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Mechthild Thürmer, 63, ist seit 2011 Äbtissin des Klosters Kirchschletten in Oberfranken. Dutzenden Menschen hat sie bereits Kirchenasyl gewährt.

© Abtei Maria Frieden

Äbtissin schützt Flüchtlinge: „Ich bin nicht kriminell“

Äbtissin Mechthild Thürmer gewährt Flüchtlingen Schutz, die vor der Abschiebung stehen. Ein Gespräch über ihre Mission.

Frau Thürmer, Sie sind angeklagt, weil Sie Menschen in das Kloster im oberfränkischen Kirchschletten aufgenommen haben, die von der Abschiebung bedroht waren. Sehen Sie sich als Kriminelle?
Nein, absolut nicht. Meine Mitschwestern und ich helfen Menschen, die in einer ausweglosen Situation sind, weil ihnen nach einer Abschiebung große Gefahren für Leib und Leben drohen.

Die Kirche hat mit dem Staat vereinbart, dass die Fälle des Kirchenasyls von den Behörden nochmals überprüft werden – meist mit Erfolg für die Betroffenen. Ich melde jeden Fall und mache alles transparent. Kriminell bin ich auch deshalb nicht, weil ich niemanden schädige und niemandem Leid zufüge.

Wie sind Sie dazu gekommen, Kirchenasyl zu gewähren?
2016 standen ein junger Mann aus dem Irak – ich nenne ihn mal Raman – und eine junge deutsche Frau vor der Klostertür, die den Mann unterstützte. Er war verzweifelt, denn er sollte nach Ungarn abgeschoben werden, wo er erstmals die EU betreten hatte. Davor hatte er große Angst, er war in Ungarn sehr schlecht behandelt worden.

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Warum war er geflohen?
Seine Familie war in Mossul eingekesselt gewesen vom sogenannten Islamischen Staat. Sein Leben war dort akut gefährdet, er wäre vermutlich umgebracht worden wie sein Bruder und viele andere Menschen auch.

Das Asyl im Kloster kann manchmal viele Monate dauern. Wie läuft da der Alltag ab?
Die Flüchtlinge sollen sich integrieren und nach ihren Fähigkeiten stundenweise arbeiten. Sie sollen sich in die deutsche Kultur eingewöhnen, die deutsche Sprache erlernen und einen strukturierten Tagesablauf bekommen, den sie ja auf der Flucht und im Asylheim häufig nicht hatten.

Raman etwa hat im Kloster gestrichen und die Kühe gefüttert, die wir damals noch hatten. So etwas gibt auch Selbstbestätigung. An Heiligabend hat er – ein Muslim – sehr lange in unserer Kirche mitgeholfen.

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Das hört sich alles sehr positiv an. Kommt es nicht auch manchmal zu Problemen?
Durchaus. Flüchtlinge sind keine besseren oder schlechteren Menschen als alle anderen. Bisher hatten wir 30 Menschen im Kirchenasyl. Manche wollen sich nicht in die Gemeinschaft integrieren. Ich erwarte schon, dass gearbeitet wird, wir haben immer zu tun – in der Küche, das Geschirr nach den Mahlzeiten aufräumen oder den Hof fegen.

Weisen Sie auch Menschen ab?
Ja, mehr, als ich aufnehme. Abgewiesen wird, wer bei einer Abschiebung nicht massiv gefährdet und bedroht ist. Etwa eine Mutter mit einem Baby aus Marokko – was nicht als besonders gefährliches Land gilt. Oder ein Mann, der sich als Christ verfolgt sah und nach Frankreich abgeschoben werden sollte.

In Frankreich dürfte er aber auch in Sicherheit sein. Auch will ich nichts mit Leuten zu tun haben, die Straftaten begangen oder etwa ihre Pässe vernichtet haben, damit ihre Herkunftsländer nicht bekannt werden.

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Was ist das schönste Erlebnis, das Sie beim Kirchenasyl erlebt hatten?
Das war Babygeschrei am Telefon. Die junge Schwangere aus Eritrea, wegen deren Aufnahme ich auch angeklagt bin, hat ihr Kind zur Welt gebracht und subsidiären Schutz erhalten. Als sie mich anrief, war das Baby zu hören. Ihr Mann, der Vater des Kindes, hat Flüchtlingsschutz und ist berufstätig.

Und was ist Ihre traurigste Erinnerung?
Sehr belastend und schlimm war es mit einer Frau aus dem Iran, die zwangsverheiratet wurde und mehrfach brutal vergewaltigt wurde. Immer wieder hatte sie Flashbacks – also massive, blitzartige Erinnerungen an Gewalt und Misshandlungen. Sie hat mehrere Therapien gemacht und uns kürzlich besucht, jetzt geht es ihr ganz gut.

Immer wieder gibt es auch Kritik am Kirchenasyl. Nehmen Sie sich ein besonderes Recht heraus?
Nein, die Gewährung von Kirchenasyl ist für mich etwas ganz Selbstverständliches. Die Vereinbarungen mit dem Staat und den Behörden sind klar und offen. Ich hoffe, dass das Gerichtsverfahren gut ausgeht. Es wäre ein Schande für Deutschland, wenn man Kirchenasyl nicht mehr gewähren dürfte.

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