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Mit diesem Foto wirbt das Müttergenesungswerk für die Vater-Kind-Kuren.

© Franziska Russo

Auch Väter fahren zur Kur: Wenn Papa nicht mehr kann

Nach einer anstrengenden Lebensphase ist eine Kur manchmal die letzte Rettung vor dem Burnout. Zwei Väter berichten von ihren Erfahrungen.

Der Fünf-Minuten-Flug vom Festland auf die Nordseeinsel Wangerooge wird ewig unvergesslich bleiben. Die 11-jährige durfte neben dem Piloten sitzen und ließ sich alles genau erklären. Hinter ihnen saß Winfried Schepers mit seiner anderen Tochter, die schon 13 Jahre alt ist. Gemeinsam haben sie im März an einer Vater-Kind-Kur des Müttergenesungswerks (MGW) teilgenommen.

Seit 2013 gibt es die Kuren auch für Väter. Nach der Gründung des MGW vor 70 Jahren waren sie zunächst den Müttern vorbehalten. Als Elly Heuss-Knapp, damals als Ehefrau des Bundespräsidenten First Lady der jungen Bundesrepublik, das MGW gründete, war noch nicht abzusehen, wie erfolgreich die Arbeit dieser bis heute weltweit einzigartigen Organisation werden würde.

Mit über 1000 Beratungsstellen und 130.000 Beratungen jährlich werden nicht mehr nur Mütter, sondern seit 2013 auch Väter und pflegende Angehörige unterstützt. Damit geht die Organisation auf neue Familienbilder ein. Noch ist das Konzept nicht überall bekannt.

Von Kuren wissen viele nichts

Dabei ist es aktueller denn je. MGW-Sprecherin Isabel von Vegesack erwartet nach den Herausforderungen der Coronakrise gerade für Familien einen sprunghaften Anstieg der Nachfrage. Derzeit abgesagte Kuren müssten zudem nachgeholt werden. Von den 73 Häusern hatte nur eines in Brandenburg die ganze Zeit geöffnet. In der letzten Woche haben zwei weitere in Sachsen die Arbeit wieder aufgenommen.

Das MGW hofft dringend auf staatliche Hilfen für die Kliniken, um den derzeit wachsenden Bedarf bewältigen zu können. Bislang erfahren die Väter meist zufällig durch Mund-zu-Mund-Proaganda davon. Man merkt dem Bauingenieur Winfried Schepers an, wie gut ihm die drei Wochen mit seinen Kindern getan haben. Seit zwei Jahren ist er von seiner Frau getrennt. Die Kinder wechseln im Wochenrhythmus zwischen beiden Elternteilen hin und her. Äußerlich klappt das gut. Aber natürlich macht den Kindern die Trennung zu schaffen und Winfried Schepers die Anstrengung. Zwar hat er einen verständnisvollen Chef und kann auch in normalen Zeiten teilweise von zu Hause aus arbeiten.

Trotzdem schafft er kaum den 8-Stunden-Tag, wenn die Kinder da sind. Also musste er in den kinderlosen Wochen immer mehr arbeiten, um aufzuholen. "Bis ich einem Burnout nahe war", erzählt er. Eine Freundin machte ihn schließlich auf die Möglichkeiten aufmerksam, die das Müttergenesungswerk eben auch Vätern bietet mit Kindern bis zu 12 Jahren. Kurz vorm 13. Geburtstag der Tochter schaffte er es gerade noch, den Platz in der Villa Kunterbunt auf Wangerooge zu bekommen, die betrieben wird vom Deutschen Roten Kreuz.

Pflegende Angehörige können auch kommen

Rund 70.000 Kinder nehmen neben den 50.000 Müttern, 2000 Vätern und rund 700 pflegenden Angehörigen jährlich an den Kuren teil. Dass seine Kinder wieder eine stabile Beziehung zu ihm aufbauen konnten, war Winfried Schepers nach der anstrengenden Trennungsphase ganz besonders wichtig. Zwischen den Zeilen hört man dem Vater beim Telefongespräch an, dass er nicht richtig verstanden hat, warum die Frau in ihrem studierten Beruf weiterarbeiten wollte, obwohl es finanziell nicht nötig gewesen wäre. Ein klassischer Konflikt und bestimmt kein Einzelfall.

Dabei ist der 51-Jährige ein moderner Vater, der für beide Töchter jeweils einige Monate in Elternzeit gegangen ist. Jedenfalls galten die Kinder als "Therapiekinder" und konnten beide mitkommen zur Kur. Die ältere, weil sie vor Beginn in ihrer Berliner Schule noch ein Herzensprojekt beenden wollte, konnte sogar etwas später nachreisen. So kam es auch zu dem Flugabenteuer.

Winfried Schepers und seine beiden Töchter.
Winfried Schepers und seine beiden Töchter.

© privat

Der Papierkram sei gar nicht schlimm gewesen, sagt Schepers. "Die Formulare hat meine Hausärztin ausgefüllt." Nur 11 Prozent der Anträge werden von den Krankenkassen abgelehnt. Die Gruppe im Heim war gemischt, auf 20 Mütter kamen 5 Väter. Winfried Schepers und seine Töchter bezogen ein kleines Zwei-Zimmer-Appartment in einem Gebäude, das nach seinem Eindruck vielleicht mal eine Kaserne war. Vor ihnen lag der bei Ebbe bis zu 200 Meter breite Strand, sechs Kilometer lang.

Von Anfang an hatten sie einen vollen Terminkalender, Nordic Walking, Fango, Step-Aerobic, Kardiosport und Moorpackungen für den Vater, Phantasiereisen, Hausaufgaben, Ausflüge und Kindersport für die Töchter. Nachmittags sind sie manchmal in den Ort gegangen, haben im Café gesessen, Räder gemietet oder einfach nur den Schiffen hinterhergesehen. Das Ziel, die Vater-Kind-Beziehung zu stabilisieren hat aus Winfried Schepers Sicht total funktioniert: "Ich habe mich wirklich entschleunigt."

Die Perspektive einer Frau

Anders als es sonst oft beobachtet wird, hat er sich mehr mit den Müttern ausgetauscht, als mit den anderen Vätern, die teils kleinere Kinder hatten und andere Anwendungen. Es gab auch tiefere Gespräche, wenngleich nicht abends im Wintergarten, sondern eher unter vier oder sechs Augen. Das hat ihm geholfen, auch mal die andere Perspektive seiner Frau besser zu verstehen.

Der Alltag war strukturiert, aber nicht zu streng. Zum Essen vom Büfett gab es immer 90 Minuten Zeit. Der einzige Fernseher stand in der Bibliothek, wurde aber praktisch nie eingeschaltet. Auch ein Radio gab es nicht, kein Wlan und nur sehr schlechten Handyempfang. Die Nachtruhe begann um 22 Uhr, um 8 Uhr ist die Familie wieder aufgestanden. Nur beim Frühstück war es Winfried Schepers manchmal ein bisschen zu laut wegen der vielen kleinen Kinder. Das ließ sich leicht verschmerzen. Sein Fazit: "Diese Kur war wirklich das Beste, was mir passieren konnte."

"Wenn es das Müttergenesungswerk nicht schon seit 70 Jahren gäbe, man müsste es erfinden", resümierte auch Elke Büdenbender, die Frau des jetzigen Bundespräsidenten und aktuelle Schirmherrin aus Anlass des runden Geburtstags. "Alle, die dringend mal eine Pause brauchen, können durchatmen und sich eine Auszeit nehmen, damit sie nach der Kur wieder gestärkt für ihre Familien da sein können."

Das hat auch Mirko Helm so erlebt. Als Anlagenbediener im Schichtsystem hat er immer viel Stress. Als es in seiner Patchwork-Familie auch noch ein Problem mit der großen Tochter seiner neuen Partnerin gab, ließ er sich beraten. Da hörte er zum ersten Mal von der Möglichkeit, eine Vater-Kind-Kur zu machen. Und war völlig baff. "Ich dachte, das wäre nur was für Mütter!" Nachdem die Kur von der Krankenkasse genehmigt worden war, machte er sich mit der 6-jährigen Tochter, die er selber mit in die neue Familie gebracht hat, im Auto auf den Weg nach Arendsee. Das Haus erinnerte ihn an "eine Mischung aus Jugendherberge und Hotel".

Eine Kur ist kein Urlaub

Dass eine Kur kein Urlaub ist, wurde ihm schnell klar. Es gab den Arzttermin, sehr viel Sport, Massagen und Ernährungsberatung. Große Hochachtung hatte er vor den Physiotherapeuten: "Was die alles wissen, da ziehe ich den Hut!" Seitdem weiß er, dass die Frage, woher ein Schmerz kommt, manchmal heilsamer ist und weiterführt als eine schnelle Spritze.

Es blieb dann doch noch viel Zeit, um mit der Tochter Rad zu fahren, wandern zu gehen oder Eis zu essen im Dorf. Auch er kam mit den anderen Eltern ins Gespräch und erlebte Überraschungen. Zunächst hatte er sich das so vorgestellt, "dass da lauter streng guckende Frauen mit ihren Kindern sitzen, die mir sagen wollen, wie man Sachen richtig macht". Tatsächlich traf er andere Eltern, die ganz ähnliche Probleme hatten wie er und sich offen darüber austauschten.

Am Ende haben sie sogar eine Whatsapp-Gruppe gebildet, um in Kontakt miteinander zu bleiben. Natürlich hat er auch Verbesserungsvorschläge. Dass Väter und Mütter voneinander getrennt in verschiedenen Räumen ihre Mahlzeiten einnahmen, das kam ihm "irgendwie mittelalterlich" vor. Das strikte Alkoholverbot hat ihn hingegen nicht gestört. "Das muss ja nicht immer sein." Die Tochter, erst skeptisch, fand etliche neue Freunde, wollte am Ende gar nicht wieder abreisen.

Mirko Helm und seine Tochter bei einem Fahrradausflug am Arendsee.
Mirko Helm und seine Tochter bei einem Fahrradausflug am Arendsee.

© privat

Unter dem Dach des MGW, das 1950 als gemeinnützige Stiftung und Spendenorganisation gegründet wurde, arbeiten fünf Organisationen eng zusammen: das Deutsche Rote Kreuz (DRK), die Arbeiterwohlfahrt, der Paritätische Wohlfahrtsverband, der Evangelische Fachverband für Frauengesundheit e.V. und die Katholische Arbeitsgemeinschaft für Müttergenesung e.V.

"Ich bin doch kein Schwächling!"

Die Kurklinik Arendsee wird vom DRK betrieben und liegt mitten in der Natur. Der nächste Bahnhof ist 25 Kilometer entfernt. Dreimal im Jahr gibt es hier eine reine "Väteranreise". Dann reisen ungefähr 25 Väter gemeinsam mit ihren Kindern zur Kur an. Für Mütter gibt es 48 Kuren im Jahr, es sind, auch wenn die Väter anreisen, etwa 40 Mütter im Haus. Die Väteranreise hat sich bewährt. Kurheimleiterin Birgit Eberli-Karg weiß: "Männer denken oft anders als Mütter". Für sie sei es eine gute Erfahrung zu sehen, dass sie keine Ausnahme sind, indem sie an ihre Grenzen gekommen sind. Viele hingen noch dem alten Denken nach, das ihnen einflüstere: "Ich bin doch kein Schwächling!" Und sie deshalb von einer Kur abhalte.

Die Behandlungen werden auf der Grundlage eines medizinischen und psychosozialen Aufnahmegespräches zusammengestellt. Erschöpfung, Lustlosigkeit, Schlafstörungen, depressive Verstimmungen bis hin zu körperlichen Schmerzen und Erkrankungen können Folge von Stress im Beruf aber auch schmerzhaften Scheidungen sein.

Drei Wochen dauern die Kuren in der Regel. Für die Kinder ist die Kur Urlaub, teilweise werden sie mit anderen Kindern zusammen betreut. Allerdings muss jedes Kind den Unterrichtsstoff mitbringen, den es gerade verpasst, wenn es außerhalb der Ferienzeit mitreist. Dafür wird eigens schulbegleitender Unterricht angeboten. Auch die Kinder seien oft nicht ohne Probleme. So gebe es etwa viele junge Gäste, die hochbelastet sind mit ADS.

Jeder bekommt einen Therapieplan, in dem selbstverständlich nicht nur körperliche Probleme angegangen werden. Birgit Eberli-Karg weiß: "Manche wollen auch nur reden."

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