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Absturz von Germanwings-Airbus: Was geschah in den letzten Minuten von Flug 4U9525?

Der Co-Pilot hat den Absturz des Airbus A320 von Germanwings in Frankreich offenbar absichtlich herbeigeführt. Wie konnte es so weit kommen?

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Zunächst gab es nur Hinweise, Vermutungen und Indizien. Doch nach und nach wird klar, was zum Absturz von Flug 4U9525 geführt hat. Bekannt war bis zum Donnerstagmorgen nur, dass der Airbus A320 am Dienstag auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf in den Sinkflug überging, nachdem er seine Reiseflughöhe erreicht hatte, und schließlich in den französischen Alpen zerschellte. Nun haben die Behörden Erkenntnisse über die Geschehnisse im Cockpit veröffentlicht, die sich aus den Aufzeichnungen des Stimmenrekorders ergeben. Sie lassen Schlimmstes vermuten.

Was genau ist vorgefallen?

Der Staatsanwalt von Marseille, Brice Robin, erläuterte am Donnerstagmittag detailliert, was sich vor dem Aufprall im Cockpit zugetragen haben soll. Demnach hätten sich Pilot und Co-Pilot in den ersten 20 Minuten des Fluges völlig normal miteinander unterhalten. Als der Kapitän danach die sogenannte Checkliste für den Anflug auf Düsseldorf durchgegangen ist, habe sein Kollege nur noch sehr einsilbig darauf reagiert und kurze Antworten gegeben. Schließlich bat der Pilot den Co-Piloten darum, das Kommando zu übernehmen und verließ das Cockpit, um auf die Toilette zu gehen. Als der Co-Pilot sich allein im Cockpit befand, so berichtete es der Staatsanwalt, soll er den Bordcomputer betätigt und den automatischen Sinkflug ausgelöst haben.

Zurück ans Steuer kam der Kapitän nicht mehr, weil er die automatisch verriegelte Kabinentür nicht öffnen konnte. Die „New York Times“ veröffentlichte auf der Grundlage von Informationen eines mit den Untersuchungen vertrauten Militärs ein Protokoll zu diesem Vorgang. „Der Mann draußen klopft leicht an die Tür, aber es gibt keine Antwort“, zitiert die Zeitung. „Dann klopft er stärker an die Tür, und wieder keine Antwort. Es gibt keine Antwort.“ Und dann sei zu hören, wie er versuche, die Tür einzutreten, heißt es. „Sicher ist, dass ganz zum Schluss des Fluges der andere Pilot allein ist und die Tür nicht öffnet.“

Worauf lässt dieser Hergang schließen?

Die plausibelste Deutung gehe dahin, dass der Co-Pilot vorsätzlich verhindert habe, dass die Tür geöffnet werde, sagte Staatsanwalt Robin. Auf Ansprache des Towers habe der Mann nicht reagiert. Auf die mehrmaligen Kontaktversuche des Flugkapitäns – per Gegensprechanlage und Klopfen – habe er nicht geantwortet. Ein Notruf sei ebenfalls nicht abgesetzt worden. Dass der Co-Pilot plötzlich gesundheitlich angeschlagen war, etwa einen Herzinfarkt erlitten hat, konnte Robin ausschließen: „Der Stimmenrekorder hat bis zuletzt schweres Atmen aus dem Cockpit aufgezeichnet. Er war also bei Bewusstsein.“

Für Robin gab es deshalb nur eine Schlussfolgerung: Der Co-Pilot hat den Unfall wahrscheinlich absichtlich verursacht. „Wir müssen davon ausgehen, dass das Flugzeug willentlich zum Absturz gebracht wurde“, sagte auch Carsten Spohr, der Vorstandsvorsitzende der Lufthansa. Wie die Passagiere auf den plötzlichen Sinkflug reagierten, lässt sich nur vermuten. Schreie von ihnen „hören wir erst in den letzten Sekunden auf dem Band“, sagten die Ermittler.

Wie funktioniert die Verriegelung der Kabinentür?

Nach den Anschlägen am 11. September 2001 in den USA sind die Cockpit-Türen aller Verkehrsflugzeuge gepanzert worden. Sie halten selbst Schüsse ab. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass Terroristen in die Pilotenkanzel gelangen. Wollen Flugbegleiter den Piloten Speisen oder Getränke bringen, müssen sie entweder eine Art Klingelknopf betätigen oder einen Zahlencode eingeben. Der öffnet die Tür allerdings nur, wenn das von den Piloten, die meist über eine Kamera sehen können, wer vor der Tür steht, freigegeben wird. Dazu muss im Cockpit ein Schalter betätigt werden.

Bei einer Bedrohungslage können die Piloten die Tür also auch dann blockieren, wenn außen der korrekte Code eingegeben wird. In besonderen Notfällen besteht nach Angaben der Vereinigung Cockpit technisch zwar zusätzlich die Möglichkeit, auch von außen die Tür zu öffnen – aus Sicherheitsgründen meist nach einer Zeitverzögerung. Dieser Mechanismus versagt aber ebenso, wenn der Pilot im Cockpit den Zugang blockiert - so wie es im aktuellen Fall wohl geschehen ist.

In den USA besteht eine Vorschrift, wonach sich immer zwei Besatzungsmitglieder im Cockpit aufhalten müssen. Sind nur zwei Piloten an Bord, von denen einer die Toilette aufsuchen möchte, muss während dieser Zeit ein Flugbegleiter seinen Platz einnehmen. In Europa existieren solche Bestimmungen bisher nicht. Als erste Gesellschaft hat die Airline Norwegian am Donnerstag nun angekündigt, das zu ändern.

Frühere "Piloten-Suizide"

Hat es schon ähnliche Vorfälle gegeben?

Die Germanwings-Katastrophe erinnert an einen Fall im November 2013. Damals war ein Embraer 190-Regionaljet der Fluggesellschaft LAM mit 33 Menschen an Bord auf dem Flug von Maputo nach Luanda in Namibia abgestürzt. Nachdem sein Kollege das Cockpit verlassen hatte, verbarrikadierte sich einer der Piloten dort und leitete einen Sturzflug ein, bis die Maschine am Boden zerschellte. Auch hier war auf dem geborgenen Cockpit-Tonband zu hören, wie jemand verzweifelt gegen die Tür schlug.

2005 stürzte sich ein 39 Jahre alter Hobbypilot aus Brandenburg mit seinem Ultraleichtflugzeug auf die Wiese vor dem Berliner Reichstag und nahm sich auf diese Weise das Leben. Daraufhin wurde ein bis heute geltendes Flugverbot über dem Regierungsviertel erlassen.

Am 31. Oktober 1999 stürzte eine Boeing 767 der Egypt Air auf dem Flug von Los Angeles nach Kairo mit 202 Passagieren und 15 Besatzungsmitgliedern vor der amerikanischen Ostküste in den Atlantik, es gab keine Überlebenden. Kurz bevor die Maschine in einen Sinkflug überging, hatte der Flugkapitän das Cockpit verlassen. Auf dem Tonband ist zu hören, wie der Co-Pilot mehrfach ruft: „Ich vertraue auf Gott.“ Während die US-Behörden zu dem Schluss kamen, der Kopilot habe die Maschine absichtlich zum Absturz gebracht, wurde dem von ägyptischer Seite widersprochen.

Im August 1994 prallte eine ATR 42 der Royal Air Maroc auf dem Flug von Agadir nach Casablanca gegen einen Berg des Atlas-Gebirges. Auch hier kamen die Ermittler zu dem Schluss, dass einer der Piloten mutwillig den Autopiloten abgeschaltet und den tödlichen Sinkflug eingeleitet hatte.

Werden Piloten ausreichend auf ihre Eignung für den Job getestet?

Die Lufthansa und ihre Tochtergesellschaft Germanwings lassen daran keine Zweifel. „Wir wählen das Cockpit-Personal sehr sorgfältig aus“, sagte Lufthansa- Chef Spohr am Donnerstag. Dabei werde ausdrücklich auf die psychologische Eignung der Kandidaten geachtet. Auch die beiden Piloten des Unfallflugs 4U9525 hätten die renommierte Lufthansa-Flugschule in Bremen und in Phoenix, Arizona, durchlaufen. Es handele sich bei dem Vorfall um „einen unglaublich tragischen Einzelfall“, sagte Spohr.

Nach Einschätzung des Luftverkehrsexperten Gerold Wissel werden Verkehrspiloten nur zu Beginn ihres Berufslebens intensiv auf ihre psychische Eignung und Stabilität geprüft. Später folgten zwar regelmäßige Checks, in denen auch Gespräche über die allgemeine Lebenssituation geführt würden. Regelmäßige Persönlichkeitstests gebe es aber nicht.

Fluggesellschaften haben meist klare Vorgaben, wie beispielsweise ein auffälliges Verhalten bei Kollegen gemeldet werden kann. Die Beschäftigten seien gehalten, schon bei kleinsten Anzeichen, etwa von Alkoholismus, Depressionen oder psychischer Instabilität, Alarm zu schlagen, sagt Wissel. „Das geschieht auch. Selbst beim Briefing vor dem Start kann der Kapitän noch jedes Besatzungsmitglied vom Flug ausschließen, wenn es sich auffällig verhält.“ Auch habe der Kopilot das Recht, den Kapitän abzulehnen. Hinweise können die Crewmitglieder dabei auch anonym geben. (mit dpa)

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