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Genügend Schlaf könnte große Auswirkungen auf ein gutes Immunsystem haben.

© Christin Klose/dpa

Beginn der Sommerzeit: Wieso wir uns gerade jetzt mehr Schlaf erlauben sollten

Am Sonntag wird uns erneut eine Stunde Schlaf geraubt. Dabei ist die Zeitumstellung in der Krisenzeit eine besondere Belastung für den Körper.

So viel Ruhe gab es noch nie. Die Trauminsel Norderney ist dicht. Das Coronavirus bringt wie überall auch auf dieser Insel den Alltag zum Stehen. Hier, wo das Thema Entschleunigung und Ruhe seit Jahrzehnten eigentlich zum touristischen Highlight dazugehört, will es schon was heißen, wenn es den Leuten zu ruhig wird.

Seit über zwanzig Jahren lebt der Physiologe Friedhart Raschke auf der Insel Norderney. Beruflich beschäftigt er sich mit Schlaf- und Leistungsmedizin, Burnout-Prävention und Chronobiologie – ein Querdenker wie er im Buche steht. Sein Terminkalender füllt sich normalerweise immer – Rat und Urteil von ihm sind gefragt. Doch auch er sitzt jetzt fest.

Dass das Frühjahrsseminar für angehende Sportärzte aus Köln diesmal stattfindet, da hegt er starke Zweifel. Muss er wohl canceln. Dabei wäre das Thema der Weiterbildung brandaktuell – auch wenn es bei der Betrachtung der Corona-Epidemie bisher eher eine Nebenrolle spielt: Der Schlaf und das Immunsystem.

Hintergrund über das Coronavirus:

Gerade an diesem Wochenende, wenn durch die Umstellung der Uhren wieder die „Sommerzeit“ beginnt, wird dieser Zusammenhang deutlicher werden denn je. Eine Stunde Zeit wird uns geraubt und sorgt für einen kleinen sozialen Jetlag. Klingt so, als wäre es gar nicht so viel. Doch verlangt das Drehen an der Uhr eine körperliche Anpassungsleistung, die wir gerade jetzt so nicht gebrauchen können.

Aus gutem Grund laufen die Schlafmediziner seit Jahren gegen die Zeitumstellung Sturm. Auch Internisten und Kardiologen kennen genügend Gründe, um gegen diese gesamtgesellschaftliche Maßnahme zu sein, die 1980 eingeführt wurde.

Schon seit gut einhundert Jahren, nicht zufällig immer zu Kriegs- und Krisenzeiten, wurde eine Zeitumstellung immer mal wieder eingeführt und danach wieder abgeschafft. Vergangenes Jahr war die Entscheidung, die Zeitumstellung endlich zu beenden, innerhalb der EU amtlich gescheitert. Das Zögern der Kommissare lag offenkundig daran, dass niemand sagen konnte, was die Abschaffung für Folgen haben würde. Dass jedoch die Manipulation der Uhren wirtschaftlich ohne Bedeutung ist, das steht längst außer Zweifel. Wozu brauchen wie sie noch?

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Aktuell ist nur eins sicher: Zweimal im Jahr führt die Umstellung der Zeiger zu einer temporären, kollektiven Rhythmusstörung und erfordert eine kräftezehrende, individuelle Anpassungsleistung. Wir sind kurzzeitig aus dem Takt. Doch unser Schlaf-Wach-Rhythmus sucht immer die Balance zu unserer inneren Uhr, die nun einmal durch das Licht der Sonne getaktet wird.

Die innere Uhr kann völlig aus dem Takt kommen

Viele stehen zur „Sommerzeit“ gemäß ihres Arbeitsbeginns zu früh auf, und gehen – verlockt durch das Licht am Abend – trotzdem nicht früh genug ins Bett. So können Schlafdefizite wachsen, die gesundheitlich spürbar zu Buche schlagen.

Auch vor diesem Hintergrund sind Friedhart Raschkes fachübergreifende Überlegungen zum Schlaf als Ressource für Gesundheit in allen Lebensaltern aktuell und relevant: „Wir haben heute auch deshalb noch längst nicht die Möglichkeiten der Vorbeugung und der Therapie ausgeschöpft, weil wir bislang die segensreichen Wirkungen und Zusammenhänge von gesundem Schlaf und Immunsystem noch nicht genau genug betrachten können“, sagt Raschke.

Er macht Mut, mit unserer Zeiteinteilung souveräner umzugehen: „Es lässt sich zwar vorhersagen, dass auch diesmal die aktuelle Umstellung auf die Sommerzeit die nächtliche Leistungsfähigkeit des Immunsystems vermindert. Das können wir in der derzeitigen Coronasituation überhaupt nicht gebrauchen!“ Zum Glück lasse uns der Homeoffice-Modus mehr Spielraum, um den Tagesplan individueller zu gestalten. So dass in diesem Jahr die negativen Folgen der Zeitumstellung geringer ausfallen dürften, sagt Raschke.

Wir sollen mehr Zeit in unseren Schlaf investieren als in Hamsterkäufe und Klopapier

Sollten wir also mehr Zeit in unseren Schlaf investieren als für Hamsterkäufe und Klopapier? Offenbar ja. Das Sprichwort „Schlaf dich gesund“ ist eine alte Regel, klingt für viele banal, doch sie ist aktuell wichtiger denn je. Schon 2015 hatte die Fachärztin und Expertin für klinische Immunologie Tanja Lange von der Klinik der Universität zu Lübeck in ihrer Antrittsvorlesung eine Erläuterung für den Zusammenhang von Schlaf und Immunsystem gegeben. Belegt in einer Studie.

Sie basiert darauf: Wir haben sowohl eine angeborene Immunkraft und ein angelerntes Immungedächtnis.

Schlaf verstärkt diese immunologische Gedächtnisbildung, das heißt, unsere körpereigene Abwehrreaktion kann nicht nur eine Immunantwort auf die Infektion starten. Unser Schlaf verstärkt auch die immunologische Gedächtnisbildung für spätere Zeiten. Wir lernen im Schlaf.

Auf diesem relevanten, wenn auch „unsichtbaren“ Gebiet brauchen wir dringend den Zuwachs an Wissen. Was jeder von uns kennt: Wir werden auch bei einer simplen Erkältung eher müde, unser Körper schickt uns mit allem Nachdruck ins Bett und wir schlafen, wenn wir krank sind, tatsächlich länger.

Gehört also die Einsicht, dass wir zu Coronazeiten gerade guten und ausreichenden Schlaf brauchen, auch auf die Liste unserer Präventivmaßnahmen – so wie Hände waschen, soziale Distanz, zu Hause bleiben? Wir haben aktuell vielleicht ein wenig mehr Zeit, um es auszuprobieren. Auch wenn uns am Sonntag wieder eine Stunde gestohlen wird.

Die Krise könnte Chancen bergen

Friedhart Raschke hat sich auch im Homeoffice eingerichtet und arbeitet aktuell an seinem Manuskript für das Schlafmedizinische Kompendium der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin – die Bibel der Schlafmediziner.

„Es ist ein sehr komplexes Thema, an dem zunächst Umwelt, Tagesablauf, Bett- und Schlafgewohnheiten sowie die Schlafzeiten einerseits und Kreislauffunktionen, Immun- und Lymphsystem andererseits gleichermaßen beteiligt sind. Die gesamten Zusammenhänge von Schlaf und Immunsystem beginnen wir gerade erst zu verstehen.“

Ohne fachübergreifendes Denken würde es kaum möglich sein, das aktuelle Wissen ausreichend zu nutzen, sagt Raschke. Die Inselruhe habe auch Vorteile: Es sei allerorts jetzt viel stiller als sonst. „In Einsiedeleien ist ja immer auch viel Neues und manchmal Gutes entstanden.“

Thea Herold

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