiederholungstäter gilt das Strafrecht. Inzwischen bemüht sich eine Gruppe Abgeordneter um eine Neuregelung zum Schutz von Gewaltopfern. Doch ihr Vorhaben hat viele Gegner. Verschiedene Organisationen, darunter die Kirche, fürchten übermäßige staatliche Eingriffe in Familienangelegenheiten.

Die Kirche von Patriarch Kyrill hält ein geplantes neues Gesetz für „inkompatibel mit Russlands spirituellen und moralischen Werten“.
Die Kirche von Patriarch Kyrill hält ein geplantes neues Gesetz für „inkompatibel mit Russlands spirituellen und moralischen Werten“.

© Sergei ZAIKIN/AFP

Andrej Kormuchin, Anführer einer orthodoxen Bewegung, warnt gar vor dem Untergang Russlands, wenn Frauen und Kinder nicht mehr gezüchtigt werden können. Dmitri Smirnow, im Moskauer Patriarchat zuständig für Familienbelange, behauptet, die Initiatoren wollte eine Möglichkeit schaffen, um Eltern Kinder wegzunehmen und Schwulen und Lesben zu überlassen.

Die Kirche hält das Gesetz für „gefährlich“ und „inkompatibel mit Russlands spirituellen und moralischen Werten“. Es sei ungeeignet, so ein Sprecher von Patriarch Kyrill I., um häusliche Gewalt zu verhindern. Das Gesetzgebungsverfahren ist ins Stocken geraten.

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Mehr Schutz während Corona-Quarantäne

Vor wenigen Tagen riefen die Initiatorinnen der Novelle die Regierung dazu auf, Sofortmaßnahmen zum Schutz der Opfer während der Corona-Quarantäne zu ergreifen. Vielerorts gelten strenge Ausgangssperren. Die meisten Russen haben arbeitsfrei, also sitzen Familien auf oftmals engem Raum zusammen. Dies, so fürchten Experten, werde zu noch mehr häuslicher Gewalt führen.

Oxana Puschkina, eine der Frauen hinter dem geplanten Gesetz, fordert Anlaufstellen für Opfer, Straffreiheit bei Verstößen gegen die Quarantäneregeln und die Anweisung an die Polizei, auf alle Anzeigen häuslicher Gewalt zu reagieren. Notfall-Hotlines für Frauen, berichtet die Zeitung „RBK“, hätten zuletzt eine starke Zunahme von Anrufen verzeichnet.

Walentina Matwijenko, Chefin des Oberhauses des Parlaments, erklärte, die Arbeit am Gesetzesentwurf werde fortgesetzt, wenn das Coronavirus besiegt sei. An einen Quarantäne-bedingten Anstieg häuslicher Gewalt glaubt sie nicht, „da Familien diese schwierige Zeit gemeinsam durchmachen“. Die arbeitsfreie Zeit hat Präsident Wladimir Putin gerade bis 11. Mai verlängert. Es könnten bittere Wochen für Russlands Frauen werden.

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