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Überwältigend. Täglich kommen mehr Touristen in die Stadt, als Menschen in ihr dauerhaft wohnen.

© Imago/Hans Lucas

Besucheransturm auf die Lagunenstadt: Venedig überdenkt den Massentourismus

Für einen Besuch in Venedig sollen in Zukunft Tickets verkauft werden – zunächst gibt es aber eine Reservierungspflicht.

An Ostern hat Venedig die Pandemie endgültig hinter sich gelassen: Am Karfreitag zählte die „Serenissima“, die „Heitere“, nach Angaben der Stadtbehörden 110.000 Besucher, am Ostersamstag waren es 160.000, am Sonntag 140.000 und am Ostermontag immer noch fast 100.000. „Der Tourismus in Venedig ist wieder losgegangen“, twitterte Stadtpräsident Luigi Brugnaro danach freudig.

Tatsächlich hatte die Stadt schon vor der Pandemie nur in Ausnahmefällen derart viele Touristen angelockt. Gefreut haben sich natürlich auch die Hoteliers und Restaurantbesitzer. „Dank dem Umsatz von Ostern können wir beginnen, unsere Schulden abzubezahlen, die wir während der Pandemie angehäuft haben“, erklärte Claudio Scarpa, der Direktor des venezianischen Hotelierverbands.

Venedig, das sehr stark von ausländischen Gästen abhängig ist – 60 Prozent von ihnen kommen aus Übersee – ist von der Pandemie überdurchschnittlich stark getroffen worden: Die Umsatzeinbußen betrugen 80 Prozent, viele Betriebe haben aufgeben müssen. Und wer überlebt hat, musste Kredite aufnehmen. Dies ist auch der Grund, warum die Stadtbehörden ihre schon 2019 beschlossene Bremse gegen den gewaltigen Massentourismus in der Lagunenstadt, das berühmt-berüchtigte Eintrittsgeld, um ein weiteres Jahr auf 2023 verschoben haben. Um den Betrieben Zeit zu geben, „sich von der Pandemie zu erholen“, wie der städtische Minister für Tourismus, Simone Venturini, betonte.

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Danach aber sollen die Touristenmassen zumindest ein wenig eingedämmt werden. Es wäre auch dringend nötig: Vor der Pandemie war die Lagunenstadt an der Adria mit ihren Kanälen und unzähligen Kulturgütern seit Jahren Schauplatz eines regelrechten Massenansturms: Im letzten Jahr vor der Pandemie haben 33 Millionen Touristen die Stadt besucht, also durchschnittlich 90.000 am Tag.

Das sind fast doppelt so viele wie Venedig Einwohner zählt: In der Stadt leben noch etwas mehr als 50.000 Menschen. Bei vielen der Gäste handelt es sich um Tagestouristen, die sich nicht zuletzt auch von den Kreuzfahrtschiffen in die Stadt ergießen. Wer nicht in Venedig übernachtet, wird ab nächstem Jahr voraussichtlich je nach Saison zwischen 3 und 5 Euro Eintritt bezahlen müssen.

Steuer auf die Fahrscheine

Die Steuer soll auf die Fahrscheine der Transportmittel draufgeschlagen werden, mit denen die Touristen nach Venedig gelangen. So war es zumindest geplant gewesen, als der Stadtrat das „Ticket“ vor drei Jahren beschlossen hatte. Ob die Steuer im nächsten Jahr tatsächlich kommt, wird sich zeigen: Die Hoteliers, das Gastgewerbe und andere Branchen, die von den Touristen leben, sind eine starke Lobby in Venedig – und sie sind alles andere als begeistert.

Bürgermeister Brugnaro wiederum ist selber Unternehmer und hat immer wieder ein offenes Ohr für die Sorgen der Gewerbetreibenden gezeigt. Kritiker bezeichnen das Eintrittsgeld ohnehin als reine Alibi-Maßnahme der Stadtbehörden, um nicht wirklich griffige Maßnahmen einführen zu müssen.

Die meisten Venezianer glauben nämlich nicht, dass die Steuer die Zahl der Gäste senken wird: „Glauben Sie wirklich, dass Touristen, die sich von Straßenhändlern ein in China produziertes Ramsch-Souvenir für 20 Euro andrehen lassen oder für einen Aperol Spritz auf der Piazza San Marco 25 Euro hinblättern, sich von einer einmaligen Abgabe von 3 Euro abschrecken lassen?“, fragte im italienischen Fernsehen unlängst ein Rentner, der seit seiner Geburt in der historischen Altstadt von Venedig lebt und der Nachts vom ewigen Gerumpel der Rollkoffer um den Schlaf gebracht wird.

Seine Frage scheint berechtigt: Ein „Eintrittsgeld“ für Tagestouristen gibt es seit vielen Jahren auf Ischia und Capri – dessen Bremswirkung auf die Zahl der Touristen liegt in beiden Fällen unter der Wahrnehmungsgrenze.

Hoteliers und Stadtbehörde wollen keine Obergrenze an Touristen

Sehr viel wirksamer wäre die Einführung einer täglichen Obergrenze, eines Numerus Clausus für die Zahl der anreisenden Touristen. Aber davon wollen die Hoteliers und die Stadtbehörden nichts wissen. Stattdessen soll in diesem Jahr eine Reservierungspflicht ausprobiert werden. Sie wird wahrscheinlich am 1. Juni eingeführt. Wie genau die kostenlose Online-Reservierung funktionieren wird, wolle die Stadt in den kommenden Wochen mitteilen, erklärte Venturini.

Eine laut den Stadtbehörden „revolutionäre“ Maßnahme zur Erfassung der Touristenströme hat Venedig vor kurzem bereits eingeführt. Mit Hilfe von Kameras, Sensoren und Handy-Ortung kann Venedig seit einigen Monaten in einem zentralen „Smart Control Room“ sämtliche Touristen, allerdings auch die Anwohner, ermitteln.

Auch dieser „Big Brother“ hat, wie die angekündigte Reservierungspflicht, natürlich null Einfluss auf die Zahl der Gäste. Aber immerhin: In der Nacht auf Ostersamstag hat der Smart Control Room 160.000 Mobiltelefone registriert, die nicht Anwohnern gehörten. Den Steuerbehörden wurden aber nur rund 140.000 Übernachtungen gemeldet. Da die 20.000 überzähligen Handy-Besitzer kaum im Freien übernachtet haben werden, liegt der Verdacht nahe, dass ein großer Teil von ihnen schwarz, also steuerfrei, untergekommen ist. „Wir werden die Daten überprüfen und da, wo die Mobiltelefone über Nacht eingeloggt waren, Kontrollen durchführen“, ließ die Guardia di Finanza, die italienischen Steuerpolizei, verlauten.

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