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Feuerwehrleute an der Unfallstelle in Mexiko.

© Alfredo Estrella/AFP

Benzinpiraten: Die explodierte Pipeline gehört zu den meist angezapften Mexikos

Vor drei Wochen hat Mexikos Präsident der Benzinmafia den Kampf angesagt. Nun sind dutzende Menschen gestorben, als sie Treibstoff stehlen wollten.

Freitagnachmittag gegen 17 Uhr im zentralmexikanischen Tlahuelilpan. Eine Whatsapp-Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer: „Ein Leck in der Pipeline!“ Mexikos Mafia hatte wieder einmal versucht, Treibstoff anzuzapfen, musste aber vor den Soldaten fliehen, die Präsident Andres Manuel López Obrador im Kampf gegen die Benzinpiraten mobilisiert hat.

Die Menschen in Tlahuelilpan, einem ärmlichen Bauerndorf, wittern ihre Chance: Hunderte laden Kanister in ihre Autos und fahren los, um sich gratis mit Benzin zu versorgen. Brian kommt zusammen mit seiner Mutter und einem Freund gegen halb sechs an, wie er dem Portal „Eje Central“ erzählt: „Es war wie ein Fest, rund 500 Leute waren da, viele mit Kindern.“ Die Soldaten, 25 an der Zahl, versuchen die Anwohner fernzuhalten und weisen sie auf die Explosionsgefahr hin. Doch ihre Warnungen werden ignoriert. „Sie baten uns, wenigstens die Handys auszumachen und die Autos weiter weg zu parken“, erzählt Brian.

Die Umstehenden baden lachend in Benzin

Einigen geht es zu langsam; es gelingt ihnen, das Loch zu vergrößern. Aus dem Strahl wird ein sprudelnder Springbrunnen, der die Umstehenden buchstäblich in Benzin badet. Viele lachen und hüpfen – trotz des penetranten Gestanks. Der Staatskonzern Pemex ist inzwischen ebenfalls alarmiert und schließt die Ventile. Doch der Druck sei zu groß gewesen, sagt später ein Sprecher.

Durch die Reibung von synthetischen Materialien könne es zu elektrischen Reaktionen kommen, so Generalstaatsanwalt Gertz Manero später zu den Ermittlungen über die Ursache der Entzündung. So könnte zum Beispiel statisch aufgeladene Kleidung zum Entzünden des Gases geführt haben. „Es gab viel Bewegung in einer Zone voll mit Gas“, so Gertz Manero. Festnahmen oder Anklagen gebe es im Zusammenhang mit dem Vorfall bisher nicht.

Vor allem junge Männer sind unter den Opfern

Es ist kurz vor sieben Uhr am Abend, als der Treibstoff plötzlich brennt; die Flammen schlagen im Bruchteil einer Sekunde meterhoch in die Höhe. Die Umstehenden rennen schreiend davon und springen in einen Bach, viele verbrennen bei lebendigem Leib. „Es war ein furchtbarer Anblick“, erzählt Brian. Viele Leichen sind bis zur Unkenntlichkeit verkohlt.

Mindestens 73 Tote zählen die Behörden bis Samstagabend und 74 meist schwer Verletzte. Auch Kinder und Frauen sind darunter, vor allem aber junge Männer, die mit der Hoffnung zu dem Leck eilten, sich ein Zubrot zu verdienen. Seit López Obrador vor drei Wochen der Benzinmafia den Kampf angesagt hat, herrscht in vielen Regionen Mexikos Benzinknappheit, auch in Tlahuelilpan im Bundesstaat Hidalgo – wegen der nahe gelegenen Raffinerie eine der Hochburgen der Benzinmafia.

An offiziellen Tankstellen kauft niemand mehr

Rund 30.000 Fass Benzin werden täglich durch die Pipeline gepumpt. Sie gehört zu den am meisten angezapften Mexikos. „Der Benzinraub und mit ihm die Morde haben in den vergangenen zwei Jahren in der Gegend stark zugenommen“, sagt der dort lebende Journalist Fernando Rodriguez vom Sender Foro TV. „Du schickst der Bande eine Nachricht, und sie liefert dir das Benzin frei Haus.“ An den offiziellen Tankstellen kaufe niemand mehr, und fast jeder habe ein Familienmitglied, das mit im Geschäft sei.

Gut ein Drittel der Produktion des Staatskonzerns wird angezapft und auf dem Schwarzmarkt verkauft. Dadurch entsteht ein Schaden von umgerechnet drei Milliarden Euro jährlich. Die Mafia zapft nicht nur Pipelines an, wie die Journalistin Ana Lilia Pérez recherchiert hat. Sie kontrolliert Bohrlöcher und Plattformen, presst Zulieferern Schutzgeld ab, besitzt Tankstellen, schmiert Politiker und hat im Staatskonzern Pemex ein paralleles Vertriebsnetz infiltriert.

Der Präsident kondoliert den Angehörigen

Nach einem Besuch am Unglücksort kondolierte Präsident López Obrador den Angehörigen und versprach eine lückenlose Aufklärung. Von seiner Strategie werde er aber nicht abrücken. „Diese Tragödie zeigt, dass der Benzinraub aufhören muss. Er hat sich ausgebreitet, weil die Menschen keine andere wirtschaftliche Alternative haben“, sagte López Obrador. Auf Vorwürfe, die Streitkräfte hätten die Umstehenden gewähren lassen, antwortete er: „Wir gießen kein Öl ins Feuer. Gewaltanwendung führt zu nichts. Wir werden die Menschen überzeugen. Das Volk ist ehrlich, aber arm“, sagte der linksnationalistische Staatschef, der seit Anfang Dezember regiert. Er hat Stipendien, Renten und Arbeitsplätze versprochen. Einer Umfrage zufolge unterstützen 79 Prozent der Mexikaner seine Strategie im Kampf gegen die Ölmafia. (mit dpa)

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