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Neues Touristenziel Castel Gandolfo: Franziskus mochte die Residenz nicht mehr haben, nun darf die Welt sie besuchen

© AFP

Apostolischer Palast: Vatikan öffnet Castel Gandolfo - nach 400 Jahren

Der Vatikan vermarktet die alte päpstliche Sommerresidenz Castel Gandolfo als museale Attraktion. Seine Vorgänger suchten hier Kühle und Erholung – Papst Franziskus aber will nicht

„Tschuff-Tschuff? Wo ist der Tschuff-Tschuff-Zug?“ Die Kinder sind die Ersten, die an diesem Morgen enttäuscht sind. Eine Dampflok hat man ihnen versprochen für die Fahrt vom Vatikan hinauf in die lichten Albaner Berge, zur päpstlichen Sommerresidenz in Castel Gandolfo. Doch es faucht und raucht nichts – ein elektrischer Allerwelts-Triebwagen fährt ein. Lange Gesichter.

Die Dampflok, von der die römischen Lokalzeitungen so geschwärmt haben, die war einmal. Die gab’s nur bei der Eröffnungsfahrt für dieses neue Ausflugspaket, das die Vatikanischen Museen geschnürt haben für 16 Euro pro Kopf. Und außer den Journalisten und der Premierenprominenz kommt auch niemand mehr in den Genuss, vom päpstlichen Bahnhof selbst abfahren zu dürfen.

Dieser ist mangels anderer Nutzung längst zu einem Luxuskaufhaus umgebaut für Diplomaten und Vatikanbedienstete weltlichen wie geistlichen Standes, aber vorsichtshalber hat noch niemand Franziskus’ Meinung dazu eingeholt. Jedenfalls: Das Volk startet draußen vor der Mauer, im ungepflegten römischen Bahnhof San Pietro, der im profanen Leben als Dauerherberge für Stadtstreicher dient und der – weil die Klos in der Regel zu sind – auch so riecht.

Immerhin: Der vom Vatikan gecharterte Triebwagen ist neu, blitzblank gewienert auch noch, das genaue Gegenteil römischer Vorort- und Pendlerzüge. Und dann geht’s hinaus in die Campagna, durch moderne, triste Industriebrachen, an grandiosen, zweitausend Jahre alten Aquädukten lang, hinauf zum kreisrunden, leuchtend blauen Albaner See. Dort den Kraterrand des prähistorischen Vulkans entlang zur höchsten Stelle.

Urbi et Orbi in bester baulicher Umsetzung

Da oben steht mit ungestörter Rundumsicht, urbi et orbi in bester baulicher Umsetzung, der Papstpalast – den der heutige Papst nicht mehr braucht. Seine Vorgänger mögen in der grünen Kühle der Hügel monatelange Sommer verbracht haben; als Letzter, diesen Juli, urlaubte der emeritierte Benedikt zwei Wochen lang in Castel Gandolfo. Franziskus will nicht. Er habe zu arbeiten, er bleibe in Rom, sagt er. Und seine Leute dürfen den seit 400 Jahren für die Öffentlichkeit gesperrten, also geheimnisumwitterten „Apostolischen Palast“ als museale Attraktion vermarkten.

Wenn’s nur der Apostolische Palast wäre! Doch für die Touristen hat man lediglich einen gesichts- und geschichtslosen Zwischenstock freigeräumt. Vollgehängt hat man ihn mit gut 50 Porträts früherer Päpste, ohne dass sich die Auswahlkriterien näher erschlössen. Immerhin ist auch Franziskus bereits in diese Ahnengalerie aufgenommen, lächelnd, mit einer aufgeregt flatternden Heilig-Geist-Taube über ihm. Auch Benedikt XVI. ist da zu sehen: als überlebensgroße, strenge Ikone, malerisch eine schmachtend-frömmelnde Heiligsprechung noch zu Lebzeiten.

Die größten Schätze bleiben verborgen

Drei jener Throne sind aufgestellt, auf denen sich frühere Oberhirten über den Köpfen der Menge zur Messe tragen ließen, und die feder-üppigen Pfauenwedel dahinter, zur Abwehr fliegenden Ungeziefers. Zu sehen gibt’s ohne erkennbare Zuordnung ein paar historische Messgewänder, einzelne heiligväterliche Seidenpantoffeln – und schon findet sich der Besucher unausweichlich wieder unten im Hof, vor einem nachtblauen BMW 733 mit dem päpstlichen Universalkennzeichen „S.C.V. 1“, wobei S.C.V. für „Stato della Città del Vaticano“ steht, für „Staat der Vatikanstadt“.

Der Wagen diente Johannes Paul II. als Großlimousine, doch angesichts der Entwicklung der Limousinen seither sieht er fast aus wie ein Mittelklassewagen, den sogar Franziskus nutzen könnte. Ja – und wo wohnten die Päpste bei ihren Sommeraufenthalten? Wo empfingen sie ihre Gäste? Wo hielten sie ihre Gottesdienste? „Was für eine indiskrete Frage“, knurrt der Türsteher am Ende des Rundgangs, schüttelt den Kopf und nimmt einem gleich den umgehängten Audioführer vom Hals; schließlich will er in die Mittagspause. Alle raus!

Den so gerne schaulustigen Gästen bleiben also die oberen Etagen, die laut Prospekt „reich mit Kunstwerken ausgestatteten“, verschlossen – das Herz das Palastes, das Ziel des Interesses. Unzugänglich auch die päpstliche Sternwarte, ihre alte Bibliothek und ihre – wieder laut Prospekt – „überreiche Sammlung von Meteoriten und Mondgestein“. Es gäbe am Nachmittag zwar noch eine Fahrt im Minizug durch die barockprächtige, 55 Hektar weite Gartenanlage von Castel Gandolfo, aber die kostet extra: 20 Euro pro Kopf, Kinder über fünf Jahre zahlen 15 Euro, und es sind viele Familien dabei.

Aber erst mal geht’s in die Mittagspause. Die Gastronomen von Castel Gandolfo mit ihrer eigens ausgelegten Fressmeile vor dem Palast, die sollen ja auch etwas verdienen, wenn sie nun schon den dritten Sommer hintereinander keinen richtigen Papst als Touristenmagneten mehr geschenkt bekommen haben. Um 17 Uhr gleitet der Sondertriebwagen zurück nach Rom. Da sind viele Ausflügler schon nicht mehr an Bord. Sie haben sich vorher abgesetzt. Schließlich fahren auch normale, italienisch-staatliche, rostige Züge von Castel Gandolfo zurück in die Stadt. Kostenlos sogar. Denn Fahrkarten gibt es am Bahnhof nirgendwo. Dafür kommt auch kein Kontrolleur. Und das ist als Abschluss eines solchen Ausflugs durchaus gerecht.

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