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Im Sommer überqueren Hunderttausende von Gnus den Fluss zwischen Kenia und Tansania normalerweise unter vielfacher Beobachtung.

© imago/blickwinkel

Wilderei in Afrika nimmt zu: Ausbleibender Safari-Tourismus schadet Tieren

Der Safari-Tourismus bringt Afrika Jahr für Jahr Milliarden. Doch weil niemand kommt, stehen die Menschen vor Ort vor dem Nichts. Und die Wilderei nimmt zu.

Bald beginnt eines der faszinierendsten Naturschauspiele der Welt. Hunderttausende von Gnus werden dann an der Grenze zwischen Kenia und Tansania in halsbrecherischer Hast den Mara-Fluss überqueren. Die ersten von ihnen werden gewöhnlich von Krokodilen gefressen.

Es sind Bilder, die üblicherweise viele Menschen Jahr für Jahr in die Region ziehen. In respektvoller Entfernung beobachten Tausende Touristen das wahnsinnige Gedränge der Tierleiber und halten den spektakulären Höhepunkt der sogenannten „Großen Migration“ mit ihren Kameras fest. Doch in diesem Jahr wird ihr Platz leer bleiben: Die Gnus werden ohne ihre Beobachter springen.

„Gewöhnlich fliegen wir in dieser Zeit monatlich rund 10 000 Besucher in den Naturpark Masai-Mara“, sagt der Chef der kenianischen Fluggesellschaft Safarilink, Alex Avedi. „Alle unsere Flugzeuge stehen heute auf dem Boden.“

Die Corona-Pandemie schränkt das Reisen eben immer noch weitgehend ein, und viele wollen – selbst wenn es möglich wäre – sich noch nicht wieder in die Ferne begeben. Das fügt dem afrikanischen Safari- Tourismus und den vielen Bereichen, die davon abhängen, einen immensen Schaden zu.

Jahr für Jahr setzte der Industriezweig fast zwölf Milliarden Euro in Afrika um: Für die kommenden Jahre hatte die Welttourismus-Organisation der Branche die weltweit besten Zuwachsraten prognostiziert.

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Verwaiste Luxus-Lodges

Aber der unberechenbare Erreger vernichtete diese rosige Aussicht in wenigen Tagen. Bereits im März hagelte es Absagen der Touristen. Inzwischen liegen sämtliche Luxus-Lodges und Campingplätze in den populären Tierparks im Osten und Süden des Kontinents wie ausgestorben da.

„Covid 19 hat unser Geschäft ruiniert“, sagt ein Reiseveranstalter, der anonym bleiben will: „Es kam plötzlich und ohne Warnung.“

Obwohl sich das Virus in Afrika – mit Ausnahme Südafrikas – zumindest bislang nicht so dramatisch ausgebreitet hat wie andernorts, sind die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie schon heute verheerend. Und es ist noch völlig unklar, wann das Geschäft wieder anlaufen wird.

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In Staaten wie Tansania macht der Safari- Tourismus fast 18 Prozent der Gesamtwirtschaft aus und versorgt mit mehr als 1,1 Millionen Arbeitsplätzen mehr als zehn Prozent der Beschäftigten mit einem Job. Fast zehn Millionen Afrikaner verdanken dem Tourismus eine geregelte Einkunft und versorgen damit rund 100 Millionen Familienmitglieder. Im Moment haben sie keinerlei Einnahmen.

Die meisten Veranstalter haben dieses Jahr schon ganz abgeschrieben. Ob sich die Branche bereits im kommenden Jahr erholen wird, darf bezweifelt werden. Das zeigt sich an der Zurückhaltung der Kunden.

So berichtet der tansanische Tour-Operator Elia Richard: Wenn er seine absagenden Kunden frage, ob er ihre Reservierung aufs nächste Jahr verschieben könne, erhalte er meist die Antwort: „Wer weiß schon, was nächstes Jahr sein wird?“

Der Tourismus finanziert den Tierschutz

Der Totalkollaps hat nicht nur Reiseveranstalter und afrikanische Lodge-Besitzer, Ranger, Kellner sowie Putzkräfte ins Nichts gestürzt: Auch die Wildtierreservate bekommen zunehmend Probleme, weil die Kosten für deren Management größtenteils von den Einnahmen aus dem Tourismus beglichen werden. „Die Idee, dass man ohne diese Gelder die Artenvielfalt retten kann, ist illusorisch“, sagt Matthew Brown, der Afrika-Direktor der US-Naturschutzorganisation „Nature Conservancy“.

Auf der Kostenkalkulation ganz oben steht der Schutz der Tiere vor Wilderern. Zwar sollen sich die Umtriebe internationaler Schmugglerringe während der Pandemie wegen der unterbrochenen Transportrouten etwas beruhigt haben.

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Doch dafür steigt die heimische Wilderei bedrohlich an: Die zunehmende Not der außerhalb der Parks lebenden Menschen verstärkt den Anreiz, sich Wildtiere als Nahrung zu beschaffen. Es sind diese Menschen, die von den ausbleibenden Tourismuseinnahmen am härtesten betroffen sind: Viele von ihnen sind – oder besser: waren – als Guides beschäftigt oder haben in und rund um die Lodges gearbeitet. Ihre Not wird sich in den kommenden Monaten aller Voraussicht nach noch weiter vergrößern.

Immer mehr Betreiber privater Wildreservate suchen nun nach ganz eigenen Auswegen aus der Krise – und behelfen sich mit digitalen Angeboten. Auch wenn sie die Beobachtungen vor Ort nicht ersetzen können, sind virtuelle Safaris im Moment der Renner.

Tiere fühlen sich wie Chefs im Park

Im Internet bieten die Veranstalter „Game Drives“ mit ihren Rangers an, die die Safari dann filmen und live kommentieren. Es ist ein Lösungsversuch, der als langfristiges Geschäftsmodell allerdings nicht infrage kommt.

Unter der Krise des Safari-Tourismus scheinen nur die Tiere nicht zu leiden – solange sie von Wilderern in Ruhe gelassen werden. Sie fühlten sich schon wie die Chefs im Park, wird aus den Schutzgebieten berichtet.

Einige würden sich mitten auf den leeren Straßen fläzen, auf denen sonst die vielen Safari-Fahrzeuge unterwegs sind. Für die Zukunft heißt auch das nichts Gutes. Sollten sich hier irgendwann wieder Menschen einfinden, warnen Experten, müssten sie seitens der Tierwelt mit unfreundlichen bis offen feindseligen Reaktionen rechnen.

Johannes Dieterich

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